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diff --git a/OEBPS/Text/06-wien.html b/OEBPS/Text/06-wien.html new file mode 100644 index 0000000..93dc596 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/06-wien.html @@ -0,0 +1,582 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Wien</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Wien"> +<div class="dateline"><span class="right">Wien.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>en zweyten +Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir +die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen +und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine +Instanz angehalten und an die andere zur Visitation +gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für +einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter +Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man +musste doch den <span class="italic">casum in +terminis</span> gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde +ausgepackt, meine weisse und schwarze Wäsche durchwühlt, +mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein +Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer +Konterband darin stecke: meine Taschen wurden betastet und +selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein +durchsucht; alles sehr höflich. +<!-- pb n="26" facs="#f0052"/ --> +<span class="italic">I must needs have the face of a +smuggler</span>. Meine Briefe wurden mir aus dem +Taschenbuche genommen, und dazu musste ich einen goldnen +Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein +Gesetz gesündigt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wusste +und zu wissen gar nicht gehalten bin. »Du sollst kein +versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.« Der +Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer +Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, dass ich weder +mit Brüssler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, +erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne +weitere Strafe, als dass man mir für den schönen +vollwichtigen Dukaten, nach der Kaisertaxe von welcher kein +Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiss, neue blecherne +Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freundlich und +höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der +Polizey. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns +nun mit keiner Sylbe weiter, als dass man unsere Pässe dort +behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder +abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post +wieder erhalten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern +und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle +sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit +wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer +unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und +die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem +Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.</p> + +<p>Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne +<!-- pb n="27" facs="#f0053"/ --> Stunde wahren Genusses. +Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner +Handelsweise sehr interessiert. Er hatte eben Geschäfte, und +ich konnte daher seine offene Ungezwungenheit desto besser +bemerken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein +gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den +Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist +keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem +Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet +und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle +nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du +kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke +hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in +Lebensgrösse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm +sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten +Schmerz zu erholen und Rache zu beschliessen. Die Figur ist +ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und +Zeichnung; aber der Kopf ist göttlich. Du weisst, ich bin +nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen +sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich +mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht +ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden +sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den +Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon +gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der +Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch +zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann +sollte schon etwas vollende<!-- pb n="28" facs="#f0054"/ -->ter +seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit +vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und +überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave +steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und +Furcht liest.</p> + +<p>Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. +Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an +der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte +mir, dass er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse +habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, +bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm +dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat +Göschen die Kupfer zu seiner schönen Ausgabe erhalten. Es +wäre werth, dass Göschen mit seinem gewöhnlichen +Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit +wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle +mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen +Aufwand erfordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. +Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostolischen +Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan grässlich +charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich gerüht +das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten +Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist +ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler +gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe +eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und +der Hauptmann der Römer gleicht Einem, der in seinem +Schrecken es noch zeigt, dass er zu dem alten Kapitol +<!-- pb n="29" facs="#f0055"/ --> gehört. Porcia ist ein +göttliches Weib. Am wenigstens hat mich das erste und letzte +Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der +Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man +nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter +Olympius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht +genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen +Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser +Bruder. Bis zu ihm kann sich unsere Sinnlichkeit erheben, +aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die +Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig +wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler +empor gewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich +wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in +diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und +Füger für die seinige.</p> + +<p>Ich muss Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, +die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du +vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner +mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und +Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für +Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuss +hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Gemälde sind +ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das +zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er +seine Söhne verdammt; und der Moment ist das +furchtbare: <span class="italic">Expedi secures!</span> Man +muss das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die +Grösse der Wirkung zu haben, die der Künst<!-- pb n="30" facs="#f0056"/ -->ler +hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander +setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist +keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen +Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher +Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt +römisch, und schön und gross. Ich darf nicht wagen zu +beschreiben; es muss gesehen werden. Vorzüglich rührend für +mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich +erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn +er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in +der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey +Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck +eines flammenden Patriotismus auf den Richter und das +Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so +müsste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Vater +und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.</p> + +<p>Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter +geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, +und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur +einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für +den Geist des Künstlers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius +und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber +unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst +hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende +Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den +Vater, nicht um den tyrannischen Richter, nicht um das Volk, +um nichts was um sie her geschieht; sie sind ganz allein mit +dem geliebten Leich<!-- pb n="31" facs="#f0057"/ -->nam +beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte +selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die +Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des +Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus +der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und +schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und +anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weisst +aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als +Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Russland leben, +an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem +Palladium der römischen Freyheit. Beschuldige mich nicht zu +schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie +die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren +Nachbarn aufdringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen +wollen! Aber wo gerathe ich hin?</p> + +<p>Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für +den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein +Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde +vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, +ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, +sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken +auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der +grosse Künstler, dass er einige seiner herrlichsten +Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun +wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie +ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.</p> + +<p>Während der vierzehn Tage, die ich hier hause<!-- pb n="32" facs="#f0058"/-->te, +war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber +nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses +fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen +allein für mich auf dem Walle und etymologisierte +eins. <span class="italic">Vindobana</span>, <span class="italic">quia +dat vinum bonum; Danubius</span>, <span class="italic">qui +dat nubes;</span> und dergleichen mehr: wer weiss, ob die +Römer bey ihrer Nomenklatur nicht so gedacht haben. Wenn +Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht +gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen +schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen +Tornister wieder packen müssen.</p> + +<p>Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel +Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist +abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt +so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm +als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert +dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch +seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die +andern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht +nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da +auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das +Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, dass es mir +ungewöhnlich viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon +desswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der +Geschichte behandelte. Ich halte das Stück für recht gut +gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung +urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum +Genuss hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind +<!-- pb n="33" facs="#f0059"/ --> allerdings mehrere kleine +Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch +durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen +Gang: die Sprache ist meistens rein und edel, und ich war +zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; +aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir +Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen +grossen Genuss gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus +gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der +auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es +hier vorzüglich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten +Liebhaberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre +Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die +Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für +dieses Fach.</p> + +<p>Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser. Man +trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat +Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarmherzig in seine +eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des +Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit +solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die +Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie +vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft +verantworten, wenn sie können.</p> + +<div class="poem"> +<span class="indent">Ich, meines Theils, will keine Helden,</span><br /> +Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,<br /> +Sogleich den Mangel ihrer Kraft<br /> +Im ersten Tone quiekend melden,<br /> +<!-- pb n="34" facs="#f0060"/ --> +Und ihre lächerliche Wuth<br /> +Im Schwindel durch die Fistelhöhen<br /> +Von ihrem Brett herunter krähen,<br /> +Wie Meister Hahns gekappte Brut.<br /> +Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht<br /> +Wie die Taranteltänze hasse,<br /> +So setze mich des Himmels Strafgericht<br /> +Mit ihm in Eine Klasse.<br /> +</div> + +<p>Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der +Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen +Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen +könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiss +ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein grosser Vorzug ist +Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit +bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre +macht. Ich habe auf seinem Theater über die +Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge +gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, +ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über +Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er +im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu +haben; und ich muss bekennen, dass mir seine barocke +Personalität als Tyroler Wastel ungemeines Vergnügen gemacht +hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar +nicht übel zu nehmen, dass sie zuweilen zu ihm und Kasperle +herausfahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer +lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt +verhältnissmässig weit besser, als jene für die Burg. Die +Klei<!-- pb n="35" facs="#f0061"/ -->dung ist an der Wien +meistens ordentlicher und geschmackvoller, als die +verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des +Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug +machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine +eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und +der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch +Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber +wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium +und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muss +der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. Aber +hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: +dawider ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann +nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst +wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel +zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im +Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen +ihre subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber +das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit +entfernt, dem ersten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz +eines grossen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu +machen.</p> + +<p>Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich +höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der +Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die +dazu erhoben werden. Er soll überdiess das wesentliche +Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.</p> + +<p>Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in +<!-- pb n="36" facs="#f0062"/ --> Wien fast nichts +geäussert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf +öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst, +das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter +Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate wie in der +Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den +Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder +kaum zu athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu +enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu +sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freundliche Weisung +von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. In wie +fern sie Recht hatten, weiss ich nicht; aber so viel +behaupte ich, dass die Herren sehr Unrecht haben, welche die +Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene +Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weisst, dass ich +durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens +das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die +Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen +etwas lauter werden zu lassen, als vielleicht gut ist. So +hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches +Stück gefallen, und es begegnet mir wohl, dass ich, ohne +eben irgend etwas zu denken, eben so wie aus irgend einem +andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die +Zähne brumme. Diess geschah einmahl, freylich sehr am +unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein +Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten +Leute als für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken, +als dass mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen +jetzt nur sehr dunkel.</p> + +<!-- pb n="37" facs="#f0063"/ --> +<p>Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb +komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die +übergrosse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein +alter ehrlicher, eben nicht sehr politischer +Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in +Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch +lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz +gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine +Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage +hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt +soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger +Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein +verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht +sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine grosse Karthause? +Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder +darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass +man überall lauern lässt: ist das wahr? Hole der Henker die +Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut +reden und lustig seyn.« Du hättest die Gesichter der +Gesellschaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige waren +ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere +nickten gefällig und bedeutend über den Spass: aber niemand +schloss sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, +sagte dieser, dass ich wieder zur Armee komme; Das todte +Wesen gefällt mir nicht.</p> + +<p>Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen +waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa +ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber +desto grösser war die +<!-- pb n="38" facs="#f0064"/ --> allgemeine Besorgniss vor +den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damahls fing +Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen +Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise +den Oestreichern grosse Angst und grosse Verwirrungen +erspart.</p> + +<p>Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich +es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leuten gleich am +Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll +seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.</p> + +<p>Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und +schlechtes Geld. Die Manege mit schlechtem Gelde ist +bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier +ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so +lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den +Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts +ungerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere +Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien +und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen +Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf +Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der +Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören +meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. +Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften +bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. +Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die +Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch +beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder +<!-- pb n="39" facs="#f0065"/ --> unterbringen könne. Nach +diesem Schlusse sind die Krankheiten ein grosses Gut für die +Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon +nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen +können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher +unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vieles +Nachdenken, dass durch die Staatsschulden die Aermern +gezwungen sind, ausser der alten Last, noch den Reichen +Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. »Bey +Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre +es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine +und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur +bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo +hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten +der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das +Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke, +und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, +sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf +Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand +bekannt ist.</p> + +<p>Sonderbar war es, dass man in dem letzten Jahre des +Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffenplatz machen +wollte; das Schlimmste, was die Regierung für ihre Sache +thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht +eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte +andere Absichten hatte, als er nachher zeigte, so war das +Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was +konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war +be<!-- pb n="40" facs="#f0066"/ -->kannt, Wien hätte +sich nicht acht Tage halten können; und welche Folgen hätte +es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der +Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, dass es +nicht dahin kommen würde; aber eben desswegen waren die +Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit +Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können, +dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen +möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte +gewogen wären: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es +ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, dass die +Kapitale so viel Einfluss auf das Ganze hat.</p> + +<p>Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir +bekannt ist, nur selten eine glückliche Stimmung; ich will +Dir also, zumahl da das Feld hier zu gross ist, darüber +nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen +lassen, der vermuthlich eher zurück kommt als ich.</p> + +<p>Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer +Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man +vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst +die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die +Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen +böotischen, aber auch ächt böotischen, Auftritt hatte ich +den letzten Tag auf der italiänischen Kanzley. Hierher wurde +ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen +gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, +da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art +von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er +<!-- pb n="41" facs="#f0067"/ --> +hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der +Hand, als ich eintrat.</p> + +<p>»Währ üfs Aehr?« fragte er mich mit einem stier +glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wiener +Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, so lange +es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit +ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege +gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich +that ein kurzes Stossgebetchen an die heilige Humanität, +dass sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, +indem ich auf den Pass zeigte.</p> + +<p>»Wu will Aehr hünn?«</p> + +<p>Steht im Passe: nach Italien.</p> + +<p>»Italien üss gruhss.«</p> + +<p>Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.</p> + +<p>»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel +härümmer.«</p> + +<p>Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Menschen zu +antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und +Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er +mich nicht gar zurück geschickt hätte: denn er war ja ein +Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische +Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich +in Dresden muss wohl wissen, was er thut und wem er seine +Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so +bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von +dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis +auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne +Stiefeln geknöpft waren.</p> + +<!-- pb n="42" facs="#f0068"/ --> +<p>»Wu wüll Aehr weiter hünn?«</p> + +<p>Vorzüglich nach Sicilien.</p> + +<p>Er glotzte von neuem, und fragte:</p> + +<p>»Wafs wüll Aehr da machchen?«</p> + +<p>Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit gesagt, dass +ich bloss spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus +einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von +Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen hatte, so hätte der +Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt +und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.</p> + +<p>Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.</p> + +<p>Weiss der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und +sah auf den Pass und sah mich wieder an, und schrieb sodann +etwas auf den Pass, welches, wie ich nachher sah, der Befehl +zur Ausfertigung eines andern war.</p> + +<p>»Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«</p> + +<p>Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen +Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust +dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Pass, und +ich ging.</p> + +<p>Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, dass +dieses durchaus sein Charakter sey, und dass er bey dem +Kaiser in gar grossem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. +Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener +und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das +Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick +sehen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu +<!-- pb n="43" facs="#f0069"/ --> haben. Seinen Namen habe +ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so +viel, dass er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, +obgleich Präsident der italiänischen Kanzley war. Ist das +der Vorschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich +an.</p> + +<p>Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die +Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers +des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so +viel <span class="spaced">Euer Gnohden</span> gescholten, +dass meine Bescheidenheit weder ein noch aus wusste, und +erhielt sogleich einen grossen Realbogen voll Latein in +ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und +Unteroffizianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar +nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident +etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen +oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden +können. Auf dem neuen Passe +stand <span class="italic">gratis</span> und man foderte mir +zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren +Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und +froh war, dass ich dem Uebermass der Grobheit und +Höflichkeit zugleich entging.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |