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diff --git a/OEBPS/Text/31-neapel.html b/OEBPS/Text/31-neapel.html new file mode 100644 index 0000000..019cc66 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/31-neapel.html @@ -0,0 +1,861 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neapel</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[332]" facs="#f0358"/ --> + +<div class="chapter" id="Neapel3"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">I</span>ch erwachte im Hafen. Eine +Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des +Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey +Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und +wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich +sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr +lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein +alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte +den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man +gehört hatte, dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen +wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als +gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische +Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten +hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte +ich keinen haben.</p> + +<p>Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach +Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde +gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich liess mir +gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern +und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus +andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung +verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels +anatomierte, wir würden desswegen in unsern Konjekturen +nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des +Kaligula machen soll, weiss ich nicht: die Meinung der +Antiquare, dass es +<!-- pb n="333" facs="#f0359"/ --> ein Molo gewesen seyn +soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch +dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen +aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch +klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten +Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist +nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stiefelchen, +nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen. +Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der +Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den +Julischen Hafen bilden; der Umweg war also etwas grösser als +jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern weder +Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sey es +wie man wolle. Ich stieg bey dem Lukriner See aus, der durch +die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt +ist er nichts besser als ein grosser Teich. Wir gingen, +vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch +welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den +Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu +bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben +alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt +romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte +der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich +am Eingange hin und sah rechts gegen über den alten Tempel, +der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie +dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen +blieb, die ohne grosse Erschütterung der Nachbarschaft +unmöglich geschehen konnte. +<!-- pb n="334" facs="#f0360"/ --> Man kann nichts +romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See +bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll +Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in +dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das +Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung +nach diesem Orte gearbeitet; denn +das <span class="italic">Facilis descensus Averni</span> +scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer +tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, +welches ziemlich voll Wasser war. Hier musste ich mich auf +den Rükken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts +und links fand ich hier einen langen Katalog von Neugierigen +aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die +Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia +auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem +Wildfremden in dieser Höhle herum zu schleichen, mein +Freund, macht doch etwas unheimisch.</p> + +<div class="poem"> +Ein Schauerchen fuhr mir beym Fackelschein<br /> +Im Heiligthum durch das Gebein;<br /> +Das Wasser ging mir in der Höhle<br /> +Des Mütterchens bis an die Seele.<br /> +Mir ward so ernst und feyerlich,<br /> +Und voll von Ehrfurcht setzt' ich mich<br /> +An einem dreyfach dunkeln Flecke<br /> +Auf einen Stein in einer Ecke.<br /> +Mein Führer liess mir eben etwas Zeit<br /> +Mit seiner Stromgelehrsamkeit,<br /> +<!-- pb n="335" facs="#f0361"/ --> +Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:<br /> +Da hab' ich denn in aller Stille<br /> +Die alte kumische Sibylle<br /> +Für Dich und mich um Rath gefragt;<br /> +Sie hat mir aber — nichts gesagt.<br /> +Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,<br /> +Und glaube, sie hat wohl gethan.<br /> +</div> + +<p>Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter +mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug +weckte: <span class="italic">Era questa Sibylla una grande +putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece</span> +— — Hier brauchte er einige Töne, die in allen +Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin +sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles +macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer +nimmt! Die Leute fabeln hier, dass aus der Höhle ein Gang +nach Bajä und ein anderer nach Kumä gegangen sey, wo die +Hexe ein zweytes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht +möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige +grosse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen +und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch +hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet werden. Die ganze +Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne +romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten +veranlasst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die +Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, +und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so +<!-- pb n="336" facs="#f0362"/ --> +dass der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens +ist.</p> + +<p>Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die +ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, dass ich +nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich +ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir +aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts +ging, einen so entsetzlichen Schweiss aus, dass ich +umkehrte. Ich liess den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine +vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen +den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das +Experiment war mir zu heiss. Ob die alten Gebäude, die am +Strande hinstehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich +nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä +und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie +sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey +Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das +Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab +Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören +wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen +sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein +Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem +kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Drath oder +Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es +alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem +Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen +seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch +einige Trümmern ge<!-- pb n="337" facs="#f0363"/ -->zeigt. +Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die +Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse +des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die +Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, +wie die römischen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren, +zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind grässlich +und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie +denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und +scheusslicher war, als bey den Griechen, die Spartaner +vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel +trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und +bis hinab an die elyseischen Felder und das todte Meer sind +schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von +dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen +Felsen dieses Namens schliesst. Gegen über liegt nicht weit +davon sogleich Procida, und man erzählte, dass die Engländer +im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen +haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muss aus den +Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen +seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, dass ich +neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von +Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich +fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine +und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man +doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.</p> + +<p>Ich liess mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber +nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et<!-- pb n="338" facs="#f0364"/ -->was +spät aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit +nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten +berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur +Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der +Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen +Sitz der schändlichsten Despotie zu zernichten und nur die +Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt +ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die +Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der +Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen +Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine +Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll, +als der ächte Falerner bey Sessa auf der andern Seite des +Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich +weiss nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri +sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo +und Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das +seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir +immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der +Tiberiade einen abscheulichen +Stempel<!-- supplied>.</supplied --></p> + +<p>Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein +üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber +als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des +Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg +Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und +nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht +etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du; +<!-- pb n="339" facs="#f0365"/ --> denn Du fährst, wie ein +Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Diess ist die berühmte +Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der +Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey +leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen +geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner +als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung +der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung +hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von +dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur +Zeit der Römer muss das Werk nicht unternommen worden seyn; +denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon aufgezeichnet, +weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon +ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von +Neapel aus, ein Behältniss eingehauen, welches jeder +Vernünftige sogleich einer Polizeywache anweisen würde. Aber +hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und +dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus +die Gegend unsicher machen!</p> + +<p>Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum +komme, muss ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur +einigermassen mit mir promenieren sollst. Meine Absicht war, +so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein +hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte +es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess drückte +mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji +unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch langen Gebrauch +einige Hühneraugen gewonnen, die +<!-- pb n="340" facs="#f0366"/ --> +den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich +liess mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste +Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen. +Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien, +ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich +um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer +zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da +war; ob ich gleich nicht läugnen kann, dass Fleiss +und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte +machen können.</p> + +<p>In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die +Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich +wandelte also in der Stadt herum, und bald fasste mich ein +Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten +seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern +war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen +Stücke gearbeitet, liesse sich wirklich auch in Rom noch +sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten +Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten +gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus +Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer +Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr +schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. +Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des +Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand +die <span class="italic">statua biformis</span> des +Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey dieser +Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel +zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es +lässt sich wohl begreifen, wie das +<!-- pb n="341" facs="#f0367"/ --> zuging, und wie irgend +ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel +wirkten, dass die Ungläubigen abziehen mussten. Und nach der +alten Rechtsregel, <span class="italic">quod quis per +alium</span> — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das +wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu +amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die +nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte +stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich +vergessen habe, deren Blut aber noch beständig floss. Ich +hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich +wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den +vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich +die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den +schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir +stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man +mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne +Kreuzigung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, sondern +ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte +man wohl so etwas heraus oder vielmehr hineinbringen; und +die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten +sich, dass ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere +Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, +sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich +unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine +grosse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer, +der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs +nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas +zu einer Seelenmesse für mich; das +<!-- pb n="342" facs="#f0368"/ --> gab ich auch. Schadet +niemand und hilft wohl; man muss die Gläubigen stärken, +lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von +seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine +Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und +zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte, +schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal +nannte, und von dem ich eben so wenig wusste, wie er zur +Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen +war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem +Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, dass +der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte +mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein +Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete beyden ganz +leise, dass ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt +habe. Es ist ein heilloses Leben.</p> + +<div class="poem"> +Mein Freund, Du suchest in Salerne<br /> +Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;<br /> +Denn zeigt er sich auch nur von ferne,<br /> +So eilen Kutten und Kaputzen,<br /> +Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,<br /> +Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.<br /> +Da löscht man des Verstandes Zunder,<br /> +Und mischt mit Pfaffenwitz, des Widersinnes Plunder,<br /> +Zum Trost der Schurkerey, zum Wunder:<br /> +Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,<br /> +Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,<br /> +<!-- pb n="343" facs="#f0369"/ --> +Kniet hin und betet, geht und meuchelt;<br /> +Gewiss, Vergebung seiner Sünden<br /> +Beym nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.<br /> +</div> + +<p>Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muss es Dir nur +gestehen, dass ich den Artikel von der Vergebung der Sünden +für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der +Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat +erfinden können. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus, +den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke, +dass Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen +bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihm seine +Natur führt. Eine missverstandene Humanität hat den Irrthum +zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und +fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein +als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache +durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, +bleibt in Ewigkeit gefehit; es lässt sich keine einzige +Folge einer einzigen That aus der Kette der Dinge heraus +reissen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur +selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch +ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff +der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur +in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht +dieser Trost grossen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle +Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu +Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden; +diese sollen zum Heile der Menschheit ver<!-- pb n="344" facs="#f0370"/ -->zweifeln. +Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der +Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer, +das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht +wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung +der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein +Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen +Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur +die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im +grössten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann +ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.</p> + +<p>Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir +sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch +aufmerksam, dass ich bey ihm ausserordentlich sicher sey, +weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten +grüsste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts +geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich +nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in +der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, +mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm +dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab, +und blieben die Nacht an der Strasse in einem einzelnen +Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der +Landstrasse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese +Landstrasse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig +Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist +nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der +Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich +<!-- pb n="345" facs="#f0371"/ --> +wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als +gewöhnlich.</p> + +<div class="poem"> +Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen<br /> +Mir links und rechts in einem Zauberchor<br /> +Den Vorgeschmack des Himmels vor,<br /> +Und laue leise Weste trugen<br /> +Mich im Genuss für Aug' und Ohr<br /> +Durch Gras wie Korn und Korn wie Rohr.<br /> +Balsamisch schickte jede Blume<br /> +Mir üppig ihren Wohlgeruch,<br /> +Der Göttin um uns her zum Ruhme,<br /> +Aus Florens grossem Heiligthume;<br /> +Und rund umher las ich das schöne Buch<br /> +Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.<br /> +Die goldnen Hesperiden schwollen<br /> +Am Wege hin in freundlicher Magie,<br /> +Und Mandeln, Wein und Feigen quollen<br /> +Am Lebenstrahl des Segen vollen<br /> +In stillversteckter Eurhythmie;<br /> +Und Klee wie Wald begränzte sie.<br /> +Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,<br /> +Und fühlte schon voraus die Wonne,<br /> +Mit Pästums Rosen in der Hand,<br /> +An eines Tempels hohen Stufen,<br /> +Wo Maro einst begeistert stand,<br /> +Die Muse Maros anzurufen.<br /> +Die Tempel stiegen, gross und hehr,<br /> +Mir aus der ferne schon entgegen,<br /> +<!-- pb n="346" facs="#f0372"/ --> +Da ward die Gegend menschenleer<br /> +Und öd' und öder um mich her,<br /> +Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.<br /> +Da stand ich einsam an dem Thore<br /> +Und an dem hohen Säulengang,<br /> +Wo ehmals dem entzückten Ohre<br /> +Ein voller Zug in vollem Chore<br /> +Das hohe Lob der Gottheit sang.<br /> +Verwüstung herrschet um die Mauer,<br /> +Wo einst die Glücklichen gewohnt,<br /> +Und mit geheimen tiefem Schauer<br /> +Sah ich umher und sahe nichts verschont;<br /> +Und meine Freude ward nun Trauer.<br /> +Umsonst blickt Titan hier so milde,<br /> +Umsonst bekrönet er im Jahr<br /> +Zwey Mal mit Ernte die Gefilde;<br /> +Du suchst von allem, was einst war,<br /> +Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar<br /> +Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,<br /> +Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,<br /> +Um den verschütteten Altar.<br /> +Nur hier und da im hohen Grase wallt,<br /> +Den Menschensinn noch greller anzustossen,<br /> +Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.<br /> +Freund, denke Dir die Seelenlosen,<br /> +In Pastum blühen keine Rosen.<br /> +</div> + +<p>Ich gebe Dir zu, dass in diesen Versen wenig Poesie ist; +aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. +<!-- pb n="347" facs="#f0373"/ --> Ich hielt mich hier nur +zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher +nichts als die drey bekannten grossen alten Gebäude, die +Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein +elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches +Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in +der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein +klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da +kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund +umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore, +ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte +selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die +Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in +hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen +Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren +wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie +vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche +Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, dass die Rosen +von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt +gewesen, dass er sie nicht musste abreissen lassen, dass er +nachpflanzen sollte, dass es sein Vortheil seyn würde, dass +jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; +dass ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster +gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte +besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur +schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige +Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, +und ich habe vielleicht das Verdienst, dass +<!-- pb n="348" facs="#f0374"/ --> man künftig in Pästum +wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle +bitten, die nehmlichen Erinnerungen eindringlich zu +wiederholen, bis es fruchtet.</p> + +<p>Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte +mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben +noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter +meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister +zurück käme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern +seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich +bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für +gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. +Man muss sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich +einen Bruch zu schreiten. Dass einer von den Tempeln dem +Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand dass er +der vorzügliche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines +der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die +gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander +gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion +gewesen seyn? Denn es lässt sich nicht wohl begreifen, wozu +die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. +Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich; +unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte +man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor +kurzem gefunden seyn muss, weil ich ihn noch von niemand +angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher +Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen +Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch +<!-- pb n="349" facs="#f0375"/ --> überall sehr deutlich zu +unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach +Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor +ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden +übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, +zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum der Ort +vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, +scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwey +Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist +nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen +Bergen kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und +mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt +noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der +schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu +Fusse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines +Feigenbaums eine grosse Schlange geringelt, die mich ruhig +ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz +von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar +nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust +ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, dass +Virgil <span class="italic">atros colubros</span> anführt, +die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von +der Sorte zu seyn.</p> + +<p>Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr +ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär +kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an +der Strasse angehalten, und ein Offizier nicht mit der +besten Physionomie setzte sich geradezu zu mir in die +Karriole, ohne eine Sylbe Apo<!-- pb n="350" facs="#f0376"/ -->logie +über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. +Ich hörte, dass mein Fuhrmann vorher +sagte: <span class="italic">E un signore Inglese</span>: das +half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er +Posten gefasst hatte, wollte er mir durch allerhand +Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so +verblüfft, dass ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt +stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. +Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen +Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die +doch auch zuweilen systematisch ungezogen genug ist. Als ich +gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein +Zweyter an: Sie sind ein Engländer? — Nein. — +Aber ein Russe? — Nein. — Doch ein Pole? — +Auch nicht. — Was sind sie denn für ein Landsmann? +— Ich bin ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind +ein Fremder und erlauben mir, dass ich Sie etwas begleite. +— Sehr gern; es wird +m<!-- gap unit="chars" quantity="1"/ --> +angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er +fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man +Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte +mich und ich ass tüchtig, in der Voraussetzung ich würde für +mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so +manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte, +sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war +ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden. +Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt, +besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der +schönsten Aussichten über den ganzen Meer<!-- pb n="351" facs="#f0377"/ -->busen +von Salerne hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen +artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu +erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich +in<!-- choice><sic --> in<!-- /sic><corr/></choice --> der Fremde in +Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offizieres +wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch +vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der +Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse +lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern +glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus +dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch +hat vierzig umgebracht, sagte der Offizier, als wir weiter +gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht +bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für +wenigstens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt +werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die +Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er +ganz leise, — braucht ihn. Hier fasste es mich wie die +Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte +ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, +ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit +zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung +ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger +umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von +Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er +hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem +unbekannten Freunde. Ach nein, antwortete er; jetzt sitzt er +wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh +kommt er los. — Wie<!-- pb n="352" facs="#f0378"/ -->der +ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die +Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit +rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie +waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab +Aemter und Ehrenstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk +als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der +Residenz erzählt, auf den Strassen und in Provinzialstädten, +und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände +dabey genannt.</p> + +<p>Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die +andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen +Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die +Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muss bey dem +allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts +netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo +fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit +eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist als ob sie nur vor +wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder +einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen +viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins +Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am +nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich +mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, +dass die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst +sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine +Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren +dabey einige französische Generale, von +<!-- pb n="351 " facs="#f0379"/ --> +denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey +der Sibylle ist es etwas anders.</p> + +<p>Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und +ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, dass ich von +Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag +Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten +Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame +konnte, als wir absteigen mussten, zu Fusse nicht weit fort +und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum +zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und +arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren, +aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter +gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, +weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht +über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte +ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich +würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz +allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich +stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich +doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als +auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich +es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen +entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, +als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und +drückend heiss. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der +Krater ist jetzt, wie Du schon weisst, eingestürzt, der Berg +ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine +eigentliche grössere Oeffnung mehr +<!-- pb n="352 " facs="#f0380"/ --> da. Nur an einigen +Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen +hervor. Man kann also hinunter gehen. Die Franzosen, welche +es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiss, haben viel +Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von +der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der +herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von +meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den +rechten Weg nicht gefasst, weil ich eine andere kleinere +Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas +Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war +mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch +ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als +die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner +ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist +fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde +jene noch vorziehen, obgleich diese grösser ist. Nur die +Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier +besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden +als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige +Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward +Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. +Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun +suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches +Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge +ein grosses volles Gefäss. So durstig ich auch war, war mir +doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn +ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde +<!-- pb n="353 " facs="#f0381"/ --> den Vulkan gerade auf +diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In +einem grossen Sommerhause, nicht weit von der heiligen +Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen +Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber +als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten +wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.</p> + +<p>Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen, +und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach +Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich +unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah +bloss das Schloss und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit +aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu +Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges +enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige +bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die +Statuen selbst sind in der Lava zusammen geschmolzen. So +viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl +diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig +sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich +eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort gesehen, +wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die +bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel +schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist +Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und +Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt +darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; +und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine +<!-- pb n="354 " facs="#f0382"/ --> Kirche. Die Dame von +Kaserta gab mir beym Abschied am Toledo ihre Addresse; ich +hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.</p> + +<p>Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein +Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische +Nachbarschaft doch vielleicht ein grösseres Interesse, als +irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend +noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz +nach meinem Genius hatte geniessen können. Ich setzte mich +im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne +blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der +Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt +gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.</p> + +<div class="poem"> +Vom Schedel des Verderbers sieht<br /> +Mein Auge weit hinab durch Flächen,<br /> +Auf welchen er in Feuerbächen<br /> +Verwüstend sich durch das Gebiet<br /> +Der reich geschmückten Schöpfung zieht.<br /> +Wo steht der Nachbar ohne Grausen,<br /> +Wenn zur Zerstörung angefacht<br /> +Aus seinem Schlund der Mitternacht<br /> +Ihm hoch die Eingeweide brausen?<br /> +Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,<br /> +Und sie im Streit der Elemente,<br /> +Als ob des Erdballs Achse brennte,<br /> +Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?<br /> +Der Riese macht mit seinem Hauche<br /> +<!-- pb n="355 " facs="#f0383"/ --> +Die schönste Hesperidenflur<br /> +Zur dürrsten Wüste der Natur,<br /> +Wenn er aus seinem Flammenbauche<br /> +Mit rother Glut und schwarzem Rauche<br /> +Die Stoffe durch die Wolken hebt,<br /> +Und meilenweit was Leben trinket,<br /> +Wo die Zerstörung niedersinket,<br /> +In eine Lavanacht begräbt.<br /> +Parthenope und Pausilype bebt,<br /> +Wenn tief in des Verwüsters Adern<br /> +Die <!-- choice><sic -->Eeuerfluthen<!-- /sic><corr>Feuerfluthen</corr></choice --> furchtbar hadern;<br /> +Und was im Meer und an der Sonne lebt<br /> +Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,<br /> +Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken<br /> +Er kocht am Meere links und rechts,<br /> +Bis nach Surrent und bis zu Baja's Tannen,<br /> +Wo er die Bäder des Tyrannen<br /> +Aus der Verwandschaft des Geschlechts,<br /> +Indem er weit umher verheeret,<br /> +Mit seinem tiefsten Feuer nähret.<br /> +Er macht die Berge schnell zu Seen,<br /> +Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,<br /> +Und rauchend zeigen seine Bahn,<br /> +So weit die schärfsten Augen gehen,<br /> +Die Inseln in dem Ozean.<br /> +Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet<br /> +Dass er nicht einst in allgemeiner Wuth<br /> +Noch fürchterlich mit seiner Fluth<br /> +Den ganzen Golf zusammen schüttet?<br /> +<!-- pb n="356 " facs="#f0384"/ --> +Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,<br /> +Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde<br /> +Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde<br /> +Mit seinen Lavaschichten füllt?<br /> +Hier brach schon oft aus seinem Herde<br /> +Herauf hinab des Todes Flammenmeer,<br /> +Und machte siedend rund umher<br /> +Das Land zum grössten Grab der Erde.<br /> +</div> + +<p>Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich +gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans +in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin +ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit +dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv +kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich +fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer +Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er +Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren +zuweilen grosse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen +Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der +Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten +der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äussern +Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so +etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbändiger +hierher setzte.</p> + +<p>Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. +Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, dass +er sich auf seine eigenen +<!-- pb n="357 " facs="#f0385"/ --> Soldaten nicht verlassen +kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiss seine eigene +Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der +bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die +Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muss, +betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder +Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich +sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt +haben. Du weisst dass ich die Schulmeisterey in keinem Dinge +verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, +sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht +gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im +Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und +das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, dass sie +besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und +fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren +sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen +Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleyen +kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz +possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl +manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz +bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner +Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die +Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen +ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende +Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur +unangenehme Ausnahmen; denn man lässt im Ganzen der Ordnung +und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.</p> + +<!-- pb n="358 " facs="#f0386"/ --> +<p>Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig +gemisshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise +beschimpft: es fehlt wenig dass er nicht des Patronats +völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr +auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch +Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce +wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich +wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge +wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre +gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde +erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger +jungen Weiber und ihrer heissen Andacht, ehe das Mirakel +kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen +Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den +Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine +Urbefugnisse genommen hat.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |