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+ <title>Rom</title>
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+<body>
+
+<!-- pb n="[359]" facs="#f0387"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Rom3">
+<div class="dateline"><span class="right">Rom.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un bin ich wieder hier in
+dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schoosse.
+Wie Schade das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur
+Katholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in
+geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas
+leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Meiner ist der
+Katholicismus der Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit,
+der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die
+Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des eisernen
+Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen
+kommen; aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die
+Hoffnung sinken lassen. Dank sey es der Frömmeley und dem
+Mamelukengeist des grossen französischen Bannerherrn, die
+Römer haben nun wieder Ueberfluss an Kirchen, Mönchen und
+Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert
+Jahre zurückgeworfen. <span class="italic">Homo sum</span>
+&mdash; sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was
+mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner
+Wanderschaft wieder aufnehmen.</p>
+
+<p>Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano
+und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt,
+ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte
+ich, hat so ein Spaziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen
+war drückend schwül, und über der Solfatara und dem
+Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt
+genug; ich wollte nur aus Neugier das
+<!-- pb n="360 " facs="#f0388"/ --> Lokale sehen und weiter
+keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein
+Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen
+hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und
+schwer, und ich eilte dass ich durch die Bergschlucht wieder
+heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob
+sich alle flüssigen Theile mischten und die festen sich
+auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte,
+kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine
+gewisse Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene
+Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als
+ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von
+Posilippo ass, dass ich mir an einer eben nicht harten
+Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker
+biss. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig
+zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey
+Vorderzähne. Aber Veränderung der Luft und etwas Schonung
+haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und
+dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er
+nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.</p>
+
+<p>Von Rom nach Neapel war ich zu Fusse gegangen: von Neapel
+nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem
+Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über
+Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina.
+Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in
+Aversa als wahre Geschichte, dass eben die Räuber vom Berge
+herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sechzig
+Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich
+<!-- pb n="361 " facs="#f0389"/ -->
+mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn
+Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte.
+Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen
+sehr grossen Gefallen an meinem Seehundstornister
+bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir
+bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn
+nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch
+einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und
+jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt
+nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit
+sich zurück? Durch die Pontinen ging es diessmal die
+Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der
+Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam
+aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht
+hätte den Hals brechen können.</p>
+
+<p>Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu laufen, wo
+ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne
+Waldgegend, durch welche die Strasse geht. Oben am Berge bat
+der Postillion, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich
+den Hemmschuh einlegen wollte und am Wagen etwas zu hämmern
+hatte. Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen, und
+ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in
+den Wald hinein, und dachte wie ich Freund Reinhart in
+Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte.
+Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fort gewandelt seyn,
+da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu.
+Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer fasste mich
+bey der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle; der
+andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf
+<!-- pb n="362 " facs="#f0390"/ --> die Brust; die beyden
+übrigen blieben dispositionsmässig in einer kleinen
+Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung
+sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so
+nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte
+einer eine doppelt grässliche Pantomime mit Gesicht und
+Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stossen und
+schiessen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg
+also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines
+Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich
+vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit
+der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die
+Karabiner suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit
+einzuflössen. Ich machte mich bloss so schwer als möglich,
+da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod
+gewesen wäre: man zerriss mir in der Anstrengung Weste und
+Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich
+durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man
+für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie
+das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen
+Schuss oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem
+kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum
+eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und
+auch Stimmen von unten: sie liessen mich also los und nahmen
+die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg
+fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr sass, wie in
+Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak unter dem Arme in
+einem Rocksacke: beydes wurde
+<!-- pb n="363 " facs="#f0391"/ --> also in der
+Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen grässlich
+aus wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter
+zwanzig und keiner über dreissig. Sie hatten sich gemalt und
+trugen falsche Bärte; ein Beweiss, dass sie aus der Gegend
+waren und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia
+nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in
+der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt
+ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten
+daselbst Lausus und Euryalus ihre jugendliche
+Unbesonnenheit: nicht eben, dass sie gingen, sondern dass
+sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein
+preussischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön
+polierten glänzenden Helm aufsetzen, um versteckt zu
+bleiben? Herr Virgil hat sie bloss der schönen Episode wegen
+so ganz unüberlegt handeln lassen.</p>
+
+<p>Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht,
+dass zwey von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert
+hätten, erwischt wären, und dass ich vielleicht noch das
+Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich
+weiter nichts, als dass es bey der jetzigen ungeheuern
+Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier
+etwas von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in
+Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt
+werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält.
+Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, dass fast alles
+darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle
+Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier,
+ist ein freyer, unbefan<!-- pb n="364 " facs="#f0392"/ -->gener,
+kenntnissvoller Mann, bey dem Herz und Kopf gehörig im
+Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer
+grössten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt
+darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster
+nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die
+eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle
+Prälaten behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz.
+Da mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert sich
+darum, dass das Volk hungert? Die Strassen sind nicht allein
+mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich
+daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiss, dass bey meinem
+Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger
+gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und
+sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der
+Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit.
+Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit
+dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig
+eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger
+gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus dem gläubigen
+Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, dass
+man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache und die
+Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die
+Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als
+jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizey;
+auf dem Lande noch weniger als in der Stadt: und wenn die
+Menschheit nicht noch tiefer gesunken ist, als sie wirklich
+liegt, so kommt es bloss daher, weil man das Göttliche in
+der Natur durch die grösste
+<!-- pb n="365 " facs="#f0393"/ --> Unvernunft nicht
+ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein
+vernünftiger Philanthrop sich
+hier <!-- choice><sic -->nmsieht<!-- /sic><corr>umsieht</corr></choice -->.
+Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als
+ich wieder zu Borgia gehen wollte. <span class="italic">Nil
+valent apud Vos leges</span>, <span class="italic">nil
+justitia</span>, <span class="italic">nil boni
+mores</span>; <span class="italic">saginantur
+sacerdotes</span>, <span class="italic">perit
+plebs</span>, <span class="italic">caecutit
+populus</span>; <span class="italic">vilipenditur quodcunque
+est homini sanctum
+honestas</span>, <span class="italic">modestia</span>, <span class="italic">omnis
+virtus</span>. <span class="italic">Infimus et improbissimus
+quisque cum armis per oppida et agros praedabundus
+incedit</span>, <span class="italic">furatur</span>,
+<span class="italic">rapit</span>, <span class="italic">trucidat</span>,
+<span class="italic">jugulat</span>, <span class="italic">incendia
+miscet</span>. <span class="italic">Haec est illa religio
+scilicet</span>, <span class="italic">auctoris
+ignominia</span>, <span class="italic">rationis
+opprobrium</span>, <span class="italic">qua Vos homines
+liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere
+conamini</span>. So gohr es, und ich
+versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey.
+Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen,
+warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen
+machen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird
+schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu
+denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter
+gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon
+kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu
+Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute.
+Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit
+zurück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen
+Bedienten im Hause, und geben nur schlechten Sold. Jeder
+Fremde der nur die geringste Höflichkeit vom Herrn empfängt,
+wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das
+hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch
+schicklich
+<!-- pb n="366 " facs="#f0394"/ -->
+nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel
+wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium
+nicht mehr in Auslage seyn.</p>
+
+<p>Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz
+Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch dass sie die
+Sache wieder aufgegeben haben, ist die Menschheit in
+unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiss was darüber
+gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles
+betrachtet werden muss: aber wenn man schlecht angefangen
+hat so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniss wird
+mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner
+geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren
+unbedingten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste
+Anarchie entstanden. Die Heerstrassen sind voll Räuber; die
+niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaffnet im Lande
+herum. Bloss während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind
+drey Kourier geplündert und fünf Dragoner von der Eskorte
+erschossen worden. Niemand wagt es etwas mehr mit der Post
+zu geben. Der französische General liess wegen vieler
+Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den
+Tod bestimmt und liess eine Anzahl Verbrecher vor dem
+Volksthore wirklich niederschiessen. Die Härte war Wohlthat;
+nun war Sicherheit. Jetzt trägt jedermann wieder seinen
+Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem
+schändlichen Kredit als Beschützer der Verbrecher. Man
+erzählt jetzt noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen,
+dass sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen lassen.
+Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho<!-- pb n="367 " facs="#f0395"/ -->liken
+ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die
+Metropolis. Jetzt sind durch die Revolution fast alle
+öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert, und die Noth ist
+vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In
+ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also
+keine Sorge für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der
+Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, desswegen
+erlaubt aber kein Güterbesitzer, dass man auf seinem Grunde
+arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er
+nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus
+an. Die Möncherey kommt wieder in ihren grassesten Flor, und
+man erzählt sich wieder neue Bubenstücke der Kuttenträger,
+die der Schande der finstersten Zeiten gleich kommen. Man
+sagt wohl, Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das
+heisst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiäner
+ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind
+Mönche oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne
+Kinder: das ist Erklärung genug. Ueberdiess ist es der Sitz
+der Vergebung der Sünde.</p>
+
+<p>Ich will nur machen, dass ich hinauskomme, sonst denkst
+Du, dass ich beissig und bösartig geworden bin. Die Parthien
+rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die
+meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten
+Jahrszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl
+befinden, nur muss man die Humanität zu Hause lassen. Mit
+Uhden habe ich die Parthien von Marino, Grottaferrata,
+Fraskati und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten
+Monumente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser
+<!-- pb n="368 " facs="#f0396"/ --> aus demselben durch den
+Berg in die Ebene hinab lässt, und der, wenn ich nicht irre,
+noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner
+Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch
+den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott von Delphi den
+Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die
+Römer schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk
+steht noch jetzt in seiner alten herrlichen ursprünglichen
+Grösse da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, dass
+Kluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter,
+sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze Kanal
+noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend Jahren. Mich
+däucht zu Kluvers Rechtfertigung muss man annehmen, dass der
+Eingang eben damals verschüttet war, welches sich
+periodenweise leicht denken lässt; und der Antiquar
+untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr
+romantischer Platz und der Gegenstand der Zeichner:
+vorzüglich wirkt die alte perennirende Eiche an demselben.
+Das Schloss Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der
+schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier
+zeigte man mir im Promenieren einen Priester, der in einem
+Gefecht mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen
+hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche!
+Wehe der Humanität, wenn sie die triumphierende wird. Wer
+auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muss nicht hierher
+gehen, und die Ueberreste seiner Ville sehen: man sieht noch
+ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die
+Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan
+<!-- pb n="369 " facs="#f0397"/ --> hat Monumente besserer
+Bedeutung hinterlassen. Wo bey Fraskati wahrscheinlich des
+grossen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man jetzt sehr
+analog &mdash; eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr
+philosophisch; nur würde Thucydides hier
+schwerlich <span class="italic">de natura
+deo</span><span class="italic">rum</span> geschrieben haben.
+Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch
+gesehen habe, ist unstreitig die Ville des Mecän in Tivoli.
+Man kann annehmen, dass der Schmeichler Horaz hier mehrere
+seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewaltigen
+Mann, neben und unter dem er hier hauste. Man wollte mich
+unten am Flusse jenseits in ein Haus führen, wo noch
+Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust:
+es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann
+und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen
+und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen.
+Wenn ich Dir die Kaskadellen von unserm Reinhart mit bringen
+könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn:
+ich bin nur Laie.</p>
+
+<p>Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die
+Franzosen haben allerdings vieles fortgeschafft; aber der
+Abgang wird bey dem grossen Reichthum doch nicht sehr
+vermisst. Ueberdiess haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein
+Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer vehementesten
+Gegner haben sie gedroht; doch ist es bey den Drohungen
+geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich
+zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die
+Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden;
+vor<!-- pb n="370 " facs="#f0398"/ -->züglich die
+Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist
+kein einziges Stück entfernt. Bloss der Fechter und der
+Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn
+mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die
+grösste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht
+haben, ist dass sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen
+Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese
+Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung
+auskramte, muss vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben.
+Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der
+Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer
+man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der
+männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit
+und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser
+Art mehr gefunden.</p>
+
+<p>In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich
+ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das
+man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber
+erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich,
+unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen:
+das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat
+die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine
+Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und ich
+genoss in der Träumerey über den Kopf die schönen Salvator
+Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam,
+fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es
+sey nun ausgemacht, dass es eine gewisse Gräfin aus
+Oberitalien sey. Ich
+<!-- pb n="371 " facs="#f0399"/ -->
+freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los
+wäre.</p>
+
+<p>Auf dem Kapitol vermisste ich den schönen Brutus. Dieser
+ist nach Paris gewandelt, hiess es. Was soll Brutus in
+Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und
+jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie
+die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische
+Wölfin, die bey Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn
+soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem
+Thurme des Kapitols übersah ich mit einem Blick das ganze
+grosse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir
+ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich
+gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie
+Dir hier, weil ich glauben darf, dass Dir vielleicht die
+Ansicht einiges Vergnügen machen kann.</p>
+
+<div class="poem">
+<p> Du zürnst, dass dort mit breitem Angesichte<br /> Das
+Dunstphantom des Aberglaubens glotzt<br /> Und jedem
+Feuereifer trotzt,<br /> Der aus der Finsterniss zum
+Lichte<br /> Uns führen will; Du zürnst den Bübereyen,<br />
+Dem Frevel und dem frechen Spott,<br /> Mit dem der
+Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott<br /> Zum Unsinn
+macht; den feilen Schurkereyen,<br /> Und der Harpye der
+Mönchereyen,<br /> Dem hässlichsten Gespenst, das dem Kozyt
+entkroch,<br /> Das aus dem Schlamm der Dummheit noch<br />
+Am Leitseil der Betrügereyen<br />
+<!-- pb n="372 " facs="#f0400"/ -->
+Zehn tausend hier zehn tausend dort ins Joch,<br />
+Dem willig sich die Opferthiere weihen,<br />
+Zum Grabe der Vernunft berückt,<br />
+Und dann mit Hohn und Litaneyen<br />
+Aus seiner Mastung niederblickt:<br />
+Du zürnst, dass man noch jetzt die Götzen meisselt,<br />
+Und mit dem Geist der Mitternacht<br />
+Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geisselt,<br />
+Und die Moral zur feilen Dirne macht,<br />
+Bey der man sich zum Sybariten kr uselt<br />
+Und Recht und Menschenwerth verlacht.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!</span><br />
+Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung<br />
+Und Kraft und Muth zur Besserung;<br />
+Indessen lau mit seichtem Hirne<br />
+Der Schachmaschienenmensch nach den Figuren schielt,<br />
+Und von dem Busen seiner Dirne<br />
+Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Geh hin und lies, fast ist es unsre
+Schande,</span><br /> Es scheint es war das Schicksal
+Roms<br /> In Geyerflug von Land zu Lande<br /> Zu ziehn; es
+schlug die Erde rund in Bande,<br /> Und wechselt nur den
+Sitz des Doms.<br /> Was einst der Halbbarbar ins Joch mit
+Eisen sandte,<br /> Beherrschet nun der Hierofante<br /> Mit
+dem Betruge des Diploms.<br /> Jetzt thürmet sich am alten
+Vatikane<br />
+<!-- pb n="373 " facs="#f0401"/ -->
+Des Aberglaubens Burg empor,<br />
+In deren dumpfigem Arkane<br />
+Sich längst schon die Vernunft verlor,<br />
+Und wo man mit geweihtem Ohr<br />
+Und Nebelhirn zur neuen Fahne<br />
+Des alten Unsinns gläubig schwor.<br />
+Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spotte<br />
+Mit dem er Menschensinn verhöhnt;<br />
+Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,<br />
+Einst hier die Burg des Donnergottes,<br />
+Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:<br />
+Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde<br />
+Des Wahnsinns stygischer Betrug<br />
+Der armen Welt die grösste Wunde<br />
+Zur ewigen Erinnrung schlug?</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Hier herrschten eisern die
+Katonen</span><br /> Mit einem Ungeheur von Recht<br /> Und
+stempelten das menschliche Geschlecht<br /> Despotisch nur
+zu ihren Frohnen;<br /> Als wäre von Natur vor ihnen Jeder
+Knecht,<br /> Den Zevs von seinem Kapitole<br /> Mit dem
+Gefolge der Idole<br /> Sich nicht zum Lieblingssohn
+erkohr;<br /> Und desto mehr, je mehr er kühn empor<br />
+Mit seines Wesens Urkraft strebte<br /> Und sklavisch nicht,
+wie vor dem Sturm das Rohr,<br /> Beym Zorn der Herrn der
+Erde bebte.<br /> Nur wer von einem Räuber stammte,<br />
+<!-- pb n="374 " facs="#f0402"/ -->
+Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,<br />
+Bepanzert mit dem dicksten Erz,<br />
+Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,<br />
+Und alle Andern wie Verdammte<br />
+Zur tiefsten Knechtschaft von sich stiess<br />
+Und den Beweis in seinem Schwerte wies; &mdash;<br />
+Nur der gelangte zu der Ehre<br />
+Ein Mann zu seyn im grossen Würgerheere.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Oft treibt Verzweiflung zu dem
+Berge,</span><br /> Dem Heiligen, dem Retter in der
+Noth,<br /> Wenn blutig des Bedrückers Scherge<br /> Mit
+Fesseln, Beil und Ruthen droht:<br /> Und, was erstaunt
+jetzt kaum die Nachwelt glaubet<br /> Dem grössten Theil der
+Nation,<br /> Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet<br /> Der
+Blutgeist selbst die Rechte der Person,<br /> Und setzt ihn
+mit dem Vieh der Erde<br /> Zum Spott der Macht in eine
+Heerde.<br /> Der Wüstling warf dann in der Wuth<br /> Für
+ein zerbrochnes Glas mit wahrer Römerseele<br /> Den Knecht
+in die Muränenhöhle,<br /> Und fütterte mit dessen
+Blut<br /> Auf seine schwelgerischen Tische<br /> Die
+seltnen weitgereisten Fische:<br /> Und für die Kleinigkeit
+der Sklavenstrafe liess<br /> Mit Zorn der schlauste der
+Tyrannen,<br /> Den seine Welt Augustus hiess,<br /> Zehn
+Tage lang den Herrn von sich verbannen.<br />
+<!-- pb n="375 " facs="#f0403"/ -->
+Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies<br />
+Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;<br />
+Was ihre Zehner kühn gewannen,<br />
+Durch die man frech die Menschheit von sich stiess.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Wer zählet die
+Proskriptionen,</span><br /> Die der Triumvir
+niederschrieb,<br /> In denen er durch Henker ohne
+Schonen<br /> Die Bande von einander hieb,<br /> Die das
+Palladium der Menschlichkeit zu retten<br /> Uns brüderlich
+zusammen ketten.<br /> Durch sie ward Latium in allen Hainen
+roth<br /> Bis in die Grotten der Najaden,<br /> Und mit dem
+Grimm des Schrecklichen beladen,<br /> Des Fluchs der Erde,
+gingen in den Tod<br /> An Einem Tage Myriaden:<br /> Und
+gegen Sullas Henkergeist<br /> Ist zu der neuen Zeiten
+Ehre,<br /> Der Aftergallier, der Blutmensch
+Robespierre,<br /> Ein Genius der mild und menschlich
+heisst.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Man würgte stolz, und hatte
+man</span><br /> Mit Spott und Hohn die Unthat frech
+gethan,<br /> So stieg man hier auf diesen Hügel<br /> Und
+heiligte den Schreckenstag,<br /> Der unter seiner Schande
+Siegel<br /> Nun in der Weltgeschichte lag.<br /> Man
+schickte, ohne zu erröthen,<br /> Den Liktor mit dem Beil
+und liess<br />
+<!-- pb n="376 " facs="#f0404"/ -->
+Im Kerker den Gefangnen tödten,<br />
+Der in der Schlacht als Held sich wies,<br />
+Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte<br />
+Und nicht sie zu besiegen wagte.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dort gegen über setzten
+sich</span><br /> Die Cásarn auf dem Palatine,<br /> Wo noch
+die Trümmer fürchterlich<br /> Herüber gähnt, und jetzt mit
+Herrschermiene<br /> Auch aus dem Schutte der Ruine,<br />
+Wie in der Vorwelt Eisenzeit,<br /> Mit Ohnmacht nur
+Gehorsam noch gebeut.<br /> Dort herrschten, hebt man kühn
+den Schleyer,<br /> Im Wechsel nur Tyrann und
+Ungeheuer;<br /> Dort grub der Schmeichler freche
+Zunft<br /> Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;<br />
+Dort starben Recht und Zucht und Ehre,<br /> Dort betete man
+einst Sejan,<br /> Narciss und sein Gelichter an,<br /> Wenn
+die Neronen und Tibere<br /> Nur schel auf ihre Sklaven
+sahn,<br /> Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,<br /> Die
+Qual und Tod mit einem Wink geboten.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dort ragt der Schandfleck hoch
+empor,</span><br /> Wo, wenn des Scheusals Wille
+heischte,<br /> Des Tigers Zahn ein Menschenherz
+zerfleischte,<br /> Und wo der Sklaven grelles Chor<br />
+Dem Blutspektakel Beyfall kreischte,<br />
+<!-- pb n="377 " facs="#f0405"/ -->
+Und keinen Zug des Sterbenden verlor;<br />
+Wo zu des Römerpöbels Freude<br />
+Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,<br />
+Der mit dem Dolch im Eingeweide<br />
+Und Grimm im Antlitz starb.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Von aussen Raub und Sklaverey von
+innen,</span><br /> Bey Kato wie bey Seneka,<br /> Stehst Du
+noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,<br /> Und stellst
+sie auf des Ruhmes Zinnen?<br /> Vergleiche was durch sie
+geschah,<br /> Von dem Sabiner bis zum Gothen,<br /> Die
+Kapitolier bedrohten<br /> Die Menschheit mehr als
+Attila,<br /> Trotz allen preisenden Zeloten.<br />
+Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh<br /> Für Einen Titus
+schreibest Du<br /> Stets zehn Domitiane nieder.<br />
+Behüte Gott nur uns und unsre Brüder<br /> Vor diesem
+blutigen Geschlecht,<br /> Vor Römerfreyheit und vor
+Römerrecht!<br /> Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht
+wieder.</p>
+</div>
+
+<p>In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke die
+Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nehmliche
+ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann
+auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche
+Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges
+und ist artistisch
+<!-- pb n="378 " facs="#f0406"/ --> von keinem grossen
+Werth. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit
+wahren hellen gemässigten Philanthropen zwölf Mitternächte
+Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein gut oder
+schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der
+Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die
+Menschheit jetzt stehet.</p>
+
+<p>Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen
+Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das
+enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma
+wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen
+Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mässigung
+hätte damals die Päbste mit Hülfe des abergläubischen
+Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit
+kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder
+verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist als ob man
+der stillen Grösse der alten Kunst mit diesem herkulischen
+Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als
+den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor,
+verhältnissmässigen ungeheuern Raum, als die Area des
+Heiligentempels, zu einer grossen Höhe aufgeführt, und oben
+das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die
+Peterskirche. Das Riesenmässige hat man erreicht. Wir sassen
+in dem Knopfe der Kuppel unser drey, und übersahen die
+gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade
+die grösste Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die grösste
+Ruine der Welt ist.</p>
+
+<p>In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich
+<!-- pb n="379 " facs="#f0407"/ --> nur Raphaels Logen und
+Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt,
+dass ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein
+Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo
+in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und
+hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und
+die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben
+eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft
+und Seele.</p>
+
+<p>Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden
+und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will
+mir kein anderer mehr genug thun. So muss Sokrates gewesen
+seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da
+liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als
+Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht
+der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde
+dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vorzimmer die
+Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich
+würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender
+Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand
+seinen Parnass sähe, auf welchen er als den Apoll den
+Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt
+hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als
+eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der
+Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark
+zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und
+vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die
+Gallier nichts antasten, sie hätten denn als Vandalen
+zerstören müssen:
+<!-- pb n="380 " facs="#f0408"/ -->
+und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen
+was sie wollen. Ich müsste Dir von Rom allein ein
+Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger
+schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.</p>
+
+<p>Zum Schluss schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art
+von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute.
+Aber ich muss Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit
+Du das Werk verstehst.</p>
+
+<p>Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte
+auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch
+ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord
+eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche
+von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bey der
+Impertinenz des Reichthums die Marotte den Kenner und Gönner
+in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar
+so unglücklich, dass seine Urtheile in Italien hier und da
+bey Verständigen fast für Verdammung gelten. Vorzüglich
+hasst er Raphael und zieht bey jeder Gelegenheit
+seine <span class="italic">deos minorum gentium</span> auf
+dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es
+geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht
+manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmässigkeit
+stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Britten
+gefallen, der selten in den Gränzen der feinern Humanität
+bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern
+Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein
+Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud
+ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen
+Unge<!-- pb n="381 " facs="#f0409"/ -->zogenheiten
+gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal
+bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene
+Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord
+mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein
+Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde.
+Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu
+nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der
+gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen lässt
+Urbefungnisse in den Menschen zu finden, die er behaupten
+muss, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler musste
+dieser Ton missfallen, und ein Fremder suchte ihn durch
+Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn
+nach seinem Vaterlande fragte. Ey was, fiel der Lord
+polternd ein, es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein
+Universalmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, Mylord,
+versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich
+mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein Vaterland soll
+sich auch meiner nicht schämen: Sono
+<span class="italic">Prussiano</span>. Man sprach
+italiänisch. <span class="italic">Prussiano?
+Prus</span><span class="italic">siano?</span> sagte der
+Wirth: <span class="italic">Ma mi pare che siete
+ruffiano</span>. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann,
+den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler
+machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord
+keines Blicks und verliess das Zimmer und das Haus. Nach
+seiner Zurückkunft in sein eignes Zimmer schrieb er in
+gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:</p>
+
+<!-- pb n="382 " facs="#f0410"/ -->
+<p class="anrede">»Mylord,</p>
+
+<p>»Ganz Europa weiss, dass Sie ein alter Geck sind, an dem
+nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyssig weniger,
+so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine
+Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern
+berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich
+schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf
+Stand und Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und
+Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen,
+meine Verachtung.«</p>
+
+<p>Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die
+Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der
+Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir
+gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf
+dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das
+Glas, der Finger, der Krummstab, der grosse antike Weinkrug,
+der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch
+ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist
+Wahrheit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe lässt noch
+kein Mädchen ruhig.</p>
+
+<div class="poem">
+Auch seines Lebens letzten Rest<br />
+Beschäftigt noch Lucinde;<br />
+Wenn ihn die Sünde schon verlässt,<br />
+Verlässt er nicht die Sünde.<br />
+</div>
+
+<p>Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz
+in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte
+doch mit den Zähnen. Für so verwe<!-- pb n="383 " facs="#f0411"/ -->gen
+hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder
+noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der
+gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute Miene
+macht: <span class="italic">Il s'est venge en homme de
+genie</span>. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein
+Bedenken sie Dir mitzutheilen. *)</p>
+
+<div class="footnote">*)Nach reiflicher Ueberlegung trage
+ich auch kein Bedenken das Ganze hier mit drucken zu lassen.
+Mich über sogenannte Personalitäten zu erklären, wäre hier
+zu weitläufig. Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und
+jenseits. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die
+öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung
+nicht &mdash; öffentlich seyn und öffentlich dokumentiert
+werden? Die Parthien sind der Maler Reinhart und Lord
+Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu
+erwarten; aber Andere sollen nicht so werden wie er ist:
+desswegen wird es erzählt.
+</div>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>