Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des Muldenthals, und Freund Grossmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich Sankt Georgens grossem Lindwurm gegen über und betete mein Reisegebet, dass der Himmel mir geben möchte billige freundliche Wirthe und höfliche Thorschreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; dass er mich behüten möchte vor den Händen der monarchischen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der Samojete seinen Thieren den Ring.
Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so lieblich fand, dass er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruss sind leicht vergessen. Dort stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedeley, wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plauderten und ernteten, und Kartoffeln assen und Pfirschen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer umher, und der Fluss wand sich gekrümmt durch die Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und kein Eichbaum unbekannt war.
Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch einmahl sah ich links nach der neuen Mühle auf die grösste Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Gränze unserer Aussicht über die Thäler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Strasse nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede — Kennst du das Land? — unter den wärmsten Wünschen weiter nach Meissen, wo wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an der südlichen Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den achten December so schwül, dass es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.
Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um einige Stellen in Guischards memoires militaires nachzusuchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem General in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rückkehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaugt hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, dass Dresden diessmahl eine Ausnahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey Meissen gewesen war. Man trifft so viele trübselige, unglückliche, entmenschte Gesichter, dass man alle fünf Minuten auf eins stösst, das den Staupbesen verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst denken, dass weder dieser noch jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hofgesinde der Grossen zu Hause, das sich oft dadurch für die Misshandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren erfahren muss. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben, die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heisst oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein grosses Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man Grossmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich erwartete nach der Gewohnheit eine förmliche Kombabusierung, fand aber bey genauer Vergleichung, dass man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Plattheiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es vielleicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstigkeit manches weggelassen worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigenmächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, dass es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten muss eher durch solche Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur eine oder zwey Uebereilungen zur Last gelegt, und davon ist keine in diesem Stücke berührt. Dass man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre wegwischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber ich sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freymüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geissel des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es nicht mehr nöthig; dass es aber noch nöthig ist, zeigt die ängstliche Behutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüngsten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.
Christ, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau, gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt. Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer gewöhnlichen Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher sehr glücklicher Kunst. Madam Ochsenheimer fängt an eine ziemlich gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wilsdorf. Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hatten, der erste als Philipp, der zweyte als Wunderlich, ein ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen barocken Laune und musste gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Missgriff, der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann. Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen standebene bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs obersächsische Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte weich macht, und die noch dazu hier sehr markiert zu seyn schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten Grösse vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stallknecht, und arbeitete oder vielmehr pfuschte zur grossen Belustigung aller Militäre, die um mich her im Parket sassen. Der Fehler war nicht so wohl sein eigen, als des Direktoriums, das ihn zum Major gemacht hatte. Non omnia possumus omnes; er macht den Becker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke recht gut.
Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen Oestreichischer Pässe haben; aber ich muss die Humanität der Gesandschaft rühmen. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig auf, und fertigte, da er unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit grosser Freundlichkeit sogleich selbst aus; und in einigen Stunden erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unterschrieben, durch alle Kaiserliche Länder.
Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch einmahl hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mahl nicht traf; und das übrige nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen und beschreiben.
Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Gesellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt gefühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der alten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür ausgegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch welche er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von Warschau, wo wir beyde in der grossen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten erlitten, und musste während der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korporal zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanften Künstler auf einer Batterie mit einer Korporalschaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freundschaft und Kunstsinn brachten den guten Mann endlich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz auswirkte und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, dass unser Freund Schnorr sich mit Enthusiasmus an den Mann anschloss; und die Herzlichkeit, mit der sich beyde einander öffneten, machte beyden Ehre.
Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr beym Aufstehen, dass dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm, als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. Dadurch werden ihre Verdienste gewiss erhöht, und ihr Muth wird doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten gewännen.