Schottwien.

Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes die Strasse nach Steyermark. Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen. Man hatte die Gefahr, die wohl ziemlich gross war, von allen Seiten noch mehr vergrössert; und was ich als einzelnes isoliertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches Monument, und übergab mich meinem guten Genius. Unsere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.

Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer grösser wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist, zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen Fuss vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So wie ich in die grosse Wirthsstube trat fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts wegen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und Kleinbierwitz leben musste, hielten mich, dass ich nicht sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und liess ungefähr dreyssig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, dass mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten, andere sangen, andere disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuss. Da entstand Streit im Ernst und die Handfestesten schienen schon im Begriff, sich einander die Argumenta ad hominem mit den Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der entferntesten Ecke der grossen gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu blasen, und alles ward auf einmahl friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward es still; bey dem sechsten fassten ein Paar Grenadiere einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den ausgelassensten ungezogensten Kordax, dass die Mädchen davon liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus grossen Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles, grosses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und gewiss wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden, überall das sicherste bey militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton vermuthete, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr Schicht, und es ward ruhig.

Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen alten Mann bey seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise, dass sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bey Neustadt und Neukirchen war so schön und hell, dass ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und überall wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und trank. Du musst wissen, dass ich noch nicht so ganz diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Aussig und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluss kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert. Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüsschen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und Ausgange.

Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schiesst von den Dächern und der kleine Fluss rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der Horaz schmeckt mir, das heisst, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum Vortheil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, dass es ihm gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.

Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend an, die, wie ich mich erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth, damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen langen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammen schliessen, begegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, welche die Strassen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und diese werden gewiss nicht so bald wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, dass man die Pressburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau, nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren aber gewiss Leute, die vorher gehörig rekognosciert hatten, dass die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch wirklich zusammen über hundert und dreyssig tausend Gulden belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.