Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié; hiess es. Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denkmahl und zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem Kapitole angelangt.
Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.
Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem ganzen Wesen, dass ich mich über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück. Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Volete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kavallerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: Jo sono pedone e non voglio andare a cavallo sul asino. Die Leute sahen mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.
In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.
Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten. Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick. Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen liess. Eine Bewirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das überliesse ich denen, interesset.
Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten; denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige Ausdruck. So geht es hier und da.
Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen Kosen, und ich verliess den Klitumnus. In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte. Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch, das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:
HANNIBAL
CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS
INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,
AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,
INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.
So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen lassen.
Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können, ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll der Jupiter Summanus einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch nicht so wild und furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu arbeiten.
Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange vielleicht besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.
Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölkchen, und es wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.
Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Felsenweg hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde, ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.
Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die Reste des alten ponte rotto bey Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona. Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.
Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen, und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Italien von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.
Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese Dinge in Aufschriften erzählt werden: solche ampullae et sesquipedalia verba scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen. Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die Strasse; die alte flaminische geht über Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande schlimmer als bey uns in Sachsen.
Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen. Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bey den Strassen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bösen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.
Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. Signore è tedesco e va a Roma; sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung musste der mir links liegende Berg durchaus der Soracte seyn, obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen über den Horaz, und desswegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war. Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.
Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung, und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: Qualche cosa della bona grazia pella guardia. So so; das fängt gut an: ich musste wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad mich fragte wo ich wohnen würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn scheint.