Du siehst, dass ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom hat eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über, überliess es meiner Grossmuth, die seinige zu belohnen. Das heisst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefasst. Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für drey Tage Wohnung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich auswärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch gefällig bis Sankt Johann vom Lateran, wo er mir am Thore seine Addresse gab, damit ich ihn bey meiner Rückkunft finden möchte. Er mochte die Rechnung gezogen und überlegt haben, dass einen ganzen Monat verhältnissmässig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in die Länge nicht so grossmüthig behandeln lassen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.
Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter den Ruinen der alten Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu orientieren, und schloss sich, als ich näher kam, an mich an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten desswegen nach der Weise der Revolutionäre angefangen höchst grausam zu verfahren: aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an Gewalthätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten muss; denn der Geruch ist entsetzlich und muss in der heissen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt desswegen kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.
Die Albaner bilden sich ein, dass ihre Stadt das alte Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, dass das nicht seyn könne, und dass die alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees am Fusse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier Millien, denken die Albaner, machen keinen grossen Unterschied; und es ist wenigstens niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun freylich um das Monument der Kuriatier misslich aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drey Kuriatier wie die beyden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch ihre Monumente standen: indessen lässt sich wohl denken, dass die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die Gestalt.
In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey denen er einkehrte, und ich liess mich auf die Post bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von dessen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich überzeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche Erscheinung unter den Italiänern. Je m'appelle Prince, sagte er, mais je ne le suis pas; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oehlbäume umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweytausend Piastern verursacht. Die Wahrheit daran lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit seyn, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir haben bey uns in Deutschland an vielen Orten grössere und schönere.
Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel Verdienst haben. Er muss indessen ein sehr sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in dem Ueberreste lässt er die Schweine so wild herum laufen, als ob er sich ganz allein von der Mastung nähren wolle. Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so entrüstet, dass sie den Mann förmlich in Verdammniss gesetzt haben; ich weiss nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Oede Roms kommt, einen sonderbaren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm vorzüglich gute Banditen zu seyn.
Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die fleissigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so gut bearbeitet, dass sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend noch das Interesse der mythologischen Geschichte.
Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein gestriger sondern ein anderer, der bey der Condeischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. Nach seinen Briefen musste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir assen zusammen in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; aber das Wirthshaus hatte die schlechteste Miene von der Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, dass dieses vermuthlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, dass auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumahl da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein grosses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft: das ist nun so römische Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht ausserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein grosses Zutrauen einflössen können. Die alte gutmüthige Haushälterin gab uns eine grosse Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte, legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich, in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen liessen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdriesslicher: vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat. Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmässig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man nass ist, muss man laufen; ich liess ihn ruhen, und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.
Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Strasse geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war gross, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt und ging die grosse gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch grösserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Strasse bis über den Gürtel im Wasser, und wusste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte Generalhexe eben einen Hauptprocess machte, und ich konnte froh seyn, dass ich noch so gut mit einem bischen Schmutz davon gekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem grossen stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem weissen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um den neuen Pallast des Papstes, sondern weidete mich an der unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen ausgezeichnet schön fand, und der üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palmbäume traf ich hier schon, da in Rom nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrliche Allee der schönsten und grössten Aprikosenbäume in die Stadt.
Mein Franzose kam, und es fand sich, dass der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich musste ihn also doch nach Neapel hinüber transportieren helfen. Zu Abend traf ich ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage von Neapel kamen, und wir assen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, dass ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloss um an dem südlichen Ufer Siciliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und angenehm, und die Norditaliäner schienen die schöne Neapel quouis modo, literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.