Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramontane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem grossen grossen Amphitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Gegenstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapolitaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr gewöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüstling einige Jahre das Menschengeschlecht misshandelte; aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdiess war es fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem festen Schritt auf dem Verdeck, dass ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die Leute lauter Oel assen, wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht befassen; ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber gegen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreyssig Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleyert. Das war eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig grosse Musketons fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kommen sollte. Denn Du musst wissen, der Unfug ist jetzt so gross, und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, dass sie zuweilen bis vor Kapri und sogar bis vor die Stadt kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können; wie sich die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. Dass ist nun freylich eine Schande für die Regierung; aber die Regierung hat dergleichen Schandflecke mehr.
Wir kamen hier ich weiss nicht zu welchem Feste an, wo in der Stadt so viel geschossen wurde, dass ich die Garnison wenigstens für zehen tausend Mann stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure Menge kleiner Mörser, die man in der Reihe nach einander geladen hinstellt; absatzweise stehen etwas grössere, die wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, dass, wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmässig schnell die ganze Front hinunter greift und am Ende mit einigen grossen Stücken schliesst. Von weitem klingt es wie etwas grosses; und am Ende besorgt es ein einziger alter lahmer Konstabel. Unser Hauptmann von der Aurora liess sich mit seiner Artillerie stark hören.
Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unterschied alle Ankommende müssen, mit vieler Artigkeit behandelt, und man liess mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolitaner, noch warten mussten. Mein erster Gang, nachdem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause untergebracht hatte, war zu dem königlichen Bibliothekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syrakus, Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit allen sicilianischen Alterthümern sehr geschmackvoll ausgemalt worden, so dass man hier mit einem Blick alles vorzügliche übersehen kann. Es finden sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher vorgekommen als Sankt Markus in Venedig. Eine Seltenheit ist der chinesische Konfuzius mit der lateinischen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren Missionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als Orangen gegessen, das Theater der heiligen Cecilia gesehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewandelt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pellegrino gewesen.
Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier gewiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will morgen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuss nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hingesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, dass ich die Feder ergriff und ihn unvermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Uebersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie besser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwerlich daran gekommen. Also wie folget:
Ist es nicht Schade, dass wir das zärtliche Liebesbriefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wurde, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die sicilischen Felsen machen alle eine ganz eigene idyllische Erscheinung; und wenn ich mir so einen verliebten Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Klagen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Polyphemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unangenehme Reminiscenzen meiner übergrossen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Winkel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehmliche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstande verdankst Du, dass ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.