So singt Asmus den ersten May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich gleich vor einigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen Unordnung.
So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack hielt keine grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen bergen — so rief mir ein Mann aus einer Bude zu: Vous etes etranger, Monsieur, et Vous cherchés une auberge? — Vous l'avés touché, Monsieur! sagte ich. Aiés la bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur de Vous servir. Ich trat ein. Der Mann war ein Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenigstens das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer Fesung kann ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich, wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.
Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich mich ein Viertelstündchen an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen; und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege, sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.
Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie bey ihm, Landolina gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt. Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons crinitus, wo die Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.
Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas magisches. — Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.
Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte grosse griechische Theater, fast rund herum in Felsen gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen, schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern. Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, das man am Eingange zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt habe. Dieses Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.
Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange vieles zertrümmert und eingestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von Syrakus schliesst er nicht ganz übel.
In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den vaterländischen Baum zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang gesetzt werden könnte.
Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt haben; dieses war nun das grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen: und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.
In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Erhöhung nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand eine Menge Wäscherinnen an der reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn? Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben so wenig hartnäckig behaupten.
Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die Glossen.
Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so dass nur noch von innen und aussen der griechische Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.
Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht verdauen und entfernte sich.
Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten, und die ich also wohl eben so verdienstlos verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen. Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das Interesse des Alterthums.
Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal, setzte Landolina sehr launig hinzu.
Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von denen zu Neapel. Was beyde ursprünglich gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen und syrakusischen besteht darin, dass in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das erste Mal, als wir kamen, war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen ; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis nach Katanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar erstrecke.
Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf, dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.
Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Landes durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Gegenden, geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.
Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber der Kugeln durch einander werfen und die Munition in Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da ergriffen haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus. Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden beständig wieder.
Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der οιυος πολλιος oder πολιος der Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche nicht unangenehme philologische Bemerkung über manche griechische Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik gegen die Insel äussere.