Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben.
Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich liess mir gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomierte, wir würden desswegen in unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll, weiss ich nicht: die Meinung der Antiquare, dass es ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stiefelchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bilden; der Umweg war also etwas grösser als jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern weder Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lukriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser als ein grosser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Eingange hin und sah rechts gegen über den alten Tempel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen blieb, die ohne grosse Erschütterung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte. Man kann nichts romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung nach diesem Orte gearbeitet; denn das Facilis descensus Averni scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich voll Wasser war. Hier musste ich mich auf den Rükken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts und links fand ich hier einen langen Katalog von Neugierigen aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem Wildfremden in dieser Höhle herum zu schleichen, mein Freund, macht doch etwas unheimisch.
Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece — — Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, dass aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein anderer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zweytes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige grosse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet werden. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten veranlasst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so dass der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens ist.
Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, dass ich nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts ging, einen so entsetzlichen Schweiss aus, dass ich umkehrte. Ich liess den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das Experiment war mir zu heiss. Ob die alten Gebäude, die am Strande hinstehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Drath oder Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmern gezeigt. Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römischen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren, zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind grässlich und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und scheusslicher war, als bey den Griechen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und bis hinab an die elyseischen Felder und das todte Meer sind schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen Felsen dieses Namens schliesst. Gegen über liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man erzählte, dass die Engländer im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muss aus den Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, dass ich neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.
Ich liess mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar etwas spät aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schändlichsten Despotie zu zernichten und nur die Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll, als der ächte Falerner bey Sessa auf der andern Seite des Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich weiss nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo und Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der Tiberiade einen abscheulichen Stempel
Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du; denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Diess ist die berühmte Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muss das Werk nicht unternommen worden seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behältniss eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich einer Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus die Gegend unsicher machen!
Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muss ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur einigermassen mit mir promenieren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich liess mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen. Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien, ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da war; ob ich gleich nicht läugnen kann, dass Fleiss und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte machen können.
In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich wandelte also in der Stadt herum, und bald fasste mich ein Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke gearbeitet, liesse sich wirklich auch in Rom noch sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand die statua biformis des Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey dieser Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es lässt sich wohl begreifen, wie das zuging, und wie irgend ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, dass die Ungläubigen abziehen mussten. Und nach der alten Rechtsregel, quod quis per alium — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich vergessen habe, deren Blut aber noch beständig floss. Ich hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne Kreuzigung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, sondern ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte man wohl so etwas heraus oder vielmehr hineinbringen; und die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten sich, dass ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine grosse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer, der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das gab ich auch. Schadet niemand und hilft wohl; man muss die Gläubigen stärken, lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal nannte, und von dem ich eben so wenig wusste, wie er zur Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, dass der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete beyden ganz leise, dass ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.
Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muss es Dir nur gestehen, dass ich den Artikel von der Vergebung der Sünden für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat erfinden können. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus, den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke, dass Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihm seine Natur führt. Eine missverstandene Humanität hat den Irrthum zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt in Ewigkeit gefehit; es lässt sich keine einzige Folge einer einzigen That aus der Kette der Dinge heraus reissen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht dieser Trost grossen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden; diese sollen zum Heile der Menschheit verzweifeln. Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer, das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im grössten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.
Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch aufmerksam, dass ich bey ihm ausserordentlich sicher sey, weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten grüsste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab, und blieben die Nacht an der Strasse in einem einzelnen Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der Landstrasse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese Landstrasse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als gewöhnlich.
Ich gebe Dir zu, dass in diesen Versen wenig Poesie ist; aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey bekannten grossen alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore, ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, dass die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt gewesen, dass er sie nicht musste abreissen lassen, dass er nachpflanzen sollte, dass es sein Vortheil seyn würde, dass jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; dass ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, dass man künftig in Pästum wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle bitten, die nehmlichen Erinnerungen eindringlich zu wiederholen, bis es fruchtet.
Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister zurück käme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. Man muss sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich einen Bruch zu schreiten. Dass einer von den Tempeln dem Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand dass er der vorzügliche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion gewesen seyn? Denn es lässt sich nicht wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich; unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor kurzem gefunden seyn muss, weil ich ihn noch von niemand angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fusse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines Feigenbaums eine grosse Schlange geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, dass Virgil atros colubros anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte zu seyn.
Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an der Strasse angehalten, und ein Offizier nicht mit der besten Physionomie setzte sich geradezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apologie über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. Ich hörte, dass mein Fuhrmann vorher sagte: E un signore Inglese: das half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posten gefasst hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so verblüfft, dass ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die doch auch zuweilen systematisch ungezogen genug ist. Als ich gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein Zweyter an: Sie sind ein Engländer? — Nein. — Aber ein Russe? — Nein. — Doch ein Pole? — Auch nicht. — Was sind sie denn für ein Landsmann? — Ich bin ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind ein Fremder und erlauben mir, dass ich Sie etwas begleite. — Sehr gern; es wird m angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte mich und ich ass tüchtig, in der Voraussetzung ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden. Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt, besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten über den ganzen Meerbusen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich in in der Fremde in Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offizieres wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umgebracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für wenigstens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er ganz leise, — braucht ihn. Hier fasste es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwortete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh kommt er los. — Wieder ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab Aemter und Ehrenstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Strassen und in Provinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände dabey genannt.
Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muss bey dem allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist als ob sie nur vor wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, dass die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabey einige französische Generale, von denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey der Sibylle ist es etwas anders.
Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, dass ich von Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame konnte, als wir absteigen mussten, zu Fusse nicht weit fort und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und drückend heiss. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weisst, eingestürzt, der Berg ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine eigentliche grössere Oeffnung mehr da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinunter gehen. Die Franzosen, welche es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiss, haben viel Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den rechten Weg nicht gefasst, weil ich eine andere kleinere Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde jene noch vorziehen, obgleich diese grösser ist. Nur die Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge ein grosses volles Gefäss. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In einem grossen Sommerhause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.
Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen, und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah bloss das Schloss und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die Statuen selbst sind in der Lava zusammen geschmolzen. So viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort gesehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine Kirche. Die Dame von Kaserta gab mir beym Abschied am Toledo ihre Addresse; ich hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.
Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische Nachbarschaft doch vielleicht ein grösseres Interesse, als irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte geniessen können. Ich setzte mich im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.
Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren zuweilen grosse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äussern Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbändiger hierher setzte.
Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, dass er sich auf seine eigenen Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiss seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muss, betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt haben. Du weisst dass ich die Schulmeisterey in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, dass sie besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleyen kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen; denn man lässt im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.
Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemisshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig dass er nicht des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger jungen Weiber und ihrer heissen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine Urbefugnisse genommen hat.