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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-05-18 13:06:32 +0200
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-05-18 13:06:32 +0200
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-rw-r--r--OEBPS/Text/21-an-alle-buehnen-der-welt.xhtml197
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index 0000000..79e98ce
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/21-an-alle-buehnen-der-welt.xhtml
@@ -0,0 +1,197 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
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+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>An alle Bühnen der Welt</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">AN ALLE BÜHNEN DER WELT</h3>
+
+<p>
+Ich fordere die Merzbühne.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere die restlose Zusammenfassung aller
+künstlerischen Kräfte zur Erlangung des Gesamtkunstwerkes.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere die prinzipielle Gleichberechtigung aller
+Materialien, Gleichberechtigung zwischen Vollmenschen,
+Idiot, pfeifendem Drahtnetz und Gedankenpumpe.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere die restlose Erfassung aller Materialien
+vom Doppelschienenschweißer bis zur Dreiviertelgeige.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere die gewissenhafteste Vergewaltigung der
+Technik bis zur vollständigen Durchführung der
+verschmelzenden Verschmelzungen.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere die abstrakte Verwendung der Kritiker und
+die Unteilbarkeit aller ihrer Aufsätze über die
+Veränderlichkeit des Bühnenbildes und die Unzulänglichkeit
+der menschlichen Erkenntnisse überhaupt.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere den Bismarckhering.
+</p>
+
+<p>
+Man setze riesenhafte Flächen, erfasse sie bis zur
+gedachten Unendlichkeit, bemäntele sie mit Farbe,
+verschiebe sie drohend und zerwölbe ihre glatte
+Schamigkeit. Man zerknicke und turbuliere endliche Teile und
+krümme löchernde Teile des Nichts unendlich zusammen.
+Glattende Flächen überkleben. Man drahte
+Linien Bewegung, wirkliche Bewegung steigt wirkliches
+Tau eines Drahtgeflechtes. Flammende Linien,
+schleichende Linien, flächende Linien überquert. Man lasse
+Linien miteinander kämpfen und sich streicheln in
+schenkender Zärtlichkeit. Punkte sollen dazwischensternen,
+sich reigen, und einander verwirklichen zur
+Linie. Man biege die Linien, knacke und zerknicke
+Ecken würgend wirbelt um einen Punkt. In Wellen
+wirbelnden Sturmes rausche vorbei eine Linie, greifbar
+aus Draht. Man kugele Kugeln wirbelnd Luft berühren
+sich. Einander durchdringend zereinen Flächen. Kisten
+kanten empor, gerade und schief und bemalt. In sich
+Klappcylinder versinken erdrosselt Kisten Kasten. Man
+setze Linien ziehend zeichnen ein Netz lasurierend.
+Netze umfassen verengen Qual des Antonius. Man
+lasse Netze brandenwogen und zerfließen in Linien
+dichten in Flächen, Netzen die Netze. Man lasse
+Schleier wehen, weiche Falten fallen, man lasse Watte
+tropfen und Wasser sprühen. Luft bäume man weich
+und weiß durch tausendkerzige Bogenlampen. Dann
+nehme man Räder und Achsen, bäume sie auf und
+lasse sie singen (Wasserriesenüberständer). Achsen
+tanzen mitterad rollen Kugeln Faß. Zahnräder wittern
+Zähne, finden eine Nähmaschine, welche gähnt.
+Empordrehend oder geduckt, die Nähmaschine köpft sich
+selbst, die Füße zu oben. Man nehme Zahnarztbohrmaschine,
+Fleischhackmaschine, Ritzenkratzer von der
+Straßenbahn, Omnibusse und Automobile, Fahrräder,
+Tandems und deren Bereifung, auch Kriegsersatzreifen
+und deformiere sie. Man nehme Lichte und deformiere
+sie in brutalster Weise. Lokomotiven lasse man
+gegeneinander fahren, Gardinen und Portieren lasse man
+Spinnwebfaden mit Fensterrahmen tanzen und
+zerbreche winselndes Glas. Dampfkessel bringe man zur
+Explosion zur Erzeugung von Eisenbahnqualm. Man
+nehme Unterröcke und andere ähnliche Sachen, Schuhe
+und falsche Haare, auch Schlittschuhe und werfe sie
+an die richtige Stelle, wohin sie gehören, und zwar
+immer zur richtigen Zeit. Man nehme meinetwegen
+auch Fußangeln, Selbstschüsse, Höllenmaschinen, den
+Blechfisch, in dem man Puddings backt (Kritiker) und
+den Trichter, natürlich alles in künstlerisch deformiertem
+Zustande. Schläuche sind sehr zu empfehlen. Man
+nehme kurz alles, von der Schraube des Imperators
+bis zum Haarnetz der vornehmen Dame, jedesmal
+entsprechend den Größenverhältnissen, die das Werk
+verlangt.
+</p>
+
+<p>
+Menschen selbst können auch verwendet werden.
+</p>
+
+<p>
+Menschen selbst können auf Kulissen gebunden werden.
+</p>
+
+<p>
+Menschen selbst können auch aktiv auftreten, sogar
+in ihrer alltäglichen Lage, zweibeinig sprechen, sogar
+in vernünftigen Sätzen.
+</p>
+
+<p>
+Nun beginne man die Materialien miteinander zu
+vermählen. Man verheirate z. B. die Wachstuchdecke
+mit der Heimstättenaktiengesellschaft, den Lampenputzer
+bringe man in ein Verhältnis zu der Ehe zwischen
+Anna Blume und dem Kammerton a. Die Kugel gebe
+man der Fläche zum Fraß und eine rissige Ecke lasse
+man vernichten durch 22 tausendkerzige Bogenlampenschein.
+Man lasse den Menschen auf den Händen gehen
+und auf seinen Füßen einen Hut tragen, wie Anna
+Blume. (Katarakte.) Schaum wird gespritzt.
+</p>
+
+<p>
+Und nun beginnt die Glut musikalischer Durchtränkung.
+Orgeln hinter der Bühne singen und sagen: „Fütt Fütt“.
+Die Nähmaschine rattert voran. Ein Mensch in der
+einen Kulisse sagt: „Bah“. Ein anderer tritt plötzlich
+auf und sagt: „Ich bin dumm“. (Nachdruck verboten.)
+Kniet umgekehrt ein Geistlicher dazwischen und ruft
+und betet laut: „O Gnade wimmelt zerstaunen Halleluja
+Junge, Junge vermählt tropfen Wasser.“ Eine
+Wasserleitung tröpfelt ungehemmt eintönig. Acht. Pauken und
+Flöten blitzen Tod, und eine Straßenbahnschaffnerspfeife
+leuchtet hell. Dem Mann auf der einen Kulisse
+läuft ein Strahl eiskaltes Wasser über den Rücken in
+einen Topf. Er singt dazu cis d, dis es, das ganze
+Arbeiterlied. Unter dem Topfe hat man eine
+Gasflamme angezündet, um das Wasser zu kochen, und
+eine Melodie von Violinen schimmert rein und mädchenzart.
+Ein Schleier überbreitet Breiten. Tief dunkelrot
+kocht die Mitte Glut. Es raschelt leise. Anschwellen
+lange Seufzer Geigen und verhauchen. Licht dunkelt
+Bühne, auch die Nähmaschine ist dunkel.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere Einheitlichkeit in der Raumgestaltung.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere Einheitlichkeit in der Zeitformung.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere Einheitlichkeit in der Begattungsfrage, in
+bezug auf Deformieren, Kopulieren, Überschneiden.
+Das ist die Merzbühne, wie sie unsere Zeit braucht.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere Revision aller Bühnen der Welt auf der
+Grundlage der Merzidee.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere sofortige Beseitigung aller Übelstände.
+</p>
+
+<p>
+Vor allen Dingen aber fordere ich die sofortige
+Errichtung einer internationalen Experimentierbühne zur
+Ausarbeitung des Merzgesamtkunstwerkes.
+</p>
+
+<p>
+Ich fordere in jeder größeren Stadt die Errichtung von
+Merzbühnen zur einwandfreien Darstellung von
+Schaustellungen jeder Art. (Kinder zahlen die Hälfte.)
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>