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<title>An alle Bühnen der Welt</title>
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<div class="prose">
<h3 class="center">AN ALLE BÜHNEN DER WELT</h3>
<p>
Ich fordere die Merzbühne.
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Ich fordere die restlose Zusammenfassung aller
künstlerischen Kräfte zur Erlangung des Gesamtkunstwerkes.
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Ich fordere die prinzipielle Gleichberechtigung aller
Materialien, Gleichberechtigung zwischen Vollmenschen,
Idiot, pfeifendem Drahtnetz und Gedankenpumpe.
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Ich fordere die restlose Erfassung aller Materialien
vom Doppelschienenschweißer bis zur Dreiviertelgeige.
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Ich fordere die gewissenhafteste Vergewaltigung der
Technik bis zur vollständigen Durchführung der
verschmelzenden Verschmelzungen.
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Ich fordere die abstrakte Verwendung der Kritiker und
die Unteilbarkeit aller ihrer Aufsätze über die
Veränderlichkeit des Bühnenbildes und die Unzulänglichkeit
der menschlichen Erkenntnisse überhaupt.
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Ich fordere den Bismarckhering.
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<p>
Man setze riesenhafte Flächen, erfasse sie bis zur
gedachten Unendlichkeit, bemäntele sie mit Farbe,
verschiebe sie drohend und zerwölbe ihre glatte
Schamigkeit. Man zerknicke und turbuliere endliche Teile und
krümme löchernde Teile des Nichts unendlich zusammen.
Glattende Flächen überkleben. Man drahte
Linien Bewegung, wirkliche Bewegung steigt wirkliches
Tau eines Drahtgeflechtes. Flammende Linien,
schleichende Linien, flächende Linien überquert. Man lasse
Linien miteinander kämpfen und sich streicheln in
schenkender Zärtlichkeit. Punkte sollen dazwischensternen,
sich reigen, und einander verwirklichen zur
Linie. Man biege die Linien, knacke und zerknicke
Ecken würgend wirbelt um einen Punkt. In Wellen
wirbelnden Sturmes rausche vorbei eine Linie, greifbar
aus Draht. Man kugele Kugeln wirbelnd Luft berühren
sich. Einander durchdringend zereinen Flächen. Kisten
kanten empor, gerade und schief und bemalt. In sich
Klappcylinder versinken erdrosselt Kisten Kasten. Man
setze Linien ziehend zeichnen ein Netz lasurierend.
Netze umfassen verengen Qual des Antonius. Man
lasse Netze brandenwogen und zerfließen in Linien
dichten in Flächen, Netzen die Netze. Man lasse
Schleier wehen, weiche Falten fallen, man lasse Watte
tropfen und Wasser sprühen. Luft bäume man weich
und weiß durch tausendkerzige Bogenlampen. Dann
nehme man Räder und Achsen, bäume sie auf und
lasse sie singen (Wasserriesenüberständer). Achsen
tanzen mitterad rollen Kugeln Faß. Zahnräder wittern
Zähne, finden eine Nähmaschine, welche gähnt.
Empordrehend oder geduckt, die Nähmaschine köpft sich
selbst, die Füße zu oben. Man nehme Zahnarztbohrmaschine,
Fleischhackmaschine, Ritzenkratzer von der
Straßenbahn, Omnibusse und Automobile, Fahrräder,
Tandems und deren Bereifung, auch Kriegsersatzreifen
und deformiere sie. Man nehme Lichte und deformiere
sie in brutalster Weise. Lokomotiven lasse man
gegeneinander fahren, Gardinen und Portieren lasse man
Spinnwebfaden mit Fensterrahmen tanzen und
zerbreche winselndes Glas. Dampfkessel bringe man zur
Explosion zur Erzeugung von Eisenbahnqualm. Man
nehme Unterröcke und andere ähnliche Sachen, Schuhe
und falsche Haare, auch Schlittschuhe und werfe sie
an die richtige Stelle, wohin sie gehören, und zwar
immer zur richtigen Zeit. Man nehme meinetwegen
auch Fußangeln, Selbstschüsse, Höllenmaschinen, den
Blechfisch, in dem man Puddings backt (Kritiker) und
den Trichter, natürlich alles in künstlerisch deformiertem
Zustande. Schläuche sind sehr zu empfehlen. Man
nehme kurz alles, von der Schraube des Imperators
bis zum Haarnetz der vornehmen Dame, jedesmal
entsprechend den Größenverhältnissen, die das Werk
verlangt.
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<p>
Menschen selbst können auch verwendet werden.
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Menschen selbst können auf Kulissen gebunden werden.
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Menschen selbst können auch aktiv auftreten, sogar
in ihrer alltäglichen Lage, zweibeinig sprechen, sogar
in vernünftigen Sätzen.
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Nun beginne man die Materialien miteinander zu
vermählen. Man verheirate z. B. die Wachstuchdecke
mit der Heimstättenaktiengesellschaft, den Lampenputzer
bringe man in ein Verhältnis zu der Ehe zwischen
Anna Blume und dem Kammerton a. Die Kugel gebe
man der Fläche zum Fraß und eine rissige Ecke lasse
man vernichten durch 22 tausendkerzige Bogenlampenschein.
Man lasse den Menschen auf den Händen gehen
und auf seinen Füßen einen Hut tragen, wie Anna
Blume. (Katarakte.) Schaum wird gespritzt.
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<p>
Und nun beginnt die Glut musikalischer Durchtränkung.
Orgeln hinter der Bühne singen und sagen: „Fütt Fütt“.
Die Nähmaschine rattert voran. Ein Mensch in der
einen Kulisse sagt: „Bah“. Ein anderer tritt plötzlich
auf und sagt: „Ich bin dumm“. (Nachdruck verboten.)
Kniet umgekehrt ein Geistlicher dazwischen und ruft
und betet laut: „O Gnade wimmelt zerstaunen Halleluja
Junge, Junge vermählt tropfen Wasser.“ Eine
Wasserleitung tröpfelt ungehemmt eintönig. Acht. Pauken und
Flöten blitzen Tod, und eine Straßenbahnschaffnerspfeife
leuchtet hell. Dem Mann auf der einen Kulisse
läuft ein Strahl eiskaltes Wasser über den Rücken in
einen Topf. Er singt dazu cis d, dis es, das ganze
Arbeiterlied. Unter dem Topfe hat man eine
Gasflamme angezündet, um das Wasser zu kochen, und
eine Melodie von Violinen schimmert rein und mädchenzart.
Ein Schleier überbreitet Breiten. Tief dunkelrot
kocht die Mitte Glut. Es raschelt leise. Anschwellen
lange Seufzer Geigen und verhauchen. Licht dunkelt
Bühne, auch die Nähmaschine ist dunkel.
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Ich fordere Einheitlichkeit in der Raumgestaltung.
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Ich fordere Einheitlichkeit in der Zeitformung.
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Ich fordere Einheitlichkeit in der Begattungsfrage, in
bezug auf Deformieren, Kopulieren, Überschneiden.
Das ist die Merzbühne, wie sie unsere Zeit braucht.
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Ich fordere Revision aller Bühnen der Welt auf der
Grundlage der Merzidee.
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Ich fordere sofortige Beseitigung aller Übelstände.
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Vor allen Dingen aber fordere ich die sofortige
Errichtung einer internationalen Experimentierbühne zur
Ausarbeitung des Merzgesamtkunstwerkes.
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<p>
Ich fordere in jeder größeren Stadt die Errichtung von
Merzbühnen zur einwandfreien Darstellung von
Schaustellungen jeder Art. (Kinder zahlen die Hälfte.)
</p>
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</body>
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