TOD EINES SEEBÄREN

SEIT Kaiser Schnurrbart die Mode auf dem Kontinent kreiert hatte und auch im Königreich Kujavien jene reizenden Galeeren, die man Dreadnoughts nennt, eingeführt worden waren, kannte der Hochmut der Marineoffiziere dieses Landes keine Grenzen. Daß Jeremej, der junge Herrscher, niemals in einer anderen als der Admiralsuniform gesehen und photographiert wurde, mußte die frevelhafte Überhebung der Seeleute steigern, namentlich aber den Neid aller Kasten hervorrufen, die bis dahin den Großherrn mit einiger Berechtigung den Ihrigen hatten nennen können. Dubrogin, der Oberste der Spione, welcher übrigens dieser Bezeichnung den Titel eines Polizeiministers vorzuziehen liebte, ergrünte vor invidiöser Wut. Hatte doch früher er den um seine Sicherheit bangenden Fürsten besessen und reichen Sold und große Ehrungen zur Stärkung seiner dem Regenten teueren Lebensenergien bezogen. Nun hingegen vertraute der treulose Monarch den Schutz seiner Existenz den Seefahrern an, in deren Gesellschaft er die Tage seines Lebens verabschiedete.

Dies war so gekommen: die Küste des Reiches, die Gestade des Blutigen Meeres, beschmutzten Stämme der Skiapoden und Monokotyledonen, und um deren Sprach- und Futterstreitigkeiten, sowie daraus erfolgenden Aufruhr in Schranken zu halten, bedurfte es einer stets paraten, bewaffneten Macht. Da die Seebehörden die nächsten am Platze waren, hatten sie wiederholt eingegriffen und durch ihre geräuschlosen Gewalttätigkeiten die Aufmerksamkeit des Landesherrn auf sich gelenkt und sie schließlich in dem angegebenen Grade zu fesseln gewußt. Der Oberste der Spione aß vor Wut darüber seinen Bart, ja, er ward der Freuden dieser Welt überdrüssig. Solches wurde also sichtbar: Im Königreiche Kujavien wie überhaupt in der gesamten Biosphäre sind die meisten Wesen genötigt, durch Einsatz und Preisgabe einzelner Körperteile und Fähigkeiten die übrigen zu ernähren. Dieses Lebensgesetz führt zu fast grotesken Nutzanwendungen. Zum Beispiel: eine verhältnismäßig große Anzahl von Mädchen kann nicht anders als durch jedermann anheimgestellte Benützung ihrer Leibesöffnungen den Magen mit Speisen füllen. Diese nichts als tragikomische Beschäftigung hatte aber irgendein alter Prophet, der sich von Gurkensalat nährte, scheinbar verurteilt. Demzufolge und aus vielen anderen ebenso triftigen Gründen müssen die Mädchen, wenn sie trotzdem auf die beschriebene Art zu eiweißhaltigen Substanzen gelangen wollen, Tribut zahlen, die Grausamkeit der über sie verhängten Gesetzesdrachen einlullen, in Schlaf wiegen. Also mußte, gleichwie jedes einzelne der Weibchen Körperteile zugesetzt, prostituiert hatte, auch die Gesamtheit, die Zunft, eines ihrer Glieder opfern, es den Spionen zum Fraße hinwerfen. So ward denn eines Tages nach alter Sitte ein Mägdlein namens Lisaweta seiner Schönheit wegen zum Opferlamm auserkoren. Mit Blumen, Bändern und Edelsteinen aufs herrlichste geschmückt, einen Myrtenkranz auf dem Haupte, wurde sie von ihren weißgekleideten Genossinnen unter frommen Gesängen unserem Dubrogin dargebracht, daß er segnend seine Hände auf sie lege und die Blüte ihres Leibes verkoste. Er aber befahl ihr nicht, ihren Körper zu entblößen und sich zu lagern, der Tyrann gab ihr keinen einzigen seiner Blicke, die Lieder ihrer Augen und der Gesang ihrer Schenkel rührte ihn nicht, und das arme Kind, sich so verschmäht sehend, vergoß reichliche Tränen, und es brach ihr das Herz.

Die Späher in ihren Höhlen sannen vergebens darüber nach, was wohl die Mißstimmung ihres Häuptlings hervorgerufen haben möge? Aber einer unter ihnen, der bislang noch nie eine Erhöhung der zu seiner Mast bestimmten Speiserationen hatte bewirken können, im Gegenteil von jedem diesbezüglichen Bittgang mit zertretenem Zylinder heimgekehrt war, besaß ein kluges und ehrgeiziges Weib. Sie erriet die Ursache der Verstörtheit des Gewaltigen, und nicht genug daran: es fiel ihr ein Mittel ein, wie geschaffen, dem Regenten die Freude am Umgang mit den Wassermännern zu zerstören.

Wenn nämlich die Seebären nach langer Fahrt ans Land steigen, befällt sie regelmäßig eine unendliche Sehnsucht nach Seebärinnen. Viele aber unter ihnen, nicht fähig, eine große Ewigkeit enthaltsam zu überstehen, hatten ihre Lust mangels an so vollendet angepaßten Materien, wie es Mädchen sind, an minder geeigneten Objekten gebüßt und fürchteten nun, dadurch an Liebenswürdigkeit verloren zu haben, die Prüfungen bei ihren Damen nicht zu bestehen und der Strenge des Auswahlgesetzes zum Opfer zu fallen. Obgleich manche aus ihrer Mitte berufen waren, dereinst an der Spitze ganzer Geschwader zu stehen, hatten sie doch nicht so viel allgemeine Bildung, um zu wissen, daß diese Verstimmung ihrer Generationswerkzeuge nur kurze Zeit anhalten, späterhin, kraft eines Weltprinzips, die Funktion das Organ tauglich schaffen würde. Unwissend lechzten sie nach Gewaltmitteln, die ihren Liebeswillen ins Ungeahnte steigern könnten. Diesem ihren Wunsche kam die Frau jenes beförderungssüchtigen Unterspähers entgegen. Sie erinnerte sich der Tage, an denen sie sich zu ihrer höchsten Befriedigung gemeinsam mit dem uralten Fürsten Yohimbin jenen transversalen Schwingungen überlassen hatte, deren innerer Gang und Rhythmus vielleicht dem der Bewegungen sehnsüchtig an- und auseinanderprallender Sterne gleicht. Tückisch sandte sie zahlreichen Kapitänen magische Zigarren, die angeblich ein vortreffliches Aphrodisiakum waren, in Wirklichkeit jedoch einen Stoff enthielten, zu dessen nebensächlichen Eigenschaften es gehörte, das menschliche Leben wesentlich abzukürzen. Ein Meergreis versuchte eine der Zauberzigarren, und sein Leib gab sich den Wirkungen des Giftes hin.

Dies geschah gerade zu der Zeit, da ein ansehnliches Kometenmännchen sich der Erde in Liebe zu nähern begann. Es wollte ein zartes Liebesspiel spielen, die Veteranen aber und die Bürger beschlossen aus einer Art Patriotismus, ihre Schädel recht hart zu machen, um, soviel an ihnen lag, Widerstand zu leisten, die Erde zu verteidigen. Vielleicht ganz gegen die Absicht ihrer Herrin und Ernährerin, die wohl längst von solchem Zusammenstoß geträumt hatte.

Trotz der Koinzidenz mit einem so seltenen Ereignis rief der Tod des Admiralaspiranten großes Aufsehen hervor. Von den Spionen bestochene Gazetten führten den Meuchelmord auf avancementlüsternen Brotneid zurück, und Jeremej, der junge König von Kujavien, entsetzt über so niedrige Gesinnungen und für sein Leben bangend, mied die Gesellschaft der Seeteufel und flüchtete eilends in die Windeln, die Dubrogin für ihn bereit hielt. Doch bald ermannte er sich wieder und verließ seinen Schlupfwinkel, ja! er konnte den Augenblick nicht erwarten, da ihm der Leibdiener die Admiralsjacke ausgezogen haben würde. Und jetzt geht der glorreiche Monarch auf und ab, rastlos auf und ab, Extraausgaben der namhaftesten Zeitungen sind in Vorbereitung, alle Untertanen harren in gespanntester Aufmerksamkeit des Momentes, der ihnen die Nachricht bringt, welche Uniform er nun tragen wird — dem Kometen entgegen.