Fünfzehntes Kapitel

Bebuquin soll in der folgenden Nacht lange und im Zusammenhange gesprochen haben. Er sagte in der Leere des Zimmers:

»Ich beginne die Rede vom Tod im Leben, von der grossen Ruhe, von der reinen Armut und der leeren Lauterheit.

Eins geht durchs Leben und ist sehr lebendig, das bist Du, allzuhäufiges Wort Nein. Aber eins steht und wird sehr geachtet, o Ruhe.

Ich weiss, du bist verführerisch wie die Tiefe des Wassers für junge Mädchen, die am Morgen unter Vermischtem gedruckt sind.

Du bist sicher die Mutter der Vollendung und der Vater der Metaphysik; denn nur in der Ruhe ist Festigkeit und dauerndes Ende,

Ist stete Isolierung, und es wird nichts ververmischt.

Ich aber stehe und fluche dir,

du Müdigkeit, die mir Gedanken und Augen betäubtest,

meine schnellen Füsse versanden liessest;

du müdes Hirn und träges Blut,

die ihr nicht mal den Tod erwartet,

ihr Gleichgültigen.

Der aber ist ins Leben verwickelt,

und jeder Tag Mühe und Wachstum ist ein Tag Tod.

Und wer mag von beiden Recht behalten? Ich glaube, sie beide sind sich gleich und eines, und das Leben hebt sich selbst auf.

Du totes Leben!

Der Platoniker, der denkt, diskutiert, und sein mühsam Ziel eine Sicherheit und Ruhe.

Ziele erregen die Kraft und beenden sie.

Wer weiss, ob die gefundene Idee mehr fördert als bewegt.

Sie stärkt vielleicht dich, primitive Sicherheit, dich, Geist, ich verbeuge mich nicht;

doch er lehrt den Toren, um Dich hundert Dinge verachten.

Und ich sah nur, dass ein Mensch ein Kräftewirbel ist, von dem einiges ausfliesst, und anderes geht in ihn ein, bis Du, Ruhe, kommst.

O Reinheit, was sagst Du anderes, als, Du erträgst nur Geringes.

Und die Lehre von der Armut meint dasselbe.

Ihr seid sehr hohe Erkenntnisse gewesen.

Tod und Endlichkeit, du bist der Erzeuger unserer Arbeit, du treibst uns zur Mühe, und vielleicht bist du der Vater des Lebens, und dies keimt gering nur vor Dir auf.

Du lässt die Gestirne leuchten und zeigst unsere geringe Kraft; denn Mond und Sonne scheinen einander zu in notwendiger Umarmung. Wir jedoch können nur nach einem Gestirn handeln, und dem Auge sind sie sich ausschliessende Gegensätze.

Tod, du bist der Vater der Zeugung, und du gabst uns Menschen alles Endliche, bestätigst unsere Sinne, welche Formen sehen, hören, schmecken und bejahst die Ahnung des vielleicht dilettantischen Geistes, damit wir sehen dürfen und eines schauen – damit wir denkend nichts sehen.

Ich bin ein Vollstrecker für Dich, Tod. Ich will es sagen, dass nur Gestorbene sterben; wenn einer jung und kräftig stirbt, vielleicht stirbt er für einen anderen.

Du gabst uns Begierden und Ziele, und wir wehren uns gegen Dich durch Zeitloses, durch seiende Ideen, durch den Anspruch auf Totalität. Aber vielleicht sind das deine geringsten Formen.

Tod, du Vater des Humors, wenn dich ein Wunder, das ich mit meinen Augen sehe, vernichtete;

dein Feind ist das Phantastische, das ausser den Regeln steht; aber die Kunst zwingt es zum stehen, und erschöpft gewinnt es Form.

Ich nenne dich, Tod, den Vater der Intensität, den Herrn der Form.

So steht es für dieses Leben.«

Die Nacht trat in die Stube.

Ein alter Mann kam in die Stube; er sprach:

»Verzeihen Sie, ich wohne seit langem unter Ihnen, es fällt mir sehr schwer zu sprechen, bin es seit langem nicht mehr gewohnt. Ich komme nur, um zu sagen: ich bin seit langem tot durch meinen Willen; ich lebte nur scheinbar, seien Sie bitte dabei, um zu konstatieren, dass ich den Tod hintergangen habe. Ich sterbe als der grösste Humorist.«

Der alte Herr sank zusammen, er war ruhig und starr. Dann schrie er laut auf und sagte:

»Der war doch schlimmer, ich betrog nur das Leben und mich.«

Bebuquin trug den Leichnam in die Wohnung des Alten. Er schaute ihn ein längeres an, dann ging er in seine Wohnung.

Er schaute durch das Fenster zur breiten Baumallee hinunter, einige Menschen kamen mühselig wandernd vorüber und riefen:

»Das Gesetz ist die grosse tötende Ausnahme, wir gehen in den Dingen, die Wunder zu suchen.«

Bebuquin wandte sich vom Fenster ab, der Mond schien ihm sein erstauntes Loch in den Rücken, er setzte sich hin, schaute auf seine Hände, die noch nie gearbeitet hatten, und sprach lange.

»Gleichgültigkeit, woraus bist Du wohl gewebt, war die allzu grosse Empfindlichkeit Dein Ursprung, oder die Kraft, die der opulenten Natur gleichkommt? Ich sah schon viele aus Gleichgültigkeit die absonderlichsten Capricen begehen, und schon mancher war es aus Furcht vor der eigenen Wut. O Erstarrnis, stagnierender Tod; Versteinerung und Schlaf, ihr fristet uns das Leben, das sich wütend aufbrauchte ohne eure Hemmung.

O Krankheit, komme, nur du kannst mir Grenzen geben, Gott lass mich einen ungeheuren Schmerz empfinden, damit der Geist paralysiert werde; oder vielleicht, o Hoffnung, schafft die Krankheit einen neuen Körper, fähig zu den sonderlichen Dingen, deren ich bedarf.

Herr, ich weiss, am Ende eines Dinges steht nicht sein Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse gehen zum Wahnsinn. Ich bin geschaffen zu erkennen und zu schauen, aber Deine Welt ist hierzu nicht gemacht; sie entzieht sich uns; wir sind weltverlassen. Suchen wir Dich, o Gott, dann sterben wir in der lautlosen Erstarrung, und es ist keine Erkenntnis, sondern Du bist das Ende.

Herr, lass mich einmal sagen,

ich schuf aus mir.

Sieh mich an, ich bin ein Ende, lass mich eine unabhängige Tat, ein Wunder tun.

O Nacht der Verwandlung, wann kommst du, wo ich diesen Körper vergesse, ja, ihn abstreife, und die Dinge anderes bedeuten und anderes sind, denn je sonst; die Glieder werden selbstständig, die Teile beginnen zu reden. Die Auflösung, sie ist die Verwandlung und sei mir ein Anfang.«