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In den Zeitungen stehn Annoncen ‚Ein Riesenposten entzückender Abendkleidchen in allen Modefarben‘ oder ‚Meine spottbilligen Ausverkäufe in pelzbesetzten Mänteln‘, dazu Name und Adresse der Firma irgendwo im Osten. Sind wir neugierig, dort hinzugehn (wir: das ist die Frau, die mir dies erzählt), so kommen wir in Magazine, die auf elende Höfe hinausgehn und deren Aufmachung auf allen Glanz verzichtet. Wir befinden uns in einer Atmosphäre, die dem Kauf und Verkauf in ähnlicher Weise günstig ist wie die der Pariser Warenhäuser. Zwar hat kein Chef oder Rayonchef die Kenntnis des Frauenherzens, die dem Pariser eingibt, der Zögernden ein freundliches ‚fouillez, Madame‘ zuzurufen, aber auch hier gilt das Prinzip, erst einmal die Schleusen der unkontrollierten Berührung zu öffnen, bis sie zum Begehren wird, das alle Dämme der Vernunft sprengt und überfließend die Kasse füllt. Deutlich mit Preisen gezeichnet, hängen zerdrückte Spitzenkleider, flitterbestickte Musseline, schäbige Samtcapes mit undefinierbaren Pelzkragen, elende, billige Pracht. Blumen drängen sich in Kartons, auf Tabletts Schmuckstücke, deren Vorteil es ist, Schäden zu haben, die fast gar nicht sichtbar sind. In hohen Stapeln, anheimelnd durcheinandergezerrt, liegt rosa und violette Wäsche, reich mit Spitzen garniert, die aus der Ferne luxuriös wirkt, daneben stehn Abendschuhe mit Schnallen aus Diamanten und Smaragden. Das Publikum dieser Basare der Restbestände oder Konkursverkäufe besteht durchaus nicht nur aus freiwillig oder berufsmäßig ‚Koketten‘. Es gibt nämlich zwischen dem falschen Glanz auch vernünftige Artikel, grobe Bettücher und derbe Lederstiefel, Bettvorleger und Stores, deren Preise, wenn auch nicht herabgesetzt, so doch nicht zu unterbieten sind. Der Name dieser Häuser ist auch im Westen Berlins bekannt. Es geht von ihnen der Reiz des Zufälligen, der Gelegenheit aus, auf den die Frauen reagieren, der sie neugierig und gespannt macht, auch wenn es sich um nichts andres handelt, als ein halbes Dutzend Taschentücher einzukaufen oder ein Paar warme Handschuhe.
Ja, sonst gibt es in diesen Straßen auch recht langweilige Geschäfte mit leblosen Auslagen, die nichts weiter suggerieren als einen Austausch von Ware und Geld. Wir werden erst wieder wach vor der strahlenden Helle des Riesenkomplexes Warenhaus. Ist es auch nicht so gedrängt, so nachlässig künstlerisch, so listig üppig hier wie an dem Ort, den wir verlassen haben, so genießen wir doch vor diesem geordneten Reichtum an Waren aller Art die Vielfalt, vor der unsere Bedürfnisse, die uns eben noch so erheblich erschienen, plötzlich Liliputmaß annehmen. Aber uns kann geholfen werden. Die Verkäufer und Verkäuferinnen haben den ‚Dienst am Kunden‘ von Grund auf studiert. Die großen Kaufhausfirmen haben Schulen ins Leben gerufen, in denen Lehrer, die an Handelshochschulen vorgebildet sind, den jungen Mädchen Anschauungsunterricht über die Behandlung der Ware und der Kunden geben. Wir ahnen gar nicht, was für geschulten Künstlerinnen des Verkaufs und der richtigen Suggestion wir gegenüberstehn, wenn uns die kleinen Fräulein von Wertheim und Tietz sanft in ihren Bannkreis ziehn.
Berlins große Warenhäuser sind nicht verwirrende Basare bedrängender Überfülle, sondern übersichtliche Schauplätze großer Organisation. Und sie verwöhnen ihre Besucher durch das hohe Niveau ihres Komforts. Kauft man vom kreisenden Ständer aus blitzendem Messing einen Meter rosa Gummiband, so darf der Blick, während unsere Ware auf Blocks eingetragen wird, auf Marmor ruhn, an Spiegeln entlang und über glänzendes Parkett gleiten. In Lichthöfen und Wintergärten sitzen wir auf Granitbänken, unsere Päckchen im Schoß. Kunstausstellungen, die in Erfrischungsräume übergehn, unterbrechen die Lager der Spielwaren und Badeausstattungen. Zwischen dekorativen Baldachinen aus Samt und Seide wandern wir zu Seifen und Zahnbürsten. Merkwürdig, wie wenig in diesen der großen Masse gewidmeten Kaufhäusern dem Bedürfnis nach Kitsch Rechnung getragen wird. Die Mehrzahl der angebotenen Dinge ist fast nüchtern. ‚Anständig‘ ist das Adjektiv, dem der Geschmack nicht widerstehn kann. Nur in Handarbeitslagern und bei Galanteriewaren häufen sich die bedenklicheren Einfälle. In den Lagern der Konfektion sieht man nur Gediegenes, Unauffälliges, das sich der Mode mit einem gewissen Zaudern und Widerstreben annähert und sie eher zu vertuschen sucht, als daß es ihr entgegenkommt. Ein wenig leer ist es in dieser Gegend, es ist, als fehle ein vermittelndes Element. Da wirken die Stapel der Kochtöpfe und Backformen, der Gardinenringe und Frühstückservice erheblich bunter und munterer.
Nah beim Quartier der Konfektion liegt an drei Straßenfronten eins der berühmtesten Modehäuser von Berlin. Seine Modelle ziehen das große Publikum an. Aus allen — außer den exklusivsten — Kreisen, die sich für Mode interessieren, sitzen Damen an zart gedeckten Tischen, an denen die hübschen Mannequins sich entlang schlängeln. Bei den Klängen einer Kapelle schreiten sie in duftigen und feierlichen Kleidchen und lächeln von Beruf und damit man sie von den Damen unterscheide, die verspätet ankommen oder verfrüht weggehn.
Dies Haus mit seiner nicht unberechtigten Prätention ist der hinausgeschobene Vorposten der Mode, deren Gebiet eigentlich erst anfängt, wo das Zentrum und der alte Westen sich berühren. In Leipziger- und Friedrichstraße gehören ihr schon viele Auslagen, oft Haus an Haus. Aber erst wenn man die Fronten des Warenhauses von Wertheim und die Blocks der Hotels beim Potsdamer Platz hinter sich gelassen hat und in die Bellevue- oder Friedrich Ebertstraße einbiegt, nähert man sich dem Hauptquartier in der Lennestraße am Saum des Tiergartens. Die Mode wohnt — im Gartenhaus.
Da flimmern durch das Grün der Vorgärten die Goldlettern der Namen, die Geschmack bedeuten. Da sieht man in den späteren Vormittagstunden und am frühen Nachmittag Reihen von Autos, sehr gepflegten, sehr ‚rassigen‘, aus den Katalogen der Autofirmen herausgerollt in ihrer funkelnagelneuen Tadellosigkeit. Ernste Chauffeure erwarten die ‚gnädige Frau‘. Von den Verkäuferinnen wird sie so devot empfangen, als wären die Wellen der absoluten Monarchie noch nicht verebbt. An Rokokosesseln vorbei wird sie über geblümte Teppiche in den Salon geleitet, der Chef eilt herbei, der ‚small talk‘ Wetter, Reise, Gesundheit wird erledigt, während die Mannequins ihren Wandel vor der Kundin antreten. Meist macht der Chef einen unzufriedenen Eindruck, er zupft an Schleifen, gibt einem Gürtel neues Arrangement, wiegt bedenklich den Kopf. Selten nur sieht man das hingerissene Lächeln der Verkäuferinnen in den Pariser Modehäusern, die ihre blinde Liebe zu vermitteln verstehn. Aber die ‚angezogne‘ Berlinerin scheint die Haltung des Chefs nicht zu stören. ‚Sie wissen schon, was mir steht‘, ist eine Redewendung, die ihn nicht als Schmeichelei, sondern als Appell trifft. Er weiß es auch jedenfalls besser. Hat er doch in Paris die Kollektionen der wichtigsten Modeschöpfer gesehen und schon beim Défilé der Mannequins seine Auswahl in Hinblick auf Frau von X. und Frau Z. getroffen. Allzuviel Möglichkeiten gibt es da gar nicht. Das Berliner Gesellschaftsbild kann so lange als einförmig gelten, als die Frau auf die Auswahl angewiesen sein wird, die man ihr als ‚Crème‘ der Pariser Produktion vorsetzt. Immer wieder ereignet sich das Fatale: drei oder vier Damen begegnen sich im gleichen Kleid. Ist es da ein Trost, daß sie alle den ‚Schlager‘ der Saison besitzen? Noch ist Berlin, vom Standpunkt der Gesellschaft aus betrachtet, klein und die Eleganz der Dame ein Produkt aus zweiter Hand. Aber schon kommt ein neuer Frauentyp auf, der den Sieg davonträgt über die, deren Schneider und Putzmacherin am Tiergarten wohnen, die junge Avant-Garde, die Nachkriegsberlinerin. Um 1910 müssen ein paar besonders gute Jahrgänge gewesen sein. Sie haben Mädchen hervorgebracht mit leicht athletischen Schultern. Sie gehn so hübsch in ihren Kleidern ohne Gewicht, herrlich ist ihre Haut, die von der Schminke nur erleuchtet scheint, erfrischend das Lachen um die gesunden Zähne und die Selbstsicherheit, mit der sie paarweise durch das nachmittägliche Gewühl der Tauentzienstraße und des Kurfürstendamms treiben; nein, treiben ist nicht das richtige Wort. Sie machen ‚crawl‘, wenn die andern Brustschwimmen machen. Scharf und glatt steuern sie an die Schaufenster heran. Wo haben sie nur die hübschen Kleider her, die Hüte und Mäntel? Neben den wenigen großen, die bereits bis hierher vorgestoßen sind, gibt es im bayrischen Viertel, in der Gegend der Kurfürstenstraße, in Nebenstraßen des Kurfürstendamms eine ganze Menge kleiner Modegeschäfte. Die begnügen sich häufig mit einem Vornamen als Enseigne. Sie haben wohl auch ein, zwei Pariser Modelle. Vogue und Femina liegen aus, Harpers Bazar, Art, Goût et Beauté. Die Besitzerin des Ladens hat leichte Finger und die Kundin genaue Kenntnis der eignen Gestalt und Spaß an dem Zusammenspiel von Phantasie und Präzision. Diese Jugend fängt an, einen Stil zu finden, gleich weit von dem Snobismus der ‚Marke‘ und der Gleichgültigkeit, die sich mit der Serie begnügt. Ist es schon wahr, was man immer lauter und allgemeiner zu behaupten anfängt, die Berlinerin könne sich an Eleganz mit den besten Europäerinnen messen? Wir wollen nicht kleinlich nachprüfen, wie es sich genau damit verhält. Es soll uns genügen, diese Scharen von jungen und jüngsten Mädchen zu sehn, dieses Défilé von Jugend und Frische in den knappen, gut sitzenden Kleidern mit den Hütchen, denen eine Locke entquillt, die elastischen Schritte der langen Beine, um überzeugt zu sein, daß Berlin auf dem besten Wege ist, eine elegante Stadt zu werden.