Meine Ronde ist vollendet und ich bin wieder bey unsern väterlichen Laren an der Pleisse. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein freundliches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin haben unsere Landsleute gezeigt, dass sie nicht Schuld an den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau ging ich vorbey und hielt mich immer die Strasse nach Fulda herein. Die Hitze des vorzüglich heissen Sommers drückte mich zwar ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der Durst war brennend, und auf meiner ganzen Wanderung habe ich vielleicht keine so grosse Wohlthat genossen, als da ich sodann links an der Strasse eine schöne Quelle fand. Leute welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen haben, haben davon keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie nicht so fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe dieses und jenes versucht. In Hünefeld war Schiessen, die Gesellschaft der Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte das Vergnügen die Musik so gut zu hören, als man sie wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, thut nichts; sie können das Gute doch nicht ganz verderben, eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und Unvernunft ganz ausrotten kann.

In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des alten Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und Kassel und von da nach Amerika geliefert. Jetzt sollen dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn. Doch möchte ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie sind nicht sicherer als die Demagogischen. Es wäre unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört willkührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme haben. Der Adel ist nicht reich und abhängig vom Hofe. Die Minister und Generale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine Verwandten. Die grossen Offiziere gewannen Geld und Ehre, die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermass treu und brav. Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klassiker gelesen zu haben, dass die Katten lange vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden Verbindungen aufgegeben.

Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu haben waren, mich hinüber zu schaffen, liess sich die Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht einleuchten wollte, war, dass man überall so viel herrliches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes Beyspiel, dass der Mensch ein Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oekonomie mehr merkantilisch als patriotisch berechnet.

Ich liess mich den andern Morgen meinem Freunde ohne meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wusste vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und seinen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Gesellschaft.

Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bonhommie des Charakters, dass ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse hätte anvertrauen wollen, um sie an einem bezeichneten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem Ländchen weniger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du kannst also glauben, dass ich nicht aus Gefälligkeit rede. So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung und Verehrung gegen den Herzog gefasst Um einen Fürsten zu sehen braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen, oder gar die Gnade zu geniessen ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft; vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regierung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel spricht und wenig thut.

Schon in Paris hatte ich gehört die Preussen wären in Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, dass ich ein Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die Grossmuth und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten, rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen konnte und machen musste. Wenn Sachsen eine Macht von hundert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mich däucht, dass man in Dresden doch wohl etwas lebendigere wirksamere Massregeln hätte nehmen können und sollen. Es war voraus zu sehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freylich wird man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig thun; aber man hat doch nun die Kneipzange von beyden Seiten in den Händen, und kann sicher das festina lente spielen. Politisch muss man immer denken, was geschehen kann wird geschehen. Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in diesen Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht erwartet.

In Weimar freute ich mich einige Männer wieder zu sehen, die das ganze Vaterland ehrt. Der Patriarch Wieland und der wirklich wackere Böttiger empfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.

Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preussisches Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nehmlichen Rocke mit der nehmlichen Chaussüre über Wien und Rom nach Syrakus und über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den Fremden zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben. Die Soldaten waren ordonanzmässig artig genug; aber einige Offiziere geruhten sich mit meiner Personalität ein Spässchen zu machen. Ich ging natürlich den Fusssteg am Busche hin und der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht? Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: Er wird wohl gehen und das Handwerk begrüssen. Nein, hörte ich eine andere Stimme, ich weiss nicht was es für ein närrischer Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bey der Herzogin im Garten sitzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins Pommerische, wenn Du finden willst, dass es mir ziemlich schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmassgeblich, die Herren hätten ihre Untersuchung und Beurtheilung über mich etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein Preussischer Offizier nicht viel Umstände. Ob das recht und human ist, wäre freylich etwas näher zu bestimmen.

Meiner alten guten Mutter in Posern bey Weissenfels war meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, dass sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus nicht, dass ich zu Fusse weiter ging, sondern liess mich bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die Pleissenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, dass ich froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war der erste den ich aufsuchte, und das enthusiastische Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste seiner drolligen Gesichter und machte einen praktischen Kommentar auf Horazens Stelle, dass man bey der Rückkehr eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Bisschen närrisch seyn könne.

Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mich däucht, dass ich nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten meistens zu Fusse eine solche Wanderung macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, muss ich Dir noch sagen, dass ich in den nehmlichen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und dass diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch eine solche Wanderung mit zu machen.

Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von manchen mehr als ich geschrieben habe, von manchem weniger.