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+ <title>Entwandlung</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="poem">
+
+ <h3>Entwandlung</h3>
+
+<p>
+<span class="vers">Als ich ganz zernichtet war,</span><br />
+<span class="vers">vor Nacht und Hölle und Pest und Erde</span><br />
+<span class="vers">verging im dunkel tosenden Raume,</span><br />
+<span class="vers">erschienen die Dinge,</span><br />
+<span class="vers">Trost zu schütten über den Gram.</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Das Licht kam,</span><br />
+<span class="vers">silberne Möven schwebend im Reinen,</span><br />
+<span class="vers">und die Hügel der Sonne: bewaldetes Erz,</span><br />
+<span class="vers">die Seen und Teiche des Grünen,</span><br />
+<span class="vers">Wege in liebliches Land</span><br />
+<span class="vers">und verfallen im Abend Ruinen.</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Die Hände über den Augen, wehrte ich ab:</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Mag der leise Druck meiner Ballen spurlos verhallen,</span><br />
+<span class="vers">nicht will ich mehr gallbitterer Tinte Gefäß sein,</span><br />
+<span class="vers">die Andern leben!</span><br />
+<span class="vers">Eh mir der mächtige Mond vergilbt am Himmel,</span><br />
+<span class="vers">mich aus dem Leib die starke Stimme ruft.</span><br />
+<span class="vers">Mag nicht dauern, bis der Zeiten Schimmel,</span><br />
+<span class="vers">schmutziger Schnee sich niederschlägt auf mich und was mir</span><br />
+<span class="vers">im Horst die Jahre ausgebrütet.</span><br />
+<span class="vers">Mag nicht dauern, bis mich,</span><br />
+<span class="vers">weggeschoben durch frischeres Eis, nähere Früchte</span><br />
+<span class="vers">die wenigen Nahen vergessen.</span><br />
+<span class="vers">Was soll mir Almosen von Bettlern?</span><br />
+<span class="vers">Die schwarze Schnecke des Todes kroch mir über den Weg!</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Auch ich roch einst weißduftenden Klee,</span><br />
+<span class="vers">und liebte die lichtbehauchten Wolken.</span><br />
+<span class="vers">Ich freute mich der Rädergesänge der langachsigen Wagen,</span><br />
+<span class="vers">ich freute mich der eintönig sich wiegenden Pappeln Wege entlang,</span><br />
+<span class="vers">ich freute mich der Sonne wieder blitzenden, rastlos vergleitenden Schienen,</span><br />
+<span class="vers">ich freute mich der staubweißen Bäche meiner ländlichen Straßen.</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Aber ich sah die Nachtgefangenen: Dunkles sinnend die Späher des Bösen,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah hanakische Bauern, bunte Vogelscheuchen im Feld,</span><br />
+<span class="vers">den Schnellzug anstaunen,</span><br />
+<span class="vers">der ihre grünenden Äcker mit Ruß und Asche bestreut,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah auf Gibraltar die letzten Affen Europas frierend hinsterben,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah indische Tänzerinnen, gazellengangbegabte,</span><br />
+<span class="vers">vor dem Champagner und Abschaum eingläserner Jünglinge tanzen,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah Elefanten, dschungelrohredurchbrechende,</span><br />
+<span class="vers">sich nach den Brosamen eines Kindes bücken,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah Dreadnoughts ertrinken,</span><br />
+<span class="vers">umschwärmt von den tötenden Torpedohaifischen,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah — und Tränen entstürzten dem Tag —</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah arme Soldaten am Sonntag der Freiheit</span><br />
+<span class="vers">starr auf Gerüsten hocken, hochsegelnden Fliegern zum Zeichen,</span><br />
+<span class="vers">aber ich sah einen Turmfalken, gewohnt im Äther zu weiden,</span><br />
+<span class="vers">sich einwühlen in den Sand eines Breslauer Käfigs,</span><br />
+<span class="vers">— und ich muß dem Schweiß dieser nächtlichen Tage entrinnen.</span><br />
+<span class="vers">Nicht bin ich von den traumumspülten Leichen, eingedickt in Schlaf.</span><br />
+<span class="vers">Wenn vom verhängten Luftkreis Schwüle abwärts sintert,</span><br />
+<span class="vers">wenn Baumwipfel ineinanderstöhnen, sturmzerquält,</span><br />
+<span class="vers">wenn rollend kommt himmellang gefahren der Gottheit Drache,</span><br />
+<span class="vers">will ich nicht mehr der Wetter bitteres Naß, der Wolken Säure,</span><br />
+<span class="vers">ich will den Blitz in mich.“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Fischtriefend im Geruch der Regel,</span><br />
+<span class="vers">von Haaren bewachsen, zum Himmel stinkend kam die Scham:</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Schöner ist’s, das Schicksal zwischen den Lenden zu zwingen.</span><br />
+<span class="vers">Lockt dich nicht das frühe Zirpen scheuer Grillen</span><br />
+<span class="vers">oder das Seufzen jener stillen Rillen,</span><br />
+<span class="vers">die sich nie enthüllen?</span><br />
+<span class="vers">Sieh, schon schwingt mit frischen Nüstern</span><br />
+<span class="vers">die Zinne sich zum Traume hoch,</span><br />
+<span class="vers">schon sind die guten Fluren lüstern —“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Geschirrt in Beischlafs Joch!“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Himmelan die Türme baden,</span><br />
+<span class="vers">gastlich rings die Täler laden.</span><br />
+<span class="vers">An den Buchten zarter Brust</span><br />
+<span class="vers">werde du der Lust bewußt!</span><br />
+<span class="vers">Willst du nicht ruhen Bein an Bein,</span><br />
+<span class="vers">bis holder Glieder starres Sein</span><br />
+<span class="vers">sich fügt zu süßem Binnenreim?“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Bereitest mir nur ein kurzes Heim,</span><br />
+<span class="vers">Schleim grüßt den Schleim,</span><br />
+<span class="vers">ich will des reineren Todes sein!</span><br />
+<span class="vers">Mag mich ein freundlicher Stern</span><br />
+<span class="vers">heimwärts zum Himmel bald führen.</span><br />
+<span class="vers">Mergle mich aus, Novemberschwäche des Greises,</span><br />
+<span class="vers">letzter Odem des Fiebers!“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Der schwere Engel des Todes wuchs vor mich:</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Endlich gedenkest du mein,</span><br />
+<span class="vers">du liebtest mich vor Zeiten.</span><br />
+<span class="vers">Werbend um schärfste Lust.</span><br />
+<span class="vers">Dann aber die Töchter erdgeborener Weiber,</span><br />
+<span class="vers">verwitterte Huren: die dunklen Schluchten des Leibes,</span><br />
+<span class="vers">Gerippen entstarrende Knochen, dem Druck nachgebendes Fleisch</span><br />
+<span class="vers">und Seligkeit heuchelnde Augen.</span><br />
+<span class="vers">Der du Weiber schwächlich zuerst,</span><br />
+<span class="vers">hernach mit meinen eisernen Fäusten</span><br />
+<span class="vers">fassend am Knöchel des Fußes, schleuderst zum Himmel —“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Keine erstrahlte mir sanft verwandelt zum Stern!“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">„Den Stürzenden barsten die irdischen Rippen!</span><br />
+<span class="vers">So werde, was du bist,</span><br />
+<span class="vers">auf der Erde, die dich frißt!“</span><br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="vers">Mit den Händen griff der Malmer in meinen Staub,</span><br />
+<span class="vers">entwirbelnd verschwand ich Geraubter im neu ergrünenden Laub.</span>
+</p>
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+</div>
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