aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/07-die-alte-geschichte.xhtml
blob: 9c693277b3e2c32b9e936595bff42750b414eddb (plain)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?>
<!DOCTYPE html>

<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
<head>
  <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
  <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
  <title>Die alte Geschichte</title>
</head>
<body>

<div class="prose">

  <h3 class="center">DIE ALTE GESCHICHTE</h3>

<p>
<span class="initial">E</span>S war einmal ein junger Dichter namens Eduard,
der lebte in einem Palaste. Und in ihm war
nichts als Sehnsucht. Seine Diener aber brachten ihm
Schinkensemmeln mit Kaffee. Sehr traurig war der
junge Dichter, und seine Sehnsucht ging von einem
Zimmer in das andere. Herrliche Bilder konnte er sich
vorgaukeln, und das junge Mädchen, das er liebte und
haßte: Kunigunde!</p>

<p>
Doch wenn sein junger Leib, der sich sehnte, einen
Schritt vorwärts tat, die geschaute Gestalt zu 
umarmen, schwand alles, und seine Lippen, die nach
einem Kusse lechzten und glühten, sie sanken 
kümmerlich zusammen, und sein Kopf fiel schulterwärts ...
und er war wieder allein mit seinen Zimmern, Dienern
und Schinkensemmeln. Da haderte der junge Dichter
mit Gott und seinem Palaste und weinte über sie die
Tage und Nächte, daß sie ihm nicht geben wollten,
wonach er flammte ... und hätte am liebsten die
Wände geküßt und die Bäume seines Gartens umarmt:
so sehnte er sich. Und er vergoß sieben Tränenströme.
Und wollte nichts essen und zerfleischte sich das 
Gesicht und die lieben Hände und raufte sein Haar und
zerriß seine Gedichte und lag wie ein Toter da auf
seinen Teppichen.</p>

<p>
Sandte der liebe Gott zu ihm in den Traum eine
ausgezeichnete Fee, und die sprach: Was gibst du
deinem Körper Wunden und üble Farben? Sieh, sei
wieder brav und ruhig, und Gott wird dein Haar
streicheln, und dein Haupt soll liegen in dem Schoße
deines jungen Mädchens. Da sprach der junge Dichter:
Ich will ja gern wieder an den lieben Gott und meinen
Palast glauben, aber warum ward ich so schwer 
geschlagen? Es ist ja wahr, ich habe vor sieben Jahren, zehn
Monaten und drei Tagen beinahe eine Ameise zertreten!</p>

<p>
Küßte die ausgezeichnete Fee dem jungen Dichter
langen Schlaf an und tat von seinem Leibe die 
Wunden und üblen Farben, nahm von seinen Händen die
Betrübtheit ... und als er erwachte, da taten sich alle
seine Zimmer auf und strahlten, und sein Haupt lag
gebettet in den Schoß des jungen Mädchens, und sie
streichelte seine Haare und küßte ihn und klebte seine
Gedichte wieder zusammen.</p>

<p>
Glaubt ihr das? Ich nämlich glaube es auch nicht!
Sondern, als von dem jungen Dichter der Schlaf trat,
da stand zu seinen Häupten ein Freund und wies
ihm eine Kritik, in der Eduard niederträchtigerweise
gelobt wurde, ein Briefträger feierte seinen Einzug
mit einer Drucksorte, laut der sich Kunigunde mit
Archangelus Lardschneider, jenem niederträchtigen 
Kritiker, verheiratet hatte, und eine jähe Drahtung zwang
ihn, die Premiere seines letzten Stückes abzusitzen,
des Schiffahrtsaktiendramas »Eduard und Kunigunde«,
das ihm vom Lesen her übel bekannt war. Und zu
Füßen seines Bettes stand ein Diener, in der Hand
haltend eine Tasse Kaffee mit Senf.</p>

</div>
</body>
</html>