aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/10-tod-eines-seebaeren.xhtml
blob: 46c33c2aae775dbbc7d135e263ebd963c916c04d (plain)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?>
<!DOCTYPE html>

<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
<head>
  <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
  <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
  <title>Tod eines Seebären</title>
</head>
<body>

<div class="prose">

  <h3 class="center">TOD EINES SEEBÄREN</h3>

<p>
<span class="initial">S</span>EIT Kaiser Schnurrbart die Mode auf dem 
Kontinent kreiert hatte und auch im Königreich 
Kujavien jene reizenden Galeeren, die man Dreadnoughts
nennt, eingeführt worden waren, kannte der Hochmut
der Marineoffiziere dieses Landes keine Grenzen. Daß
Jeremej, der junge Herrscher, niemals in einer anderen
als der Admiralsuniform gesehen und photographiert
wurde, mußte die frevelhafte Überhebung der Seeleute
steigern, namentlich aber den Neid aller Kasten 
hervorrufen, die bis dahin den Großherrn mit einiger 
Berechtigung den Ihrigen hatten nennen können. Dubrogin,
der Oberste der Spione, welcher übrigens dieser 
Bezeichnung den Titel eines Polizeiministers vorzuziehen
liebte, ergrünte vor invidiöser Wut. Hatte doch früher
er den um seine Sicherheit bangenden Fürsten besessen
und reichen Sold und große Ehrungen zur Stärkung
seiner dem Regenten teueren Lebensenergien bezogen.
Nun hingegen vertraute der treulose Monarch den
Schutz seiner Existenz den Seefahrern an, in deren
Gesellschaft er die Tage seines Lebens verabschiedete.</p>

<p>
Dies war so gekommen: die Küste des Reiches, die
Gestade des Blutigen Meeres, beschmutzten Stämme
der Skiapoden und Monokotyledonen, und um deren
Sprach- und Futterstreitigkeiten, sowie daraus 
erfolgenden Aufruhr in Schranken zu halten, bedurfte es einer
stets paraten, bewaffneten Macht. Da die Seebehörden
die nächsten am Platze waren, hatten sie wiederholt
eingegriffen und durch ihre geräuschlosen 
Gewalttätigkeiten die Aufmerksamkeit des Landesherrn auf sich
gelenkt und sie schließlich in dem angegebenen Grade
zu fesseln gewußt. Der Oberste der Spione aß vor
Wut darüber seinen Bart, ja, er ward der Freuden
dieser Welt überdrüssig. Solches wurde also sichtbar: Im
Königreiche Kujavien wie überhaupt in der gesamten
Biosphäre sind die meisten Wesen genötigt, durch 
Einsatz und Preisgabe einzelner Körperteile und
Fähigkeiten die übrigen zu ernähren. Dieses Lebensgesetz
führt zu fast grotesken Nutzanwendungen. Zum 
Beispiel: eine verhältnismäßig große Anzahl von Mädchen
kann nicht anders als durch jedermann anheimgestellte
Benützung ihrer Leibesöffnungen den Magen mit Speisen
füllen. Diese nichts als tragikomische Beschäftigung hatte
aber irgendein alter Prophet, der sich von 
Gurkensalat nährte, scheinbar verurteilt. Demzufolge und aus
vielen anderen ebenso triftigen Gründen müssen die
Mädchen, wenn sie trotzdem auf die beschriebene Art
zu eiweißhaltigen Substanzen gelangen wollen, Tribut
zahlen, die Grausamkeit der über sie verhängten 
Gesetzesdrachen einlullen, in Schlaf wiegen. Also mußte,
gleichwie jedes einzelne der Weibchen Körperteile 
zugesetzt, prostituiert hatte, auch die Gesamtheit, die
Zunft, eines ihrer Glieder opfern, es den Spionen zum
Fraße hinwerfen. So ward denn eines Tages nach alter
Sitte ein Mägdlein namens Lisaweta seiner Schönheit
wegen zum Opferlamm auserkoren. Mit Blumen, 
Bändern und Edelsteinen aufs herrlichste geschmückt, einen
Myrtenkranz auf dem Haupte, wurde sie von ihren
weißgekleideten Genossinnen unter frommen Gesängen
unserem Dubrogin dargebracht, daß er segnend seine
Hände auf sie lege und die Blüte ihres Leibes 
verkoste. Er aber befahl ihr nicht, ihren Körper zu 
entblößen und sich zu lagern, der Tyrann gab ihr keinen
einzigen seiner Blicke, die Lieder ihrer Augen und der
Gesang ihrer Schenkel rührte ihn nicht, und das arme
Kind, sich so verschmäht sehend, vergoß reichliche
Tränen, und es brach ihr das Herz.</p>

<p>
Die Späher in ihren Höhlen sannen vergebens 
darüber nach, was wohl die Mißstimmung ihres 
Häuptlings hervorgerufen haben möge? Aber einer unter
ihnen, der bislang noch nie eine Erhöhung der zu
seiner Mast bestimmten Speiserationen hatte bewirken
können, im Gegenteil von jedem diesbezüglichen 
Bittgang mit zertretenem Zylinder heimgekehrt war, besaß
ein kluges und ehrgeiziges Weib. Sie erriet die 
Ursache der Verstörtheit des Gewaltigen, und nicht genug
daran: es fiel ihr ein Mittel ein, wie geschaffen, dem
Regenten die Freude am Umgang mit den 
Wassermännern zu zerstören.</p>

<p>
Wenn nämlich die Seebären nach langer Fahrt ans
Land steigen, befällt sie regelmäßig eine unendliche
Sehnsucht nach Seebärinnen. Viele aber unter ihnen,
nicht fähig, eine große Ewigkeit enthaltsam zu 
überstehen, hatten ihre Lust mangels an so vollendet 
angepaßten Materien, wie es Mädchen sind, an minder
geeigneten Objekten gebüßt und fürchteten nun, 
dadurch an Liebenswürdigkeit verloren zu haben, die
Prüfungen bei ihren Damen nicht zu bestehen und
der Strenge des Auswahlgesetzes zum Opfer zu
fallen. Obgleich manche aus ihrer Mitte berufen waren,
dereinst an der Spitze ganzer Geschwader zu stehen,
hatten sie doch nicht so viel allgemeine Bildung, um
zu wissen, daß diese Verstimmung ihrer 
Generationswerkzeuge nur kurze Zeit anhalten, späterhin, kraft
eines Weltprinzips, die Funktion das Organ tauglich
schaffen würde. Unwissend lechzten sie nach 
Gewaltmitteln, die ihren Liebeswillen ins Ungeahnte 
steigern könnten. Diesem ihren Wunsche kam die Frau
jenes beförderungssüchtigen Unterspähers entgegen. Sie
erinnerte sich der Tage, an denen sie sich zu ihrer
höchsten Befriedigung gemeinsam mit dem uralten
Fürsten Yohimbin jenen transversalen Schwingungen
überlassen hatte, deren innerer Gang und Rhythmus
vielleicht dem der Bewegungen sehnsüchtig an- und
auseinanderprallender Sterne gleicht. Tückisch sandte
sie zahlreichen Kapitänen magische Zigarren, die 
angeblich ein vortreffliches Aphrodisiakum waren, in 
Wirklichkeit jedoch einen Stoff enthielten, zu dessen 
nebensächlichen Eigenschaften es gehörte, das menschliche
Leben wesentlich abzukürzen. Ein Meergreis versuchte
eine der Zauberzigarren, und sein Leib gab sich den
Wirkungen des Giftes hin.</p>

<p>
Dies geschah gerade zu der Zeit, da ein 
ansehnliches Kometenmännchen sich der Erde in Liebe zu
nähern begann. Es wollte ein zartes Liebesspiel spielen,
die Veteranen aber und die Bürger beschlossen aus
einer Art Patriotismus, ihre Schädel recht hart zu
machen, um, soviel an ihnen lag, Widerstand zu leisten,
die Erde zu verteidigen. Vielleicht ganz gegen die 
Absicht ihrer Herrin und Ernährerin, die wohl längst von
solchem Zusammenstoß geträumt hatte.</p>

<p>
Trotz der Koinzidenz mit einem so seltenen 
Ereignis rief der Tod des Admiralaspiranten großes 
Aufsehen hervor. Von den Spionen bestochene Gazetten
führten den Meuchelmord auf avancementlüsternen
Brotneid zurück, und Jeremej, der junge König von
Kujavien, entsetzt über so niedrige Gesinnungen und
für sein Leben bangend, mied die Gesellschaft der 
Seeteufel und flüchtete eilends in die Windeln, die Dubrogin
für ihn bereit hielt. Doch bald ermannte er sich wieder
und verließ seinen Schlupfwinkel, ja! er konnte den
Augenblick nicht erwarten, da ihm der Leibdiener die
Admiralsjacke ausgezogen haben würde. Und jetzt geht
der glorreiche Monarch auf und ab, rastlos auf und
ab, Extraausgaben der namhaftesten Zeitungen sind
in Vorbereitung, alle Untertanen harren in gespanntester
Aufmerksamkeit des Momentes, der ihnen die 
Nachricht bringt, welche Uniform er nun tragen wird — dem
Kometen entgegen.</p>

</div>
</body>
</html>