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<title>Vorbild</title>
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<div class="prose">
<h3 class="center">VORBILD</h3>
<p>
<span class="initial">U</span>EBER die Bewohner von Morbihan, eines
kleinen und momentan noch sehr jungen Sternes,
erzählen die großen Weltfahrer der Vergangenheit
seltsame Dinge.</p>
<p>
Früher erblickten die Sklaven des Palalu von
Ohobdiro niemals die Sonne. Dann aber kam Jesus der
Zweite, Schmernerenx, den ihre Jambenkönige in vielen
heiligen Liedern als Erlöser namhaft machen. Infolge
seines ergreifenden Gesanges wurden die den
Bergwerken Verfallenen immer beim Erscheinen eines
Schweifsterns, mit den trefflichsten Ketten gefesselt, an die
Oberwelt geführt und mit einer Ration Tageslicht
gelabt. Die Herren gewährten dies, auf daß die Arbeiter
nicht das Gesicht verlören wie gewisse Fische in den
Tiefen, erfrischende Strahlen in sich schlürften für die
Jahre der Nacht. Damit sie jedoch ihre
Sprechwerkzeuge dabei nicht zu herzzerreißenden Klagen
mißbrauchten, wurde ihnen vorher die Zunge schmerzlos
entfernt. Kam nun der Komet seines Weges, so riefen
alle Freien »Heil«, entblößten das Haupt zum Zeichen
ihrer Verehrung für den seltenen Gast, und sprachen
fromm die anläßlich des Aufblitzens eines Haarsterns
vorgeschriebenen Gebete. Einen Augenblick auch
wurden die fahlen Gesichter der stummen Sklaven der
schmerzenden Helle überlassen, sodann jeder wieder
seinem Schachte zugetrieben und in Arbeit umgesetzt.</p>
<p>
Ein einziger Heiland kann ja auch gar nicht die
Kraft haben, die moralische Zusammensetzung der
Geschöpfe dauernd zu wandeln, er vermag auf diese
chemischen Elemente höchstens färbend, kalmierend
einzuwirken. Anhaltenden Erfolg dürfte aber erst die
lange Reihe, das Ineinandergreifen von zwanzigtausend
erstklassigen Erlösern erzielen.</p>
<p>
Den letzten Berichten nach scheinen mittlerweile
wieder einige in Messiasse verwunschene Söhne des
Sonnenfürsten zu längerem Aufenthalt auf Morbihan
eingetroffen zu sein. Ein gewisser Fortschritt, vielleicht
dem Entwicklungsdogma entsprechend, läßt sich
jedenfalls nicht ableugnen: den Knechten der Bergwerke
wurde zu Zuchtzwecken Oberweltsurlaub bewilligt.
Diese Neuerung verdankten sie einer Reform der
theologisch-wissenschaftlichen Anschauungen. Man sah in
der herrlichen Annäherung eines Kometen an einen
Wandelstern Werbung. Wer auf eine Staatsanstellung
Anspruch erhob, mußte in dem stets entfalteten
Pfauenrad und Feuerschweif des Irrlichtes — dieses wie bei
zahlreichen anderen Kreaturen bedeutend kleineren
Männchens — einen Balzakt, eine Exhibition erblicken.
Jeden Gedanken an prahlerische Mimikry außer acht
lassend, glaubte man, alle diese Scheingestirne seien
Zuchtsterne, Befruchtungssterne, von irgendeiner Macht
an einem der himmlischen Harems, an den
Planetenweibchen eines Sonnendistriktes entlang geschleudert.</p>
<p>
Nun untersagte aber ein Religionsparagraph den
Leuten von Morbihan, die Begattungskrämpfe ihrer
Eltern zu betrachten. Also verboten die Großpriester
ihren Anhängern einen unzüchtigen Anblick: die
Beobachtung des Liebesspiels ihres Muttersternes mit
dem Kometen.</p>
<p>
Da es für ein böses Omen galt, der Geburt eines
Mondes beizuwohnen, ferner den unschuldigen
Spermatozoën des feuerverzehrten Amanten schädliche
Eigenschaften angesonnen wurden, und zwar: den Gasen
und Dämpfen eine den Atemorganen unbekömmliche,
dem befruchtenden Magma, wenn es an der
Oberfläche des Sternes zu Meteoriten gefroren war, sogar
eine zermalmende Wirkung — erklärten sich die
Machthaber bereit, die Arbeitstiere als Bazillenfänger zu
verwenden, sie zwischen sich und die giftigen
Ejakulationen zu schieben. Die Kometen ihrerseits hielten sich
ja stets vorsichtshalber, um nicht von der Geliebten
verspeist zu werden, in respektvoller Distanz. War
aber einer am Himmel zu erspähen, mußte er
notgedrungen, gesetzlich-galant der Morbihan den Hof
machen — nach den ebenso ehernen als lächerlichen
Geschlechtsregeln des Sonnendistriktes R. Nahte
endlich der schöne »Telecoitus«, so bedeckten die
Gewaltigen ihre Augen, stiegen, diesmal frommverhüllten
Hauptes, tief in die nun schützenden Berge hinab.
Aufwärts die Helotenmaschinen.</p>
<p>
In jenen Tagen der Angst verrichteten die
Oligarchen unten in halb erheuchelter Demut das niedrige
Handwerk der Leibeigenen. Der jähe Umsturz, der
plötzliche Übergang von der Verehrung des Kometen
zur Flucht vor dem Untier, dürfte allerdings
schwerlich ohne blutige Religionskriege vor sich gegangen sein.
War jedoch dieser Evolution wider alle Berechnung
ein friedlicher Verlauf beschieden, so leitete die
Regierenden dann wohl die Erwägung, eventuell, statt selbst
sterben zu müssen, bloß die Hörigen fallen zu sehen.
Außerdem die chimärische Hoffnung eines Gegenteils,
dem Gutachten eines weisen Schäfers entnommen. Er
sprach: »Melancholie und Verstimmung — unverbrauchte
Überkraft. Jedes unbefruchtete Ei weint in dem Weib,
jeder verhaltene Samen weint in dem Mann. Liebe
ist entweder eine Autointoxikation durch überschüssiges
Sperma oder eine Vergiftung durch die Sekrete und
Gase, durch die Strahlen und Düfte anderer.
Gleichwie nun die der Zeugung Beflissenen Eier und Samen
der getöteten Tiere: unterworfener Stämme als
zweckdienlichstes Futter verspeisen, könnten die erotischen
Ausstrahlungen des wackeren Kometen eine vermehrte
Geschlechtstätigkeit, eine gesteigerte
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Sklavenkaninchen hervorrufen!«</p>
<p>
So ereilten die Proletarier von Morbihan gefährliche
Saturnalien. Während der ganzen Brunstzeit des
Kometenviehs durften die Zuchttrotteln im Lichte weiden,
sich an dem seltenen Spektakel ergötzen. Ob zu ihrem
eigenen oder dem Verderben in so siderischer Luft
geschaffener Kinder und Enkel — darüber fehlt nicht
bloß in den Erzählungen der großen Weltfahrer der
Vergangenheit, sondern sogar im Spektrum des Sternes
jede Andeutung.</p>
</div>
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