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  <title>Mammuthbaum</title>
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<div class="prose">

  <h3 class="center">MAMMUTHBAUM</h3>

<p>
<span class="initial">I</span>N seinem Sputum hat man Kometen gefunden. Er
starb an Lungensternen, jenen winzigen und 
scheinbar so harmlosen Mikroorganismen, die wir Planeten
nennen. Was hatte diese gräßliche Erkrankung 
aufgerufen? Wahrhaftig, ich schäme mich es auszusprechen:
Rassenhaß!</p>

<p>
Draußen spazieren die zarten Frühlingsdamen, ich
kann ihnen nicht nahen. Unablässig sehen meine
Augen jenes tragische Ereignis vor sich. Und so ist
es mir beinahe lieb, daß von mehreren Seiten an mich
appelliert wurde, einige »Details« der Öffentlichkeit
preiszugeben. Da der Zweck ein löblicher, ja 
patriotischer ist, will ich, obgleich das Ansinnen fast eine
Frechheit war, weil kein anderer den Fall auch nur
mit den Fingern berühren mag, die Sache auf mich
nehmen und in den Schlund springen ...</p>

<p>
Reginald Mammuthbaum mußte endlich Rücksichten
dem Vaterlande gegenüber platzgreifen lassen. Snob schon
der Abstammung nach, wählte er das exklusivste 
Garde-Regiment. Früher war die Sache lebenslänglich und die
Anführer dachten: »Was heute nicht geschieht, geschieht
morgen«. Seitdem man aber diese detestable 
tausendjährige Dienstzeit eingeführt hat, eilt den Vorgesetzten
die Ausbildung, und die Lage der Rekruten ist eine sehr
prekäre. Gar die Mammuthbaums haben nichts Gutes.</p>

<p>
Nun, vorerst wurde das Usuelle gegen den Eindringling
angewendet. Jahrzehntelang Gelenksübungen im Chaos,
Kanonenschultern, Kniebeugen, Bauchwellen, Eilmärsche,
man stelle sich vor: mitten im bittersten Universum!</p>

<p>
Das Terrain ist koupiert, gibt man einen Moment
nicht acht, auf ja und nein hat man sich einen giftigen
Stern eingetreten und wird ihn nie wieder los. Und
die Gefühle! Riesenzecken sind nichts dagegen ...
Sterne aber, vor denen hatte Sidonie, Reginalds Mutter,
großen Respekt. Sie sagte stets: »Kinder, wenn ihr die
Welt aufeßt, immer hübsch die Sterne ausspucken!«</p>

<p>
Wie man weiß, gibt es viererlei Sorten von Sternen.
Ihr Wohlgeschmack und Nährwert ist ihrer Größe 
gerade proportional. Erst das reifere Alter, und zwar nur
der geschlechtlich quieszierten Exemplare verbürgt bei
den Siderozoën die Genießbarkeit. Jugendliche oder gar
infantile Individuen sind als unbekömmlich, unter 
Umständen sogar als giftig zu bezeichnen. Im übrigen ist
ihr Wachstum wie das unsere an Nahrungsaufnahme
gebunden, nur sind sie hierbei ganz auf schwächere,
jüngere Artsgenossen beschränkt. Geselligkeitstrieb, was
dasselbe wäre: Erotik, d.h. Hunger läßt Kometen größeren
Kometen verfallen. Das größere Gewicht hemmt die
Flüchtigkeit der neuentstandenen Organismen, die man
Satelliten nennt, sie erliegen der anziehenden Kraft
der Planeten und werden von ihnen schließlich 
einverleibt. All das nichts als Etappen der Sonnenbildung, 
Stationen auf dem Wege zum ausgewachsenen Fixsterne.</p>

<p>
Nur die Sonnen lassen sich leicht fangen, da sie
nicht liebedurstig einherirren wie die Jungen, sondern
sexuell gesättigt und wiederkäuend ruhig an einem Ort
verharren, bis die Luftfischer unseres Kaiserreiches
Mirabilien kommen und nach ihnen sehen. Dann 
sprechen wir das Tischgebet und streichen uns die 
nahrhaften Körner wie Fischrogen aufs Brot ... In 
geringer Quantität sind sie ganz unschädlich, in großen
Mengen hingegen rufen sie Cholera hervor ... Ich
für meine Person vertrage ziemlich viel. Sterne, in Essig
eingemacht, munden mir wenigstens bedeutend besser
als Schwammerln. Die eßbaren Altersstufen 
selbstverständlich. Und auch die darf nur verzehren, wer einen
heilen Mund besitzt. Sogar unzubereitet schmecken die
kleinen, gustiösen Flammenbälle sehr pikant. Freilich:
die Mitglieder des Tierschutzvereines schlagen Lärm, wenn
man die armen Tierchen roh, bei lebendem Leib 
schnabuliert. Und die Vegetarier gar erblicken im Sternkonsum,
in der Vereinigung mit niedrigstehenden Geschöpfen
Sodomie ... Aber — Verzeihung dem Ausdruck —
wer wird sich noch um diese alten Weiber kümmern!</p>

<p>
Was unseren R. M. anlangt, so haben ihn derartige
Anwürfe nie treffen können, seiner Mama 
ängstlich-nasale Laute: »Reggie! Paß auf, daß du keine 
Planetoiden schluckst!« hielten den Feigling ab, sich eine 
gewisse Fertigkeit im Sternschlucken anzueignen. 
Wahrscheinlich glaubte die würdige Dame, wie so manche
Laien, diese Pfefferkugeln seien den Nieren unerwünscht.
Vielleicht war auch in ihren famosen Speisegesetzen
dieses Nahrungsmittel verboten und ein Rest von 
Antipathie zurückgeblieben. Ich weiß es nicht.</p>

<p>
Des schlappen Kerls reglementwidrige Furcht vor
den Himmelsinfusorien wurde irgendwie notorisch. Und
die Offiziere wollten einen derartigen Temperenzler
nicht im Korps dulden. Niemand wird ihnen das weiter
verübeln. Nur die Art und Weise, wie sie ihn 
abreagierten, war schon mehr als unkollegial. Man machte
Reginald trunken.</p>

<p>
Unter dem Beistande des logischerweise 
gesinnungsverwandten Koches, der das fatale Nahrungsmittel schlecht
passierte, im Zeichen eines symbolischen Termines,
wurde von den Aufrechten Mirabiliens die 
übelriechend-zertretene Minderheit und Varietät in Mammuthbaum
vernichtet. Ein krasser Fall von Soldatenmißhandlung!</p>

<p>
In der Ehrenstunde unseres Repräsentanten, der 5%
Jehovaleute und 95% Andersgeartete zu vertreten
hat, dessen Selbsterhaltungstrieb also mit einiger 
Notwendigkeit für die verschwindende Minorität weniger
übrig haben muß als für die dominierende Masse
seiner Stammesgefährten: am Geburtstag des 
Selbstherrschers machte man Reginald trunken.</p>

<p>
Im Urrausch fand er ein säuerliches Gelee, eine
verhängnisvolle Sternsauce, sehr plausibel. Der 
Unglückliche litt an chronischem Rachenkatarrh. Die 
verschiedenen Sonnensysteme taten ihm nicht wohl und
ein Satellit, ein verdammter kleiner Mond, blieb in der
Kehle stecken. In dem törichten Bestreben, durch 
plötzlichen Schreck das Schlucken zu erleichtern, nannten die
Offiziere den Namen der Speise.</p>

<p>
An wunden Stellen mochte es schon früher im Rachen
nicht gefehlt haben, heftiges Würgen vergrößerte sie,
und ließ die seltenen Gäste in die Blutbahnen 
eintreten, wo sie erfahrungsgemäß giftig wirken. 
Namentlich wenn Trunkenheit ihre Virulenz steigert.</p>

<p>
Zu spät holte man mich. Ich legte mein Ohr an
Reginalds Thorax. Wenn Bazillen in unsereinen 
einmarschieren, singen sie zuerst ihre Volkshymne. Es
ist ja ein Triumph für sie. Und auch diese hier 
produzierten sich im Mammuthbaum: bei ihren 
Atembewegungen und Umschwüngen summten die Sterne
in ihm — ihm und sich die Sterbegesänge.</p>

<p>
Die Krankheit dauerte relativ lang. Spät erst traten
die Vorboten der Agonie auf: er erzählte 
Gleichnisse, einen Witz zwei- oder dreimal ein und demselben
Zuhörer. In normalen Fällen pflegen wir ein 
Individuum, das so weit ist, zu erschießen, da es um
erinnerungslos-greise Hirne nicht schad ist und wir
Gesunden unter zu oft wiederholten Leitmotiven 
wimmern. Man muß es demnach als ein Zeichen von 
Schuldbewußtsein auffassen, daß man befahl, ihn über diese
Grenze hinaus zu erhalten. Und die nach seinem Tode
erfolgte Verfügung, laut der Gestirne von nun ab
nur gegen ärztliche Anweisung verkauft werden dürfen,
läßt sich ebenfalls nicht anders deuten.</p>

<p>
Ich ahne es tief: man wird, dieser scheinbaren Anklage
wegen, mich, den in vielen Feldzügen dekorierten 
Stabschirurgen, mit Demokraten, Anarchisten oder gar 
Judäophilen in einen Topf werfen wollen. Das Gefühl der
Pflichterfüllung wird mich über alle Anwürfe hinausheben.</p>

<p>
Es gibt nur zwei Wege. Entweder erläßt man 
wieder den Kultusgemeinden die Blutsteuer. Abgesehen
von der erziehlichen Wirkung, welche die komische
Körperhaltung der semitischen Soldaten auf die 
restliche Mannschaft ausübt, verliert man damit ein großes
Quantum Kanonenfutter ... Oder aber, und dazu
möchte ich einraten: man verbiete den jüdischen 
Trilliardären, wenn sie schon adelshalber wohltätig sein
wollen, das Gründen von Krankenhäusern für 
Konnationale. Man stelle nichtarischen Schriftstellern 
vorläufig den Betrieb ein. Man drohe Bibliotheksbenützern
aus den Kreisen der Übelnasigen mit der 
Todesstrafe! Faßlicher zu sprechen: Siechenhäuser ins Leben
rufen, heißt die Folgen bekämpfen, wo sich mit 
geringerem Aufwande die Ursache entfernen ließe: 
einfach durch Kreierung von Sportplätzen für die 
Patriarchenstämmlinge.</p>

<p>
Die Regierung wird anfänglich meinem Projekte mit
Mißtrauen begegnen. Wenn die Zionisten des 
Universums die für sie charakteristischen Gesten und 
Körperlinien verlieren, muß das Ministerium befürchten,
bei den Wahlen die Stimmen der Satiriker billiger
Wirkungen, die Stimmen der Karikaturisten 
tiefstehender Rassen einzubüßen.</p>

<p>
Demgegenüber fällt ins Gewicht: es ist 
wahrscheinlich, daß wir zu groß sind, um von den Sternen oder
gar schmarotzenden Bewohnern derselben gesehen und
verstanden werden zu können. Dies darf uns aber nicht
abhalten, dies entbindet uns nicht der Pflicht, uns vor
diesen immerhin denkbaren Zuschauern anständig zu
benehmen, unsere Tugenden exhibitionistisch vor ihnen
zu entfalten und unsere Stellung als einzig-echte 
Bekenner wahrhaft humanen Christentums im Weltall
von neuem zu kräftigen.</p>

<p>
Ich verbitte es mir, in meinem Exposé eine 
Beschuldigung erblicken zu wollen. Ich bin überzeugt, daß der
größte Teil unseres Offizierskorps geschilderter Art
der Mißhandlung jenes Freiwilligen innerlich ganz 
verständnislos gegenübersteht.</p>

<p>
Unterdrückte Klassen sind eben immer an sich 
lächerlich, und man steinigt, man reagiert auf diese 
Lächerlichkeiten absichtslos, rein instinktiv. Unerlaubt ist es
bloß, unterdrückte Völker in einem Grade zu 
demütigen, der dem eigenen Land abträglich ist. Diese 
Möglichkeit liegt vor, deswegen erhebe ich meine Stimme.</p>

<p>
Mit den Gesetzen der Biologie nicht Vertraute 
werden behaupten, ich übertreibe. Das ist unwahr. Jedes
Wesen weicht gern seinen Peinigern aus. Und so liegt
gegenwärtig bei den diversen Mammuthbäumen ein
den Rekrutierungen unbekömmlicher Wille zur 
Degeneration vor. Ihre Füße besitzen bereits keine Trittfläche
mehr, nach der gewiß authentischen Klageschrift der
Hutmachergenossenschaft weisen ihre Lockenköpfe sonst
bloß bei Säuglingen statthafte Dimensionen auf. Sie
wollen ihren Angreifern die ausgesucht kleinste 
Zielscheibe darbieten, sie verwehrlosen, verflüchtigen sich,
sie schrumpfen ein, sie ducken sich unter das Militärmaß.
</p>

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