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  <title>Zwei Bruchstücke aus der ersten Fassung der Geschichte: Café Klößchen</title>
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<div class="prose">

  <h3 class="center">Zwei Bruchstücke aus der ersten Fassung der Geschichte:<br />Café Klößchen</h3>

  <h4 id="prim" class="center">I</h4>

  <span class="center dispblock">Im Café Klößchen</span>

<p>
In der Nähe Kohns sprachen im Kreis wenig bekannte Kritiker,
Maler, Dichter und ein paar. Zumeist Mitarbeiter der neuen
Zeitschrift: »Das andere A« und der unregelmäßig von dem
kleinen begeisterten Lutz Laus für die Hebung der
Unsittlichkeit angefertigten Monatsschrift: »Der Dackel«.
Bei ihnen saß ein schönes fressendes Fräulein.
</p>

<p>
Man stritt sich gerade um den literarischen Unwert des Herrn
Kohn. Der Dichter Gottschalk Schulz, ein Jurist, erklärte,
ihm sei unbegreiflich, daß Herr Doktor Bryller den Kohn
lobe. Kohn schildere alles anders. Kohn sei ein Lügner. Kohn
sei grotesk. – Der begabte Doktor Berthold Bryller sagte
darauf: »Grotesk sein, sei kein Nachteil. Groteske sei
immerhin eine Brücke zu einem Weg.« Und ein
Witzblattredakteur, der eigentlich nicht hierher gehörte,
schrie schüchtern: »Auch ich schätze alles, was grotesk und
originell ist und über den stumpfsinnigen deutschen
Tintensumpf hinausstrebt.« – Aber Lutz Laus rief: »Ich
schätze gar nichts. Ich teile diese Knaben ein in Burschen,
welche schreiben, weil ihnen nichts einfällt, und in
Gesindel, welches schmiert, weil ihm so zumute ist.« –
Spinoza Spaß, ein Gymnasiast, der dämlich an einem Stuhle
hing, freute sich langsam. Er blickte boshaft zu dem
einsamen Kohn. Und sagte, weiches Gemüt und heimatlichen
Akzent durch Berlinern etwas verbergend: »Nehmen Se jrotesk,
det hebt Ihnen.« – Alle lachten.
</p>

<p>
Kohn sah das Fräulein eine Weile innig an, zu den anderen
schmiß er nur verächtliche Blicke. Er stand bald auf und
ging weg.
</p>

<h4 id="sec" class="center">II</h4>

<span class="center dispblock">Der Dackel-Laus</span>

<p>
An einem weichen Abend voller grünlichgelber Laternen,
voller Regenschirme und Straßenschmutz erregte der
Dackel-Laus gewaltiges Aufsehen in dem Café Klößchen. Er
ließ Zettel verteilen, auf denen für eine neue, von ihm
erfundene gottlose Religion auf neojuristischer Grundlage
Propaganda gemacht wurde. Ferner war für den nächsten Abend
eine konstituierende Versammlung in einen nahen Kintopp
einberufen.
</p>

<p>
Das ganze Café Klößchen erschien. Sogar Kuno Kohn, der
eigentlich der Klößchenclique nicht angehörte, mit den
meisten Literaten dieser Gruppe verfeindet war, kam in den
Kintopp. Gottschalk Schulz rief leise: »Das ist ein
ekelhafter Kerl. Das ist ein sogenannter grotesker Kohn.«
Lisel Liblichlein sagte: »Wer –« Schulz sagte: »Der kleine
Bucklige, der dort kommt.« Sie sah den Buckligen. Und sagte:
»Ach –« R. R. Müller, der neben ihr saß, flüsterte ihr
vertraulich zu: »Dieser Kohn ist gefährlich.« Sie sagte:
»Wieso –«
</p>

<p>
Da sang eine Dame. Als die Dame nicht mehr sang, faßte
Gottschalk Schulz die Hand des Fräulein Liblichlein. Auch
den anderen war infolge des Gesanges feierlich zumute.
Einige hatten Tränen in den Augen.
</p>

<p>
Nun trat Lutz Laus selbst auf einen Stuhl. Er war ganz
schwarz gekleidet, aber das Gesicht war purpurrot, und die
Hände steckten in giftgrünen Lappen. Die Pupillen glänzten
wie gelbes Glas. Es war unsagbar still. Und er verkündete
seine Religion. Er sagte, diese Religion sei die Religion
der gehobenen Pessimisten. Diese Religion habe keinen Gott,
aber einen Papst. Der Papst sei er. Zugleich mache er die
Mitteilung, daß er in Anlehnung an die katholische Kirche
das Dogma von der Lausischen Unfehlbarkeit festzustellen
bitte. Und er verriet, daß er in kurzer Zeit in einem
Bürgerlichen Gebetbuch (Laus: BGB.) in 2385 Aphorismen die
grundlegenden Sätze seiner Religion zusammenstellen werde. –
</p>

<p>
Nach der Versammlung ging man haufenweise in das Café
Klößchen.
</p>

</div>

</body>
</html>