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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:45:23 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:45:23 +0100 |
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diff --git a/OEBPS/Text/prosa/ergaenzungen/05_der_freund.html b/OEBPS/Text/prosa/ergaenzungen/05_der_freund.html new file mode 100644 index 0000000..85dfc6a --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/ergaenzungen/05_der_freund.html @@ -0,0 +1,94 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Der Freund</title> +</head> +<body> + +<h4>Der Freund</h4> + +<p> +Ich liebe die toten Tage. Die haben kein Leuchten, sie sind +ganz sehnsüchtig. Die Häuser stehen wie Kulissen vor der +grauen Wolke, die Menschen gehen wie in dem Lichtspiel: wenn +der Abend wird, nicht anders als sie in der Frühe gingen. +Alle Dinge sind wuchtiger. Und meine Kammer sieht aus, wie +wenn eben einer darin gestorben wäre.</p> + +<p> +So oft diese Tage sind, wächst in mir unwillkürlich eine +sinnlose Lust an der Arbeit. Ich tue die alltäglichen +Verrichtungen, als wäre Gottesdienst, was ich tue. Und ich +verliere mich dabei. Fast wie die Träumenden sich verloren +haben. Aber einmal merke ich, daß ich reglos geworden bin +und nach innen starre.</p> + +<p> +Ich werde sehr wach davon und ich kann mich nicht mehr +hingeben. Ich gehe zu dem Fenster, da sind wunderliche +Gedanken. Die waren sonst nur in Nächten.</p> + +<p> +Ich fühle mich fremd bei allen Dingen. Sie drängen auf mich +ein, als kennten sie mich nicht: die Straße und die Menschen +und die Türen in den Häusern und die tausend Bewegungen. Wo +ich hinschaue, werde ich verwirrt.</p> + +<p> +Mein kleiner Tod quält mich, es war doch schon viel Sterben +und größeres. Und daß ich einsam bin. Und daß überall ein +Unbegreifliches droht. Und daß ich mich nicht zurechtfinde. +Und alle die übrigen Traurigkeiten, für die kein Arzt ist, +und die man nicht mitteilen soll. Jeder muß ihnen aliein +unterliegen und auf seine Weise. In der Rede sind sie +lächerlich, aber mancher geht an ihnen zugrunde. Ich habe +Grauen, daß ich so fremd mit mir bin und so ohnmächtig. Bis +Erinnerungen kommen. Ungerufen. Aber lieb. Irgendwoher. Sie +betäuben mich.</p> + +<p> +Ich lächle, wenn ich das Weinen des Kindes +finde oder den Tod der Mutter, der gräßlich war und nicht zu +sagen ist, oder die anderen blutigen Köstlichkeiten. Ich +lächle, wenn die Augen meines Freundes plötzlich leben +werden und in den seidigen Schatten sind, daß sie wie aus +Schleiern glänzen und ihr Geheimstes preisgeben. Niemand hat +es mir gesagt, und ihr werdet mich einen Narren nennen .. +aber ich weiß, daß sein Tod schon immer in den Augen gewesen +ist wie der eines andern in den Lungen oder in dem +Rückenmark …</p> + +<p> +*</p> + +<p> +Seine Augen waren elend und vergangen und heillos +schmerzlich, daß die Leute lachten, wenn er zu ihnen sah. Er +schämte sich seiner Augen, als verrieten sie von sündsamen +Abenteuern und verbarg sie viel hinter den vergilbten +Lidern. Aber er fühlte, wie man hinstarrte, wenn er eintrat, +wo er unerwartet kam. Oder sich setzte, wo er nicht +selbstverständlich war. Er schaute übertrieben wie ein +Suchender. Hüstelte und hielt die Hand vor den Mund, zog die +Backen nach innen oder wölbte die eine mit der Zunge. War +verlegen. Unglücklich. Wäre gern allein gewesen .. in dem +Dunkel.</p> + +<p> +Kinder neigten den Kopf, wenn sein Blick auf ihre +Augen kam. Und wurden rot. Und grinsten scheu und dumm. +Frauen kicherten, sie schauten wie harmlos hin und +klatschten einander auf die Schenkel oder auf die nackten +Schultern und küßten ihre verwüsteten Männer. In der Nacht +lagen sie wach und sannen sich heiß. Aber die jungen Mädchen +wichen ihm aus.</p> + +<p class="source">Der Sturm, Nr. 85, 11 November 1911, S.678</p> + +</body> +</html> |