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+++ b/OEBPS/Text/05.html
@@ -0,0 +1,155 @@
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+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
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+ <title>Fünftes Kapitel</title>
+</head>
+<body>
+
+ <h3 class="spaced center">Fünftes Kapitel</h3>
+
+<p>
+Um die Tische verbanden sich die Wiener Rohrstühle zu
+rhythmischen Guirlanden. Die Nase eines Trinkers
+konzentrierte die Kette jäh. Die Lichter hingen klumpenweise
+von der Decke und zerplatzten die Wände zu Fetzen. »So
+vernichtet eins den anderen«, bemerkte hierzu der
+jugendliche Maler Heinrich Lippenknabe.</p>
+
+<p>
+»Ich bin darauf dressiert, überall die Negation
+aufzufinden.«</p>
+
+<p>
+»Ja, trotzdem: die Gemütlichkeit der Vernichtung ist das
+Interessanteste. Lachhaft ist die Gespanntheit von allem.
+Ich bedaure, dass sich Kunst und Philosophie die Aufgabe
+stellen, dies immer Fragmentarische als ruhende Form zu
+geben. In unserem Energieverbrauch muss es
+Teilungsgewohnheiten geben. Die Energie der Form verbirgt
+oft allzu heftige Angst vor Erweiterung, beweist den
+Rhythmus der Müdigkeit.</p>
+
+<p>
+Immer beschäftigte es mich, alles nur vorläufig zu
+betrachten. Immer stiess ich auf Zustände der Völker, wo
+diese ablassend von strengen Werten nach kurzer Irre sich
+der Kunst zuwandten und hier sich Absolutes erschlichen mit
+dem Unterbewusstsein, dies sei erlaubt; sie führten nämlich
+ihre aesthetischen Gründe an in artistischem Sinne. Bald
+vergassen sie diese und hatten gemächliche Werte, auf denen
+es sich bequem ausruhen, arbeiten und leben liess. Das
+Aesthetische reagierte ethisch ab, zunächst mit
+Uebertreibungen.</p>
+
+<p>
+Ich gestehe, mit Vergnügen bemerkte ich, dass sich aus der
+symbolischen Kunst eine Formkunst bei einigen Begabteren
+abtrennte; aber vielleicht schuf das Symbol das Artistische,
+da dieses die Grenzenlosigkeit des ersteren überwinden
+musste, woraus sich die heutige Scheidung ergibt.</p>
+
+<p>
+Fiel es Ihnen nicht auf, dass die früheren Christen durch
+die Bilder disputieren und denken; und gerade darum waren
+sie zur grössten Energie der Form und zur beständigen
+sinnlichen Variation eines in sich stille Bleibenden
+gezwungen.«</p>
+
+<p>
+Bebuquin sagte: »Das Verdienst Schopenhauers, die Ruhe als
+Wesen aller Dinge und Subjekte eingeführt zu haben, ist
+stets hervorzuheben. Er gab damit die unbewegte Idee Platos
+wieder, das strenge, unberührte Gesetz; aber fürwahr, das
+Wesen ist ein Nichts. Doch ist die Reduzierung auf Eindrücke
+peinlich. Schwerlich werde ich mir einmal über den
+Produktiven klar. Dieses kindliche Suchen nach einem Anfang
+wird mich schädigen.«</p>
+
+<p>
+Euphemia trat in das Café ein. Das gelbe Licht gab ihren
+Röcken, — die sich wie Wogen von Rudern bewegten, über ihren
+straffen Beinen schäumten, — Konturen, die in ihrem Hut
+zusammenliefen und an dem weit überhängenden Federbouquet
+ihres Hutes versprühten. Man hatte sie seit langem nicht
+mehr gesehen, da sie mit einem Knaben niedergekommen war.
+Die Geburt war für ihren Körper anscheinend vorteilhaft
+gewesen. Unwillkürlich dachte Bebuquin, an dem Kinde habe
+sie sich ihres Fettes, ihrer bisherigen schlechten
+Erfahrungen entledigt. Sie sah geradezu jungfräulich aus.</p>
+
+<p>
+»Was ist doch das für ein Unglück, dass wir Männer vom Weibe
+kommen.«</p>
+
+<p>
+Euphemia: »Nun, mein Junge, wie habe ich mich erholt?«</p>
+
+<p>
+Heinrich Lippenknabe hub aber ein Lied an, das der bleiche
+lange Piccolo mit dem Rauschen der Vorhänge und dem Klingen
+der metallenen Schnürgriffe akzentuierte.</p>
+
+<p>
+»Weit stinkt uns die Einsamkeit entgegen.<br />
+Auf allen unseren grauen Wegen<br />
+Krallt unser Auge sich an einen blauen Fleck<br />
+die Einsamkeit;<br />
+Es ist ein dunkelklitschig Zimmer<br />
+Ohne Wände, doch hat keiner ihre Höhe je ermessen.<br />
+Um uns tanzt der Kosmos voll Finessen,<br />
+Doch fällt auf mich kein Schimmer.«<br /></p>
+
+<p>
+»Hören Sie mit dem Blödsinn auf. Ich möchte die ganze
+Geschichte in mich konzentrieren.«</p>
+
+<p>
+»Das können Sie ohne weiteres, glauben Sie es einfach.«</p>
+
+<p>
+»Ich dachte schon oft, dass unsere Meinungen als strenge
+Umkehr der Tatsachen aufgefasst werden können.</p>
+
+<p>
+Negation besagt gar nichts, ebensowenig die Bejahung. Das
+Künstlerische beginnt mit dem Worte anders. Künstlerische
+Formen können sich dermassen verfestigt haben, über die
+Dinge hinausgewachsen sein, dass sie einen neuen Gegenstand
+erschaffen. Ihnen ist die Welt zum Greuel geworden, die sich
+dem Maskenspiel des Dichters opfern soll. Aber wir sind in
+unser Gedächtnis eingeschlossen, auf Tautologien angewiesen
+&ndash; ich sehe dabei von der Existenz des Wortes »Form« ab.</p>
+
+<p>
+Das Wesentliche dieses Wortes ist, dass es mit Nichts alles
+enthält, aber zugleich mehr ist als Begriff oder Symbol. Auf
+der einen Seite geht es über das Logische weit hinaus und
+lässt von der Erfahrung bedeutendere Merkmale zurück; sie
+besitzt Selbstbewegung. Ruhe und Bewegung sind zugleich in
+ihr eingeschlossen. Das Symbol gab die Vor— und Nachfolgen
+der Form, das empirische und ein fremdes; die Form aber
+verbarg sich ungesehen zwischen den beiden Gliedern. Die
+Form weist auch über die Kausalität hinaus, zugleich besitzt
+sie vorzüglichere Eigenschaften, als die Idee; sie ist mehr
+als ein Prozess. Vor allem aber vermag sie sich mit jedem
+Organ und Ding zu verbinden; da ihre Verpflichtung an die
+Gegenstände eine denkbar lose ist, gebietet sie diesen ohne
+Vergewaltigung. In ihr beendet sich die christliche
+Verneinung der Gestalt; gerade jene wird von ihr erstrebt
+mit den reinen Kräften der Seele. Der Christ gab nie ein
+wenigstens scheinbares Endresultat, er verneinte und
+vergewaltigte krampfhaft. Vielleicht gebiert die Form neue
+Gegenstände; sie ist von ihrem Ursprünglichen entfernter,
+als der Begriff, und eine Deduktion von ihr ist durchaus von
+einer begrifflichen unterschieden. Die Anschauung gewinnt in
+ihr eine Kraft, die vorher dem Begriff allein zugesprochen
+wurde.«</p>
+
+</body>
+</html>
+