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diff --git a/OEBPS/Text/12.html b/OEBPS/Text/12.html
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+++ b/OEBPS/Text/12.html
@@ -0,0 +1,187 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
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+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
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+ <title>Zwölftes Kapitel.</title>
+</head>
+<body>
+
+ <h3 class="spaced center">Zwölftes Kapitel.</h3>
+
+<p>
+Bebuquin trat unbemerkt in seine Wohnung. Er kleidete sich
+sorgfältig um, als er gebadet hatte. Dann ging er isoliert
+von den Wirrnissen in sein katharktisches Gemach, eine
+kleine weissgetünschte Stube, inmitten ein Klubsessel.</p>
+
+<p>
+Er setzte sich bescheiden, dann sagte er:</p>
+
+<p>
+»O Köstlichkeit der Sünde.</p>
+
+<p>
+Aber nicht aus infamen Gründen. Es erhebt und stärkt. Sünde
+verlangt, dass ich alles, was bis zu ihr geschah, vergesse
+und von vorn anfange. Die Sünde ist ein Tod, und in ihr
+verbrennt meine Welt. Bisher sind so viele Bebuquins der
+Hölle verfallen, und immer reiner und stärker trotz
+verringerter Kräfte wirft sie mich aus. Vielleicht sündigt
+man nur, um die Reinheit der Reue zu erlangen, Erneuung
+durch Gemeinheit.</p>
+
+<p>
+Jedoch der Schmerz.</p>
+
+<p>
+Wenn ich an die Sünde denke, kann ich nicht leben. Vergesse
+ich sie, entschwindet mir nötig mein Leben bis zu diesem
+Wort, und ich habe es dem Satan zu überantworten.</p>
+
+<p>
+Gott, wann kann ich mein Lebensende Dir geben.</p>
+
+<p>
+O beginn mit altem und gezeichnetem Leib zu entraten, die
+Identität zu spüren.</p>
+
+<p>
+Mir starb in dieser Nacht ein Freund.</p>
+
+<p>
+Meine Gedanken wurden gestrichen.</p>
+
+<p>
+Die Augen und das Ohr sind sündig.</p>
+
+<p>
+Was bleibt mir ausser Philosophie?</p>
+
+<p>
+Denn ich scheine ausserhalb von Prinzipien, stets böse zu
+werden.</p>
+
+<p>
+Braucht meine Gemeinheit so dürre Ruten?«</p>
+
+<p>
+Er schwieg. In ihm stak eine Höhle, und um ihn herum war der
+Erdboden ausgesägt. Die Leitung war unterbrochen. Seine
+Augen lagen reglos über dem Jochbein.</p>
+
+<p>
+Er sprach:</p>
+
+<p>
+»O Reichtum meiner Seele!</p>
+
+<p>
+Vielleicht auch hilflose Vielfältigkeit, die ich nicht
+ertragen kann.</p>
+
+<p>
+Und dann diese Armut.</p>
+
+<p>
+Es peinigt mich.</p>
+
+<p>
+Wann verstehe ich, dass man, um zu leben, um Person zu sein,
+nur ein Ding kennen darf. O Reize zu spüren, wie mannigfach
+Worte und Meinungen sind; und wie schmerzlich, nur eine
+Deutung zu erlernen. Diese eine Deutung ist die Form, und
+sie macht die Dinge, die festen Augen, den bestimmten Klang.
+Wenn ich mich in den Reizen der Mannigfaltigkeit verstecken
+könnte; und ich weiss nicht, von welchem Zentrum aus ich
+auferstehen soll.</p>
+
+<p>
+Herr, der du uns Arbeit gabst, verschone mich mit ihr, damit
+ich die mögliche Grösse ahne, statt ein geringes Mass zu
+realisieren. Welch törichte Suggestion, dieses Wort. So
+liege ich, mit scharfem Ohr wie ein buntes Tier über Deinem
+Boden, um eine Mitteilung zu erwarten, denn heute habe ich
+kein Gewand, in dem ich auferstehen könnte.</p>
+
+<p>
+O Gott, Du gabst uns einen Körper, vielleicht identisch;
+eine Seele, die den Körper an Möglichkeiten übertrifft, die
+ihn schon lange Zeit und oft ausrangierte; und die
+glänzenden Platten der Denker, die Sonne verschmäht es sich
+in ihnen zu beschauen, &ndash; suchen die Balance. Ich aber
+wünsche, dass mein Geist, der sich etwas anderes als diesen
+Körper &ndash; o Gartenzäune, Stadtmauern und Safes,
+Pensionate und Jungfernhäute &ndash; denken will, auch ein
+Neues wirkt und schafft. Ich kann absonderliche Wesen
+machen, Verrücktes zeichnen, auf Papier, in Worten, ich
+selbst bin verzerrt; aber mein Bauch bleibt ein Fresser.
+Welch geringe Versuche der Heiligen, nach Sprüchen der
+Evangelien den Körper zu verwandeln.</p>
+
+<p>
+Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins.</p>
+
+<p>
+Dann will ich normal sein, aber erst dann.</p>
+
+<p>
+O Gott, wenn Du mehr bist, als das der Wahrheit angenäherte
+Gesetz der Körper, erbarme Dich doch meiner Langenweile,
+starb doch schon Böhm an ihr.«</p>
+
+<p>
+»Bebuquin,« sagt der, »das Ganze ist ein Erziehungsheim. Die
+drüben sind so menschlich einfach, es gibt zwei Dinge,
+entweder sie schweigen und machen mit einem imaginären
+Phallus unendlich, oder sie tun das Gleiche und zeichnen
+eine Eins. Ich zeichne eins, und meine isolierte Hirnschale
+rostet. Ich grüsse Dich, alter Märtyrer. Vernichte die
+Identität, und Du fliegst rapide; aber fraglich, ob Du das
+Tempo aushalten wirst. Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah,
+Amen, eins. O Notwendigkeit, Hallelujah, o Gesetz, o
+Gleichheit, wo alles in sich selbst schläft, o Stille, o
+Kontemplation, o Verdauung des Straussen, der den eigenen
+Kot frisst.</p>
+
+<p>
+Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah, leb wohl, eins,
+Hallel&nbsp;&ndash; &ndash; &ndash;«</p>
+
+<p>
+»War es Philosophie oder ein Analphabet?«</p>
+
+<p>
+»O Gleichheit, o Eins. Mancher jedoch zählte bis auf zwei. O
+Erweiterung des Dualismus. O Gehen zwischen den Ufern, o
+Hinüber- und Herüberrennen.</p>
+
+<p>
+Altertum der Gedanken, o Antiquare der Gemeinplätze, o
+prähistorische Tiefen.</p>
+
+<p>
+Seht, mein Leben ist mir verhasst, es ist gänzlich zerstört.
+Um moralisch weiter zu machen, bedarf ich neuer
+Existenzbedingungen, eher als des Brotes; ich kann nicht in
+der Kette weiter leben, ich will nicht, es wäre moralisch
+inkonsequent. Man treibe mich nicht in die alten Gleise und
+sei barmherzig, es muss eine Aenderung eintreten, die
+stärker ist, als meine Sünde und meine Reue; ich muss eine
+Erneuerung haben, ich bedarf einer Erdperiode.«</p>
+
+<p>
+Die Nacht färbte langsam empor, die weisse Stube opalisierte
+wie altes Gestein, lohende Schatten zogen über die Wände,
+eine kleine weisse Wolke stand vor dem Fenster, ein
+brennender Sonnenstrahl durchglüht sie. Bebuquins Körper
+verschwand in den Schatten, nur der Kopf schaute bleich
+inmitten der Wogen der Dämmerfarben die versinkende Wolke
+an. Sein Kopf, ein Gestirn, das erkaltete.</p>
+
+</body>
+</html>
+