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diff --git a/OEBPS/Text/15.html b/OEBPS/Text/15.html new file mode 100644 index 0000000..853ed98 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/15.html @@ -0,0 +1,235 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Fünfzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Fünfzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Bebuquin soll in der folgenden Nacht lange und im +Zusammenhange gesprochen haben. Er sagte in der Leere des +Zimmers:</p> + +<p> +»Ich beginne die Rede vom Tod im Leben, von der grossen +Ruhe, von der reinen Armut und der leeren Lauterheit.</p> + +<p> +Eins geht durchs Leben und ist sehr lebendig, das bist Du, +allzuhäufiges Wort Nein. Aber eins steht und wird sehr +geachtet, o Ruhe.</p> + +<p> +Ich weiss, du bist verführerisch wie die Tiefe des Wassers +für junge Mädchen, die am Morgen unter Vermischtem gedruckt +sind.</p> + +<p> +Du bist sicher die Mutter der Vollendung und der Vater der +Metaphysik; denn nur in der Ruhe ist Festigkeit und +dauerndes Ende,</p> + +<p> +Ist stete Isolierung, und es wird nichts ververmischt.</p> + +<p> +Ich aber stehe und fluche dir, </p> + +<p> +du Müdigkeit, die mir Gedanken und Augen betäubtest,</p> + +<p> +meine schnellen Füsse versanden liessest;</p> + +<p> +du müdes Hirn und träges Blut,</p> + +<p> +die ihr nicht mal den Tod erwartet,</p> + +<p> +ihr Gleichgültigen.</p> + +<p> +Der aber ist ins Leben verwickelt,</p> + +<p> +und jeder Tag Mühe und Wachstum ist ein Tag Tod.</p> + +<p> +Und wer mag von beiden Recht behalten? Ich glaube, sie beide +sind sich gleich und eines, und das Leben hebt sich selbst +auf.</p> + +<p> +Du totes Leben!</p> + +<p> +Der Platoniker, der denkt, diskutiert, und sein mühsam Ziel +eine Sicherheit und Ruhe.</p> + +<p> +Ziele erregen die Kraft und beenden sie.</p> + +<p> +Wer weiss, ob die gefundene Idee mehr fördert als bewegt.</p> + +<p> +Sie stärkt vielleicht dich, primitive Sicherheit, dich, +Geist, ich verbeuge mich nicht;</p> + +<p> +doch er lehrt den Toren, um Dich hundert Dinge verachten.</p> + +<p> +Und ich sah nur, dass ein Mensch ein Kräftewirbel ist, von +dem einiges ausfliesst, und anderes geht in ihn ein, bis Du, +Ruhe, kommst.</p> + +<p> +O Reinheit, was sagst Du anderes, als, Du erträgst nur +Geringes.</p> + +<p> +Und die Lehre von der Armut meint dasselbe.</p> + +<p> +Ihr seid sehr hohe Erkenntnisse gewesen.</p> + +<p> +Tod und Endlichkeit, du bist der Erzeuger unserer Arbeit, du +treibst uns zur Mühe, und vielleicht bist du der Vater des +Lebens, und dies keimt gering nur vor Dir auf.</p> + +<p> +Du lässt die Gestirne leuchten und zeigst unsere geringe +Kraft; denn Mond und Sonne scheinen einander zu in +notwendiger Umarmung. Wir jedoch können nur nach einem +Gestirn handeln, und dem Auge sind sie sich ausschliessende +Gegensätze.</p> + +<p> +Tod, du bist der Vater der Zeugung, und du gabst uns +Menschen alles Endliche, bestätigst unsere Sinne, welche +Formen sehen, hören, schmecken und bejahst die Ahnung des +vielleicht dilettantischen Geistes, damit wir sehen dürfen +und eines schauen – damit wir denkend nichts sehen.</p> + +<p> +Ich bin ein Vollstrecker für Dich, Tod. Ich will es sagen, +dass nur Gestorbene sterben; wenn einer jung und kräftig +stirbt, vielleicht stirbt er für einen anderen.</p> + +<p> +Du gabst uns Begierden und Ziele, und wir wehren uns gegen +Dich durch Zeitloses, durch seiende Ideen, durch den +Anspruch auf Totalität. Aber vielleicht sind das deine +geringsten Formen.</p> + +<p> +Tod, du Vater des Humors, wenn dich ein Wunder, das ich mit +meinen Augen sehe, vernichtete;</p> + +<p> +dein Feind ist das Phantastische, das ausser den Regeln +steht; aber die Kunst zwingt es zum stehen, und erschöpft +gewinnt es Form.</p> + +<p> +Ich nenne dich, Tod, den Vater der Intensität, den Herrn der +Form.</p> + +<p> +So steht es für dieses Leben.«</p> + +<p> +Die Nacht trat in die Stube.</p> + +<p> +Ein alter Mann kam in die Stube; er sprach:</p> + +<p> +»Verzeihen Sie, ich wohne seit langem unter Ihnen, es fällt +mir sehr schwer zu sprechen, bin es seit langem nicht mehr +gewohnt. Ich komme nur, um zu sagen: ich bin seit langem tot +durch meinen Willen; ich lebte nur scheinbar, seien Sie +bitte dabei, um zu konstatieren, dass ich den Tod +hintergangen habe. Ich sterbe als der grösste Humorist.«</p> + +<p> +Der alte Herr sank zusammen, er war ruhig und starr. Dann +schrie er laut auf und sagte:</p> + +<p> +»Der war doch schlimmer, ich betrog nur das Leben und mich.«</p> + +<p> +Bebuquin trug den Leichnam in die Wohnung des Alten. Er +schaute ihn ein längeres an, dann ging er in seine Wohnung.</p> + +<p> +Er schaute durch das Fenster zur breiten Baumallee hinunter, +einige Menschen kamen mühselig wandernd vorüber und riefen:</p> + +<p> +»Das Gesetz ist die grosse tötende Ausnahme, wir gehen in +den Dingen, die Wunder zu suchen.«</p> + +<p> +Bebuquin wandte sich vom Fenster ab, der Mond schien ihm +sein erstauntes Loch in den Rücken, er setzte sich hin, +schaute auf seine Hände, die noch nie gearbeitet hatten, und +sprach lange.</p> + +<p> +»Gleichgültigkeit, woraus bist Du wohl gewebt, war die allzu +grosse Empfindlichkeit Dein Ursprung, oder die Kraft, die +der opulenten Natur gleichkommt? Ich sah schon viele aus +Gleichgültigkeit die absonderlichsten Capricen begehen, und +schon mancher war es aus Furcht vor der eigenen Wut. O +Erstarrnis, stagnierender Tod; Versteinerung und Schlaf, ihr +fristet uns das Leben, das sich wütend aufbrauchte ohne eure +Hemmung.</p> + +<p> +O Krankheit, komme, nur du kannst mir Grenzen geben, Gott +lass mich einen ungeheuren Schmerz empfinden, damit der +Geist paralysiert werde; oder vielleicht, o Hoffnung, +schafft die Krankheit einen neuen Körper, fähig zu den +sonderlichen Dingen, deren ich bedarf.</p> + +<p> +Herr, ich weiss, am Ende eines Dinges steht nicht sein +Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse +gehen zum Wahnsinn. Ich bin geschaffen zu erkennen und zu +schauen, aber Deine Welt ist hierzu nicht gemacht; sie +entzieht sich uns; wir sind weltverlassen. Suchen wir Dich, +o Gott, dann sterben wir in der lautlosen Erstarrung, und es +ist keine Erkenntnis, sondern Du bist das Ende.</p> + +<p> +Herr, lass mich einmal sagen,</p> + +<p> +ich schuf aus mir.</p> + +<p> +Sieh mich an, ich bin ein Ende, lass mich eine unabhängige +Tat, ein Wunder tun.</p> + +<p> +O Nacht der Verwandlung, wann kommst du, wo ich diesen +Körper vergesse, ja, ihn abstreife, und die Dinge anderes +bedeuten und anderes sind, denn je sonst; die Glieder werden +selbstständig, die Teile beginnen zu reden. Die Auflösung, +sie ist die Verwandlung und sei mir ein Anfang.«</p> + +</body> +</html> |