aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/02.html
blob: b6f83738df104aec1fe206fee0bbf386b81a0702 (plain)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
  "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">

<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
<head>
  <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
  <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
  <title>Zweites Kapitel.</title>
</head>
<body>

  <h3 class="spaced center">Zweites Kapitel.</h3>

<p>
Bebuquin wälzte sich in den Kissen und litt.</p>

<p>
Er machte sich daran, zunächst zu erfahren, was Leiden sei,
wo für ihn das Leiden noch einen Grund und Zweck berge. Er
fand aber keinen; denn so oft er den Schmerz zergliederte,
traf er Ursachen, oder genauer, Umwandlungen an, die alles
andere als Leiden waren. Er erkannte das Leiden als
Stimulanz zur Freude, als angenehmes Ausgespannt-werden und
sagte sich, dass nirgends ein Leiden aufzufinden wäre, und
im Ganzen in einer solchen Bezeichnungsweise eine
lächerliche Naivität des Vermischens liege; dass das
Logische nichts mit dem Seelischen zu tun habe, fiel ihm
auf; dass es eine gefälschte Zurechtmachung wäre. Er fand
das Logische so schlecht wie Maler, die für die Tugend ein
blondes Frauenzimmer hinsetzen.</p>

<p>
Der Fehler des Logischen ist, dass es noch nicht einmal
symbolisch gelten kann. Man muss einsehen, ihr Dummköpfe,
dass die Logik nur Stil werden darf, ohne je eine
Wirklichkeit zu berühren. Wir müssen logisch komponieren,
aus den logischen Figuren heraus wie Ornamentkünstler. Wir
müssen einsehen, dass das Phantastischste die Logik ist.</p>

<p>
Ein Grauen überlief ihn, da er der Gegenstände gedachte, die
ihn stets aufsaugen wollen; wie er die Gegenstände durch
seine Symbolik vernichte, und wie alles nur in der
Vernichtung existiere. Hier sah er eine Berechtigung alles
Aesthetischen; aber zugleich auch, dass er, da er keinen
ganzen Endzweck mehr sah, den einzelnen leugnen musste. Er
sehnte sich nach dem Wahnsinn, doch seinen letzten
ungezügelten Rest Mensch ängstigte es sehr. Seine einzige
Rettung schien eine anständige Langeweile zu sein; aber
nicht, um sich damit wie der lebensfrohe Schopenhauer die
Berechtigung zu einem System zu erschleichen; obwohl ihm
klar wurde, dass in der Langeweile ein Stilfaktor ersten
Ranges latent sei. Er blätterte in einigen
Mathematikbüchern, und viele Freude bereitete es ihm, mit
der Unendlichkeit umherzuspringen, wie Kinder mit Bällen und
Reifen. Hier glaubte er in keinem Hinübergehen in die Dinge
zu stehen, er merkte, dass er in sich sei.</p>

<p>
Er sah ein, dass es verfehlt sei, sich Dichter zu nennen;
dass er in der Kunst immer im Rausch der Symbole bleibe. Es
genügte ihm keineswegs, dass die Technik der Poesie
symbolisch sei, und ihre Gegenstände damit einen ganz
anderen Sinn erhielten; noch immer fand er, dass die
sprachliche Darstellung eben nur unreine Kunst sei, gemessen
an der Musik. Er verwünschte die Anstrengungen der
Wissenschaftler, die Musik auf reale physiologische Vorgänge
zurückzuführen. Aber es berührte ihn entschieden angenehm,
dass sie ihre Verdauung interpretierten, doch alles
Künstlerische mit grosser Sicherheit umgingen. Es freute
ihn, wie sich hier eine alte Meinung bestätigte, dass die
Teile über das Ganze gar nichts aussagten, das Synthetische
in der logischen Analyse die unbewusste Voraussetzung sei,
und man gerade die Hauptsache somit sicher umgehe, wie es
diese Psychologen taten.</p>

<p>
Traurig rief er aus, welch schlechter Romanstoff bin ich, da
ich nie etwas tun werde, mich in mir drehe; ich möchte gern
über Handeln etwas Geistreiches sagen, wenn ich nur wüsste,
was es ist. Sicher ist mir, dass ich noch nie gehandelt oder
erlebt habe.</p>

<p>
»Auch nie genossen, Idiot,« fauchte Nebukadnezar in die
Stube, und schlug wieder den Deckel des Nachtstuhles zu.
Leuchtende kleine Wolken glühten auf, und ein Vorhang aus
Mull mit zarten Blumen überdeckt, wurde auseinandergezogen.</p>

<p>
»Mein Herr, Sie faselten eben von einer reinlichen Scheidung
Ihres Ichs. Ich merke, Sie suchen Gott. Nun ja, ich gestehe,
es ist schwer einzusehen, dass alles Relative eben durch den
Genuss und ähnliche passive Räusche absolut wird. Den Weg zu
Dingen zu vergessen, haben Sie eben noch nicht fertig
gebracht, aber die Resultate sind gleich, Sie Säugling mit
der Denkerstirn,« schrie er mit erhobenem Zeigefinger. »Ich
habe mich noch nie dafür interessiert, was ich geniesse,
aber dass ich geniesse, war mir stets von grösster
Wichtigkeit.«</p>

<p>
»Mein Herr, Sie suchen Zwecke mit Ihrem Bauch. Entfernen Sie
sich. Im übrigen war Ihre jenseitige Genussmaschine
gefährlich. Ich wohnte doch Ihrem seligen Abscheiden bei.«</p>

<p>
»Sie sehen also immer noch nicht ein, dass lediglich die
Nervenstränge rissen. Mein ziseliertes Hirn war bei weitem
dauerhafter. Es ist empörend, dass Ihr misslicher Ernst mich
stets zu faulen Witzen reizt. Jetzt haben Sie Ihre eigenste
Spiegelung weg.«</p>

<p>
Er setzte sich zu Bebuquin ins Bett.</p>

<p>
»Bebuquin,« begann er gütig, »Sie sind ja immer noch ein
Mensch. Variieren Sie doch einmal, monotoner Kloss.
Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen von den Gärten der
Zeichen, die Geschichte von den Vorhängen erzähle.
Narzissus, Unproduktiver.«</p>

<p>
Giorgo zog sich die Decke von den Ohren, steckte einen Kakes
in den Mund, und Böhm hub an:</p>

</body>
</html>