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<title>Elftes Kapitel</title>
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<body>
<h3 class="spaced center">Elftes Kapitel</h3>
<p>
Der Schatten eines sich begattenden Affenpaares schlich von
der anderen Seite über Euphemia. Sie erschauerte müde, aber
mit schattender Begierde, die über sie weg kroch. Leise ging
sie in die Mitte der Arena, zog ihr Gazekleid ab und stand
nackt in der Dunkelheit. Wenige spärliche Sterne leuchteten
durch die Luken. Das verhängnisvolle Seil pendelte zwischen
ihnen.</p>
<p>
»Sie sind nun erledigt,« rief Bebuquin durch die Finsternis.
Sein Schatten glitt über den Boden, über Euphemia.</p>
<p>
»Rühren Sie mich nicht an, schrie sie. Ich gehöre dem
andern. Ich habe mich dem imaginierten Böhm angetraut. Er
kann aus der Wand kommen. Er ist ausserhalb jeder Regel. Er
hat mir alles verwirrt. Sein tödlicher formloser Humor, bei
dem jedes nichts und sehr bedeutungsvoll ist, fuhr in mich.
Ich leide so unter den Versuchungen der Phantasie. Ein Weib
hält das doch nicht aus. Sehen Sie, Böhm ist für mich
wirklicher, wie Sie. Er ist ein grausamer Witz, eine
phantastische Guillotine. O du mein Galgen. Ich sehe immer
gerade aus, wie er's braucht. Er nimmt mir alle Kraft aus
den Gliedern. Ich hocke tagelang und sehe ihn in dem
Schatten des Abends, bald grünt er im Morgen, wie ein
endloser Kakadu, bald liegt er draussen im Meer, und ich
reise tagelang der Welle nach, der grünen Flasche, die ihn
umschliesst. Es ist so reich, mit den Toten zu verkehren, es
ist eine stille, innerlich bohrende Lust, lautlos sprengende
Raserei; Böhm!«</p>
<p>
»Ihnen sind die Gestalten verwirrt.«</p>
<p>
»O Sie sind töricht, ich stehe in einem langen alten Mythus,
der mich umschlingt wie ein Gewebe. Wissen Sie, die Luft ist
etwas ganz anderes, das ist eine Glasglocke. Ich muss
dahinaus, man erstickt so elend in dem engen Leben. Böhm
erweiterte in einem ständigen Training die phantastischen
Fähigkeiten seines Körpers; seine Stimme, die Strahlen
seiner Augen. Ja, was war das, wie weit reichten die; ich
bin einfach verfallen in die Grenzenlosigkeit des Humors.
Doch ich leide unter all dem Grauenhaften. Ich vermöchte mit
einem zufriedenen Lächeln irgendeinen zu töten, vielleicht
nähme das alle Last von mir. Wissen Sie, wir handeln immer
doch zuletzt aus einem Minimum von Ueberspannung, die eines
findet, an dem sie sich auslöst. Eine grosse Dunkelheit und
ein weniges, ein Grammchen von Ueberspannung. In uns sind
alle Laster, alle Grösse, nur temperiert, gegenseitig
geschwächt; aber wenn sich eins überspannt, der Hass, die
Angst, die Liebe, dann ist es in einem Blitz den ganzen Weg
durchgeflogen, oder wir gehen wie Mondsüchtige, haben die
anderen Empfindungen verlernt, tun das Nötige und sind wie
vorher und wissen nichts. So geschehen viele Morde.«</p>
<p>
»Aber der Körper, die Sinne.«</p>
<p>
»Du, mein Gott, das sind die ärmlichsten Gewöhnungen,
Vorurteile. Viel stärker, reizvoller, gefährlicher sind die
Empfindungen, die keines Erlebnisses bedürfen. Denn
schliesslich gibt es Menschen, die kommen auf die Erde und
kennen alles. Das Leben ist nur eine mühevolle Darstellung
der Erinnerung, nichts Neues.«</p>
<p>
»Also kämen wir doch von Gott.«</p>
<p>
»Aber woher denn?«</p>
<p>
»Sie kriegten doch Emil.«</p>
<p>
»Nein, das war nicht ich, irgend etwas in mir produzierte
da, bewahrte auf. Und der erste Schrei des Kindes, das
konnte doch nicht von mir kommen. Und die Form, der Körper,
das ist doch nur ein Mittel, eine Ausdrucksform und ein
schlechtes Instrument. Wenn ich mit Gott und Böhm mehr
zusammen bin, werde ich das Meiste viel genauer kennen.«</p>
<p>
»So geht alles von den Lebendigen weg zu den Toten. Die
stehen eben energisch voran. Weisst Du, Euphemia, wie Du die
Dessous oft behaglich abstreiftest. So fällt alles mögliche
von mir ab. Man steht einfach gerade da, den Kopf über den
Wolken und ist mehr oder weniger fertig. Es geht von einem
weg. Die Leute, Wünsche, Quälereien, und man ist wie eine
geleerte Pappschachtel. So weist Du, die Dunkelheit und die
Sonne, das sind für mich keine Gegensätze mehr, sind ein
totes Gefühl, bald in Schwarz, bald in Weiss. Ich möchte mal
schreien, dass die Tiger vor Angst ausbrechen und durch die
Nacht ihre Augen funkeln. Es wird mich nichts freuen, gar
nichts. Alles, was sonst die Leute steigert, exstasiert,
ruiniert mich totsicher, macht mich still wie die Wand, die
Du nicht siehst. Jetzt ziehst Du gar noch zum Herrgott!
Gerade so gut kannst Du Dich in Permanenz hängen. Der
Herrgott, das ist's. Wir geben ihm all unsere Kraft und
können ihn dann nicht mehr ertragen. Ich sehe das immer zu,
wie alles ihm zufällt, wie er euch von mir abrückt. Dann
bleibe ich übrig, ich gestehe ihm keine Rechte zu, und ich
kann nicht sterben, weil ihr an einen Weltfremden glaubt.«</p>
<p>
»Du, Giorgio, weisst Du denn, was für eine Frau die Reinheit
ist. Du, weisst Du, Frauen ekeln sich meistens vor sich
selbst, wenn sie was taugen. Ich will einfach aus all dem
Dreck heraus.«</p>
<p>
B. In euere grauen, bleiernen Sauermilchtage.</p>
<p>
E. In die Erregungen der Seele.</p>
<p>
B. Aber Gott ist ein Wahnsinn.</p>
<p>
E. Darum um so fester.</p>
<p>
Genau so wie die menschliche Mathematik, prächtig und
leidenschaftlich.</p>
<p>
Gott ist die Erregung, die den Körper übertrifft.</p>
<p>
Gott ist der Tod, den wir über uns hinaussterben.</p>
<p>
Er ist die aufsprossende Vernichtung unserer selbst.</p>
<p>
Er ist übermessliche Grösse.</p>
<p>
Farbe, die wir noch nicht sahen.</p>
<p>
O, wie soll ich ihn tanzen.</p>
<p>
Ich müsste Sterne in die Hände raffen.</p>
<p>
Sonnen mir unter die Sohlen legen.</p>
<p>
Mein Mund sei ein grenzenlos Orchester.</p>
<p>
Und das Blech und die Pauke vielfach besetzt.</p>
<p>
Ich zerdrücke Trauben in den Fingern.</p>
<p>
Und weiss ihn.</p>
<p>
Ich liege still und</p>
<p>
bin weiss wie Mörtel, der die Wände bedeckt,</p>
<p>
und kenne Gott.</p>
<p>
Er ist der glühend Lauernde in der Dunkelheit.</p>
<p>
B Er ist der Wahnsinn.</p>
<p>
Das Unmögliche.</p>
<p>
Der tödlich Auflösende.</p>
<p>
Die unfruchtbare Steppe, in die wir kräftige Häuser zwingen.</p>
<p>
Die Gefahr für den Willen.</p>
<p>
Er ist mein Hass.</p>
<p>
»Bebuquin, halten wir den Atem an. Sie sind ein ganz
liebloser Mensch, der nichts opfert, der alles für sich
haben will, und das geht nicht. Lassen Sie einiges und nicht
zu wenig dem Herrgott. O, ist das nicht Böhm?«</p>
<p>
Ihr wurde kalt, dann zog ein feuriger Schweiss über den
Körper.</p>
<p>
»Hören Sie, sagte Giorgio, das ist Unsinn. Schlimm ist es
einfach, jedes als Versuchung, als Reiz zu empfinden.
Euphemia, heiraten Sie mich doch, es ist sonst nicht zum
aushalten.«</p>
<p>
»Ja, und jede Nacht schaut Böhm zu, haben Sie denn keine
Pietät?«</p>
<p>
»Wenn mich was nur so fest hielte, dass ich mich los wäre,
irgend ein sympathischer Selbstmord. Meinen Sie, es ist ein
Spass, mit mir immer herumzulaufen, und zum reifen Goethe
fehlt's mir an Lust und Talent.«</p>
<p>
»Glauben Sie, Giorgio, jemand wie Sie bringt kein Weib zwei
Zentimeter von der Stelle. Denn sobald Sie etwas tun, ist es
gegen Sie. Ich getraue mich nicht — gegen Ihren Willen zu
sagen, Sie Dressurprodukt.«</p>
<p>
Dies redete sie ohne gewärtiges Interesse. So vor vierzehn
Tagen hätte sie es noch mit Verve gesagt; denn der Herrgott
verlangte sein Recht; und man steigert sich, um zu fallen.</p>
<p>
Armer Bebuquin, Du höfliches Tierchen.</p>
<p>
Religiöses klingt erotisch vor dem Affenkäfig aus. Bebuquin
irrte mit wundem Hals zwischen den Physiognomien der Häuser.
Eine Kokotte tanzte angeheitert an einer Ecke und stapelte
ihr vom Frontkorsett aufgetürmtes Posterieur gegen den
Sternenhimmel. Euphemia stieg beruhigt und äusserst heilig
in eine Nonnenkutte und verliess den Zirkus. Ernst, die
Fingernägel polierend, kopfschüttelnd die Straffheit ihrer
Brüste hie und da prüfend, begab sie sich gelassen zum
Kloster des kostenlosen Blutwunders.</p>
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</html>
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