aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/06.html
diff options
context:
space:
mode:
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/06.html')
-rw-r--r--OEBPS/Text/06.html147
1 files changed, 147 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/06.html b/OEBPS/Text/06.html
new file mode 100644
index 0000000..fcd9fd6
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/06.html
@@ -0,0 +1,147 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>VI, 21. Oktober 1911</title>
+</head>
+<body>
+
+<h3>VI, 21. Oktober 1911</h3>
+
+<p>
+Liebe Skiläufer. Oder läuft Ihr nicht Ski? Wie ich noch so
+oberflächlich fragen kann, und bin in der größten Besorgnis,
+wo ich mein Manuskript unterbringe. Ich muß doch eine
+Familie ernähren, ich meine meinen Paul in allen
+Schmeichelnamen. Er will nun endlich eine Lokomotive mit
+vier oder vierzig Volt elektrischer Kraft haben oder einen
+Dampfkessel, der täglich hundert Kubikmeter verträgt,
+fünfzig Pferdekraft stark ist. Ich bitte ihn gar nicht mehr
+um Einschränkung seiner Wünsche, er wird wütend über meine
+Unwissenheit in technischen Dingen. Ich glaube, er ist
+Edison und er wartet nur
+noch <span class="spaced">einen</span> Monat höchstens, dann
+soll ich mir einen Laden aufmachen und alles einen Pfennig
+billiger verkaufen. Vielleicht hat er recht! Auch verwirft
+er meine Bücher und mein Schauspiel habe ich von Schiller
+abgeschrieben. Ihr müßt nur seine Modelle für ein neues
+Luftschiff sehen, er erklärt mir unermüdlich von Propellern.
+Morgen muß ich alles auswendig wissen. Ich hab' mir was
+geboren!! Wo bring ich nun schnell mein Manuskript unter?
+Erkundigt Euch doch mal in Norwegen nach einem blutmutjungen
+Verleger. Heut Nachmittag geht Paul mit Hüne Caro aus, sie
+haben beide zusammen eine Braut.</p>
+
+<p>
+Liebe Jungens. Ich habe Frau Franziska Schultz besucht. Ihr
+Schutzhaus für die Neugeborenen ist so österlich. Lauter
+kleine rosarote Zuckerostereier gucken nebeneinander
+versteckt aus weißen Kissen. So reizend ist das anzusehen,
+und ein Negerküken liegt auch dazwischen &ndash; geradezu
+Schwarzweißkunst. Ich wollt, ich wär auch noch einmal klein.
+Manchmal wünscht ich mir wirklich, jemand führte mich
+spazieren und ich wär erst vier Jahre alt. Die Zeit drückt;
+die meisten sterben an der Zeit. Darum sollte man sich viel
+in seine Kindheit zurückversetzen.</p>
+
+<p>
+Ich möchte Euch heute Abend nur sagen, Berlin ist eine
+kleine Stadt, täglich schrumpft sie mehr und mehr ein. Groß
+ist eine Stadt nur, wenn man von ihr aus groß blicken kann.
+Berlin hat nur ein Guckloch, einen Flaschenhals, und der ist
+auch meist verkorkt, selbst die Phantasie erstickt. Gute
+Nacht.</p>
+
+<p>
+Liebe Brüder. Ich bin außer mir, der Pitter Boom, den ich
+berühmt im Sturm gemacht habe, schreibt mir folgende
+wörtliche Ansichtskarte: Liebe Tino. Herwarth hat recht.
+Wenn ich auch finde, daß zu Ihnen alles paßt, so paßt mir
+doch nicht alles. Sehr muß ich bitten, endlich meine Familie
+aus dem Spiel zu lassen. Ich lese wöchentlich den Sturm.
+Großen Dank für den plattdeutschen Brief darin. Ich bleibe
+noch etwas hier, fern von der Caféhausglocke. Die
+norwegischen Briefe sind ja wunderschön. Herzliche Grüße aus
+Hiddensee. Peter Baum.</p>
+
+<p>
+Habt Ihr Worte &ndash; vielleicht irgendwelche Nordpollaute? Ich
+brauche sie, meinen Zorn abzukühlen. Aber ich weiß etwas,
+was Ihr nicht wißt. Aber ich habe einen Eid geleistet, es
+nicht wiederzusagen, trotzdem es mich eigens betrifft. Warum
+verteidigt man sich selbst eigentlich, man sollte doch gegen
+sich nicht argwöhnen. Ich bin ganz unglücklich, daß ich es
+keinem Menschen sagen darf. Wenn mich doch ein Geschöpf dazu
+zwingen würde! Oder wenigstens Peter Baum käme, und ich es
+in die Natur schreien könnte. Seid Ihr nicht neugierig?</p>
+
+<p>
+Liebe Kameraden. Mein Eid wurde eine Zwangsidee, oder
+vielmehr ich könnt ihn nicht bezwingen. Der verdammte
+Cajus-Majus kam mir heute am Spittelmarkt entgegen, wo
+der Krögel ist, und sagte, ich sähe aus, als ob ich an
+Depressionen leide. Seine Mutter aber fand, (Dr. Hiller hat
+doch eine ganz jugendliche, reizende Mutter) ich sehe ganz
+munter aus. »Das bin ich ja gerade, selig bin ich, und kann
+keinem Menschen sagen warum. Meine Kusine Therese aus der
+Tiergartenstraße hat mir vorige Woche zweihundert Mark
+geschickt. Ich sollt mir einen Mohrenmantel kaufen!« Mutter
+und Sohn haben mir versprochen, es Niemandem wiederzusagen.
+Ich setzte mich dann erleichtert, noch dazu mit dem Rest der
+zweihundert Mark, an die Spree hin. Alle diese praktischen,
+unnotwendigen Sachen, die ich für meine Millionen bezahlt
+habe &ndash; den Mohrenmantel besäße ich wenigstens noch!
+Müßten mir nicht die Leute alle Tribut zahlen? Der Krögel
+ist ein gerechter Ort, der Krögel ist der schönste
+Aufenthalt in Berlin; so denk ich mir die Fjorde von
+Norwegen, wie der Blick auf die plötzlich unerwartete,
+daliegende Spree mit einem Schuß am Ende des schmalen,
+alten, zerschlissenen Gassenarms. Nur Fahnen wehen wohl an
+den Ufern der Fjorde &ndash; hier stehen über Nacht die
+kleinen blau und weiß gestreiften Eiswagen, die gefrorenes
+Himbeer- und Maikrautsaft für die armen Kinder enthalten.
+Wenn Ihr eine Rose seht, sagt, ich laß sie grüßen.</p>
+
+<p>
+Warum ich Euch nichts mehr vom Bischof erzähle? Ich spräche
+nur immer von mir, sagt er. Ich glaub, er hat es über. Dabei
+entdeckte er nur in mir ein kleines Dorf, nicht einmal eine
+meiner Städte hat er erobert. Hunderttausend Meilen war er
+immer von Bagdad entfernt. Aber wer weiß von meinem Herzen?
+Alle nur immer auf der Landkarte. Ich liege zwischen Meer
+und Wüste, ein Mamuth. Mein Bau ist furchtbar und vornehm.
+Erschreckt bitte nicht. Aber ich muß mir wirklich
+abgewöhnen, immer von mir zu sprechen, wie Kokoschka in
+Wien, der spricht darum gar nicht. Denk mal, Herwarth, das
+Plakat der Neuen Sezession war im Café. Das ist ja
+Pechsteins Frau. Eine Indianerin ist sie wirklich, des roten
+Aasgeiers wunderschöne Tochter; sie ist malerisch wildböse,
+sie trug ein lila Gewand mit gelben Fransen. Und noch viele
+Maler waren heute im Café: Berneis, Ali Hubert, der
+Himmelmaler, und Fritz Lederer. Der ist der Sohn von
+Rübezahl. Er und seine nagelneue Frau zeigten mir ihr junge
+Wohnung; ich mußte mit ihnen Thee trinken. Aus seinem
+Atelier kams immer so frostig durch die Ritzen der Türe. Er
+malt nur Schneebilder. Du kannst Schneebälle machen von dem
+Schnee, der auf dem Riesengebirge seiner böhmischen Heimat
+liegt. Ich trink jetzt abends immer Tee dort. </p>
+
+<p>
+Depesche. Walden-Neimaun. Norwegen. Hôtel Seehund. Hiller,
+Kurtz, Hoddis sind wieder ausgesöhnt. Else. </p>
+
+<p>
+Liebe Kinder. Ich kam ins Café, ich traute meinen Augen
+kaum, saßen alle wieder ausgesöhnt beisammen. Auch Blaß war
+unter ihnen und Golo Ganges. Ich schlich schnell an der
+versammelte Literatur vorüber. Rudi Kurtz sprach gerade vom
+wilden Mythos meiner Wupper. Wie konnte ich je auf ihn
+schimpfen! Da hört sich doch alles bei auf! Soll noch einmal
+ein Mensch ein böses Wort auf ihn sagen. Addio!</p>
+
+</body>
+</html>