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diff --git a/OEBPS/Text/19.html b/OEBPS/Text/19.html new file mode 100644 index 0000000..b625e86 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/19.html @@ -0,0 +1,107 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>XIX, 27. Januar 1912</title> +</head> +<body> + +<h3>XIX, 27. Januar 1912</h3> + +<p> +Ich schrieb:<br /> +Heute Mittag aß ich die Erstgeburt, zwar nicht Linsen, aber +dicke Erbsen. Es schwammen Bröckchen darin und die +Ueberreste eines Schweinsohrs. Ich bin aufgebläht, aber Ihr +Antlitz, Cajus, hat Monderweiterung bekommen. Wie dürfen Sie +Sich erlauben, uns, vor allen Dingen mich, in Ihrem Vortrag +mit Idioten anzureden; zumal Sie genau wissen, ich bin Idiot. +Aber erinnern brauchen Sie mich nicht daran, das ist unzart, +das ist direkt ordinär von Ihnen. Ich komme nicht mehr ins +Gnu, ich hab gnug.</p> + +<p> +Herwarth, gestern ist mein Onkel, der süddeutsche Minister, +sofort mit mir ins russische Ballet gefahren. Hinter uns +saßen strahlende Petersburgerinnen, zwischen ihnen Herr +Barchan, der Hexenmeister. Einige Male hat er bei uns in der +Wohnung frische Fische gezaubert und nachher verschlungen, +lebendig; er hat Dich auch einmal verschwinden lassen +wollen, Herwarth, weißt Du's noch? Ich meine, Dich +verleugnet; aber sein Aermel war nicht weit genug.</p> + +<p> +Ich schreibe nun schon drei Monate oder noch länger +norwegische Briefe. Verreist Ihr beide nicht wieder bald? +Vielleicht regt mich eine zweite Reise auch so an, wie Eure +Nordpolfahrt. Ich habe zwar verlernt, mit Sonne zu schreiben; +meine Vorfahrengeschichten verlangen Morgenland. Auch dem +historischen Stil habe ich Schlittschuh angeschnallt, und +ihn so mit fortgerissen, es kam mir nicht darauf an. Ich +schrieb also den größten Teil meiner Briefe mit dem großen +Zeh; die Historie aber, kann man nur mit dem Herzen +schreiben; das Herz ist Kaiser. Womit schreibe ich +eigentlich meine Gedichte? Was glaubt Ihr wohl? Die +schreibe ich mit meiner unsichtsbarsten Gestaltung, mit der +Hand der Seele, – mit dem Flügel. Ob er vorhanden ist – +Sicher! Aber gestutzt vom böswilligen Leben. (Mystik.)</p> + +<p> +Lieber Herwarth, außerdem habe ich Direktor Cajus-Majus = +Dr. Hiller in seinem Gnutheater am Vortragstisch auf der +Bühne sitzend gezeichnet. Er spricht vom gescheckten +Mondgnukalb – in seinem Hirne – elektrisch +spiegelt sich die Birne.</p> + +<p class="center"> +<img src="../Images/19-kurt-hiller.png" alt="Kurt Hiller"/></p> + +<p> +O, Herwarth, o, Kurtchen, wie sich die Welt verändert hat; +früher war die Nacht schwarz, nun ist sie goldblond.</p> + +<p> +Liebes Kurtchen, weißt Du's schon, eine Deiner Klientinnen +hat den Sturm aufgekauft und läßt sich mit Deinem Bild ihr +Schlafzimmer tapezieren: Sie singt: »Ich hab dein Bild im +Sturm gesehn!«</p> + +<p> +Jungens, nun hab ich's raus mit den Künsten: man muß +zeichnen, wie man operiert. Ob man ein Stück Haut zuviel +skalpiert oder einen Strich länger zieht, darauf kommt es ja +gar nicht an! – Und die Massenliebe des Publikums zur +Musik, ist mir auch klar geworden. Die Zunge hat am meisten +zu tun beim Hören, sie wächst sozusagen gehöraufwärts, sie +probiert; namentlich schmeckt ihr die Nationalmusik: +Deutschland, Deutschland über alles, Volkslieder, prickelnde +Operettenlieder; Carmen, glänzendes Hochzeitsmahl; auch +Wagners heiliger Oral ist nicht zu verachten. Deine Musik, +Herwarth, aus Tanz und Schwertern, aus Frühlenz und +Schäfern, aus Mond und Nacht und Sternen frißt auch die +Menge mal für Schildkrötensuppe und indische Vogelnester +– hoffe ich!</p> + +<p> +Abends trinke ich jetzt immer Thee Chambard, ein Getränk aus +Goldkamillen, blauen Glockenblüten und Rosenblättern. Ich +habe Peter Altenberg das duftende Rezept geschrieben für +eine Fortsetzung seines Buches Prodromus. Ich hörte, er +spucke auf mein erlesenes Gedicht, auf meinen alten +Tibetteppich, er kann nur dadurch antiker und wertvoller +werden.<br/> +Peter Altenberg, der Dichter der Oestreicher, hurrah!!!</p> + +<p> +Lieber Herwarth, wenn ich Professor Herrmann begegne, muß +ich an tiefe Wolken denken; wenn ich an Julius Hart denke, +weiß ich, wo ich einst Engeln begegnet bin! Max Herrmann und +Julius Hart sind (fort mit allem Hirn-Maché) durchrankt von +Seele.</p> + +</body> +</html> |