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  <title>XIV, 16. Dezember 1911</title>
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<body>

<h3>XIV, 16. Dezember 1911</h3>

<p>
Liebe Jungens, warum fragt Ihr mich nie an, was ich mit dem
geheimnisvollen: Schweigt mir von Rom gemeint hab? Ich
wollte mir nämlich einen Wahrsagesalon eröffnen, »Schweigt
mir von Rom« &ndash; aber da Ihr beide stillschweigend darüber
hinweggegangen seid, wie sollen da die Fremden hereinfallen.
Ich gehe nun lieber hausieren.</p>

<p>
Denk mal an, Herwarth, eben kommt unsere Grete und kündigt
mir; muß ich nun aus dem Haus oder sie? Sie hat heimlich
über Leipzig den Sturm abonniert und bezieht den Spaziergang
mit mir durch die Friedrichsruherpeterbaumstraße auf sich.
Ihr Ehrgefühl ist angegriffen; sie fühlt sich verletzt, und
ich muß mir nun meine Wohnung wieder selbst reinigen oder
nicht reinigen, ich bin zu Staub geworden zwischen Staub.
Ihr Willy würde sie nun nicht heiraten, was meinst Du, wenn
ich ihr verspreche, ihre Hochzeit bei uns zu feiern? </p>

<p>
Peter Baum sieht schlecht aus, er sehnt sich nach Elberfeld,
selbst an seine Amme denkt er noch mit großer
Anhänglichkeit. Er trägt sie an seiner Uhrkette in einem
Herzenveloppe. Sie hat seine Vorfahren schon gesäuget und
stammet aus Remscheid. Sie war es ja, die ihn eigentlich auf
die Verse gebracht hat. Nicht?</p>

<p class="center">
<img src="../Images/14-gesicht.png" alt="Gesicht" /></p>

<p>
Liebe Reisende, ich habe mir in Hieroglyphen-Schrift ein für
allemal eine Antwort drucken lassen auf die vielen Briefe,
die ich empfange, auf jeden Brief ohne Ausnahme von wem er
kommen mag. »Krabbeln Sie mir den Buckel herauf!« Was werden
Richard Weiß in Wien und Paul Leppin in Prag, beide, die ich
so gerne habe, zu der Unhöflichkeit sagen! So eine
Unhöflichkeit kann direkt eine Zwangsidee werden, sie wird
dann plastisch ein Feind, der Feinde bereitet. Wenn mir nun
in diesen Tagen die Venus von Siam einen Brief schreibt und
ich ihr die Antwort in Hieroglyphen übersende. Oder
Ramsenith? Wißt Ihr wer Ramsenith ist &ndash; in München wohnt er
seit dem Testament und trägt eine Pyramide auf dem Kopf und
ist schön, seine Augen reichen bis in den Himmel. Er ist der
einzige Mensch, der historisch nachweisen kann: Ich bin
Jussuf der Egypter, denn ich lebte an seinem Hof. </p>

<p>
Lieber Herwarth. Mein Herz ist sehr krank oder fühlt es
übergroß? Wenn es übergeht, glaubt man ja immer so
kleinlich, man ist krank. Das hat man noch so von den
Aerzten überliefert. Herwarth, gestern abend war mein Herz
granatrot, ich konnte die Farbe im Munde vernehmen, kosten.
Mein Herz war das Abendrot und ging unter. Draußen kann es
in der trüben Winterstimmung nicht mehr geschehn; ich starb
am Abendrot. Kannst du das fassen, konnte je ein Mensch
fassen,wenn ich von den Sternen sprach, wie von meinen
Brüdern, den Mond geleitete durch die Wolken, er ein
lustiger, alter Herr ist und heimlich goldenen Wein trinkt,
Berncastle Doktor, edele Auslese? 0, ich scherze nicht, ich
will Dich und Euch nicht amüsieren, aber mich immer retten
mit Tyll Eulenspiegel Spielen. Ich wäre Clown geworden,
Herwarth, wenn ich Dich nicht dadurch beleidigt hätte. </p>

<p>
Internationale Postkarte<br />
Lieber Herwarth, ich bin sehr traurig, ich höre den ganzen
Tag weinen in der Stadt. &ndash; Wie ich mich umdrehte, war ich
es. Ich weine, Herwarth, weil mir jemand böse ist. </p>

<p>
Gute Kinder, ich bin tief ergriffen, meine Seele hat sich
aufgelöst, es fließt an ihr herunter, Smaragd, und Rubin und
Saphir, auch Mondstein wie bunte Quellen. Und ich sage immer
zwei Worte, die meines versengten, »ungeschriebenen«
Liebesbriefs, der an Sascha adressiert war nach Sankt
Petersburg Zitadelle: Himmlischer Königssohn</p>

<p>
Ich habe nun kein Geheimnis mehr, mein Herz kann
keines bewahren, es steht im Amt der Welt. Meere kommen und
spülen seine Heimlichkeiten ans Land, es erwacht mit dem
Morgengrauen und stirbt am Sonnenuntergang. Aber immer ist
mein Herz von Seide, ich kann es zuschließen, wie ein Etui.
Weißt du ein Geheimnis oder frag Kurtchen, das meiner
Diskretion wert wäre?</p>

</body>
</html>