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<title>XX, 3. Februar 1912</title>
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<h3>XX, 3. Februar 1912</h3>
<p>
Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, ich habe meine beiden
Ringe verschenkt; es tut mir so leid, aber ich habe mir
einen großen, braunen Käfer aus Glas in Messing fassen
lassen; er sitzt auf meinem Mittelfinger wie auf einem
kahlen Herbstast und sehnt sich nach Sommer und Sonne, nach
Blüten und Silberblättern und wahrscheinlich nach einem
Glühwürmchen.</p>
<p>
Herwarth, wir sind nur auf dem Wege, das Leben ist nur Weg,
hat keine Ankunft, denn es kommt nicht woher. Wohin soll man
da? Immer in sich Zuflucht nehmen! Darum sind ja die
Menschen so arm, ihre Herzen sind Asyle, sie fühlen sich
sicher in ihren geselligen Heimstätten. Wohin soll man da?
Mein Herz ist zerfallen; o, diese Einsamkeit zwischen
gebrochenen Säulen! Da ein luxuriöses Herz – und wenn
es aus Marmor ist?</p>
<p>
Meine Lieben, ich bin sehr neugierig geworden; ich beginne
mich zu fragen, ob ich intellektuell bin oder stumpf?
Manchmal denk ich was, das geht über meine Grenzen; über
Eure Horizonte habe ich wohl lange schon gedacht. Aber wo
komme ich hin, wenn ich über meinen Mauern und Zäunen hänge,
wo sich noch nicht Land vom Meer getrennt hat? Wer wird mir
Schöpfer sein!! Werde ich meinen Schöpfer lieben oder ihn
anbeten in Ehrfurcht?</p>
<p>
Wenn ich ernstlich krank bin, dann hole ich keinen Arzt,
Herwarth, aber einen Astronomen, jedenfalls einen
Sterndeuter oder einen Fakir, meinetwegen einen Gaukler.
Eher stellt »der« fest, wie weit mein Sternbild Corpus von
dem Sternbild Psyche entfernt ist, als der anerkannteste
Professor.</p>
<p>
Herwarth, ich habe meine medizinische Arbeit gedichtet
(nicht geschrieben), darum werde ich wohl den Doktorhut
bekommen, aber ihn nur Carneval aufsetzen dürfen. </p>
<p>
Lieber Herwarth, ich habe im Berliner Tageblatt einen Ruf
nach dem Simplizissimusmaler Ludwig Kainer und seiner Frau,
der Malerin, ergehen lassen. Beide sind plötzlich
verschwunden. Ich hänge aber eingeschlossen einigemale in
ihrer Wohnung. Wie es mir gehn mag, meinen verschieden
aufgefaßten Ichs?</p>
<p>
Kurtchen, steht Gefängnis auf Schweinehund? Oder Geldstrafe?
Oder verjährt nach zwei Jahren ein Schimpfwort, wie zum
Beispiel Schweinehund? Ich habe vor zwei Jahren mal jemand
so genannt; ich möchte endlich von der Kette los.</p>
<p>
Ich muß manchmal an die Schwärmerin denken vom Sylvester im
Café des Westens. Sie kniete vor mir (eine mir höchst
unsympathische Stellung), aber sie kniete im Blut, denn der
Wein inselte unseren Tisch. Ich trug mein Kriegsgewand und
alle meine Dolche, und nie war ich so vornehm der Prinz von
Theben, wie an der Grenze zwischen Alt und Neujahr. Ich habe
der Schwärmerin versprochen, nicht mehr Platt zu sprechen in
meiner norwegischen Korrespondenz; liegt auch im Grunde nur
Brüderschaft in der ollen Omgangssprake twischen Pitter Boom
on mek.</p>
</body>
</html>
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