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  <title>Entsühnung</title>
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<body>

<h3>Entsühnung</h3>

<p>
  <span class="indent">Ich stand in Nacht. Ich rang versteinert. Fand in Wüsten irrend deine Seele nicht.</span><br />
  <span class="indent">Die Wege lagen endlos mir verschüttet, die zu deiner Schwelle liefen.</span><br />
  <span class="indent">Ich war ganz fern. Du sprachst zu mir. Ich stand mit abgewandtem Herzen und Gesicht.</span><br />
  <span class="indent">Wie Sterbeglocken rauschten mir die Worte, die mich zu dir riefen.</span><br />
  <span class="indent">Ich lauschte dumpf der Stimme. Wie erstarrt. Sie kam</span><br />
  <span class="indent">Aus Fernen: still; demütig, aber fest; nachtwandelnd und im Glanze ihres Schicksals, und sie drang in meinen Traum.</span><br />
  <span class="indent">Da war's, daß in mein Herz das Wunder brach. Ich wachte auf. In jäher Scham</span><br />
  <span class="indent">Sah ich mich selbst. Sah deine Seele, wie sie stumm, mit schweren Lidern, vor mir stand,</span><br />
  <span class="indent">Nackend. Sah ihre lange Qual, und wie sie durch die vielen, vielen Nächte</span><br />
  <span class="indent">Mich so gesucht, die Augen still in mich gekehrt, und mich doch nimmer fand,</span><br />
  <span class="indent">Indes ich blind in wilden Zonen irrte</span><br />
  <span class="indent">Und meines Herzens Heimwehruf verbannte.</span><br />
  <span class="indent">Sah, wie ihr reiner Spiegel sich mit Dunkel wirrte,</span><br />
  <span class="indent">Und jäh gereckt die Gier, wie sie sich selbst zum Opfer brächte,</span><br />
  <span class="indent">Grausam, im eignen Blut die Qualen löschend, und mit Weh ihr Weh ertöte,</span><br />
  <span class="indent">Im Opfer ihres Leibes. Und ich sah dich bleich, mit nackten Füßen auf dem Büßerberg und über deiner Brust die Röte</span><br />
  <span class="indent">Der Wunden, die ich dir geschlagen. Sah dich matt und bloß</span><br />
  <span class="indent">Und schwach. Doch über Nacht und Leid</span><br />
  <span class="indent">Strahlte dein heiliges Herz. Ich sah den Glorienschein, der jählings über deinem Scheitel brannte</span><br />
  <span class="indent">Und mich begoß. Oh, immer will ich stehn und schauen, schauen</span><br />
  <span class="indent">Und warten, du Geliebte, daß dein Antlitz mir ein Lächeln schenke.</span><br />
  <span class="indent">Ich weiß, ich hab an dir gesündigt. Sieh, ich will dein Kleid</span><br />
  <span class="indent">Bloß fassen, so wie Mütter tun mit kranken Kindern vor dem Bild der lieben Frauen&nbsp;&ndash;</span><br />
  <span class="indent">Nur lächle wieder, du, in deren Schoß</span><br />
  <span class="indent">Ich wie in klares Wasser meines Lebens dunkles Opfer senke.</span>
</p>

</body>
</html>