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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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--- /dev/null
+++ b/03-etwas-von-der-arbeit.rst
@@ -0,0 +1,336 @@
+.. include:: global.rst
+
+ETWAS VON DER ARBEIT
+====================
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initial:`S`\ icherlich ist in andern Städten der
+Lebensgenuß, das Vergnügen, die Zerstreuung bemerkenswerter.
+Dort verstehn es vielleicht die Leute, sich sowohl
+ursprünglicher als auch gepflegter zu unterhalten. Ihre
+Freuden sind sichtbarer und schöner. Dafür hat aber Berlin
+seine besondere und sichtbare Schönheit, wenn und wo es
+arbeitet. In seinen Tempeln der Maschine muß man es
+aufsuchen, in seinen Kirchen der Präzision. Es gibt kein
+schöneres Gebäude als die monumentale Halle aus Glas und
+Eisenbeton, die Peter Behrens für die Turbinenfabrik in der
+Huttenstraße geschaffen hat. Und von keiner Domempore gibt
+es ein eindrucksvolleres Bild als, was man von der
+Randgalerie dieser Halle sieht, in der Augenhöhe des Mannes,
+dessen Luftsitz mit Kranen wandert, welche schwere
+Eisenlasten packen und transportieren. Auch ehe man
+versteht, in welcher Art die metallenen Ungeheuer, die da
+unten lagern, zur Bereitung ähnlicher und andersartiger
+Ungeheuer dienen, ist man von ihrem bloßen Anblick
+ergriffen: Gußstücke und Gehäuse, noch unbearbeitete
+Zahnkranztrommeln und Radwellen, Pumpen und Generatoren halb
+vollendet, Bohrwerke und Zahnradbetriebe fertig zum Einbau,
+riesige und zwergige Maschinen auf dem Prüfstand, Teile von
+Turbogeneratoren in der betonierten Schleudergrube.
+
+Während wir in dieser Halle mehr bestaunen als begreifen,
+wird uns in den kleineren Werkstätten manches zugänglicher.
+Wir sehen, wie Nickelstahl in Stangenform auf der Schaufel
+gefräst und geschliffen wird, wie in die Rinnen der
+Induktorwelle blecherne Zähne eingeschoben werden, wie die
+gewickelten Erregerspulen zwischen das Zahnwerk greifen. Wir
+besuchen die Schmiede, wo die Arbeiter glühende Eisenstücke
+unter den Dampfhammer halten, der sie kerbt und hobelt wie
+weiches Wachs.
+
+Wir stehn am Wasser vor der Transformatorenfabrik und sehen,
+wie Kohle aus dem Spreekahn mit der Laufkatze herübergekrant
+wird in eine Art Eisenhammer, um dort ganz ohne Menschenhand
+in Kohlenstaub verwandelt zu werden. Wir treten in die
+Halle, in der niemand zugegen ist, und sehn die Verbrennung
+in glühender Grotte. Nach den Räumen mit den großen
+Maschinen besuchen wir Säle, wo Arbeiterinnen ganz dünnen
+Draht spulen, Hartpapier walzen und zu Schichten ganz
+leichter harter glatter Rollen pressen, wo von Hand zu Hand
+das schmale Stanzplättchen wandert, das geglüht, geölt,
+geschnitten wird.
+
+In der Zählerfabrik macht ein Griff der Maschine aus der
+Blechplatte eine Schüssel mit hochgebogenem Rand, ein
+zweiter durchlocht sie. Funkensprühend wird sie genietet und
+geschweißt. Magnete werden eingefügt. Das ganze Haus ist
+eine Kette der Arbeit, die ununterbrochen die Werkbänke hin
+von Stockwerk zu Stockwerk wandert und in weitertragende
+Schachte geschoben wird. Alle Teile und Teilchen, die den
+sitzenden Frauen zur Hand liegen, werden dem werdenden
+Zähler eingefügt, angesetzt, eingeschraubt und geprüft; und
+zuletzt wird das ganze Zählergebäude verpackt. Stahlbänder
+schieben sich um Kisten, die auf Rollen zum Fahrstuhl
+gefördert und auch dort nicht von Menschenhand, sondern
+mittels eines Hebels angehoben werden. Alle Kraftvergeudung
+und schwächende Anstrengung wird erspart; immer mehr wird
+der Arbeiter nur noch Wächter und Anlasser der Maschine. Und
+wie die Maschinenteile, so wandern auf laufendem Bande auch
+Tassen und Becher, in welche die Mädchen ihren Tee, Kaffee
+und Kakao getan haben, und der kommt dann von seinem
+Rundgang durch die Küche gekocht und fertig zu ihnen zurück.
+Jede, die da sitzt, hat hinter dem laufenden Band nur ein
+kleines Stückchen Tisch für sich, und doch ist Platz genug,
+daß die Nachbarinnen der, die heute Geburtstag hat, ein paar
+bunte Tassen, Teller und Löffelchen aufschichten konnten,
+die hinter dem Wanderwerk rührend stillstehn.
+
+Es ist nicht nötig, alles zu verstehn, man braucht nur mit
+Augen anzuschauen, wie da etwas immerzu unterwegs ist und
+sich wandelt. Da ist in einer dieser Stätten andächtigen
+Eifers ein Metall, von dem man dir erzählt, daß es einen
+besonders hohen Schmelzpunkt hat und sehr schwer verdampft.
+In Öfen kann’s nicht geschmolzen werden, die würden in
+Stücke gehn, darum muß das aus dem Mineral gewonnene
+Metallpulver durch Pressen, Sintern, Hämmern und wieder
+Glühen allmählich zum festen Stab und weiter zum Draht
+geformt werden. Und nun kannst du sehn, wie der Draht durch
+Hämmermaschinen und durch Ziehsteine geht, an den Enden
+gespitzt und so lange geglüht und gezogen wird, bis er zum
+haarfeinen Fädchen geworden ist, das in der Glühlampe
+gebraucht wird. All das machen die Maschinen, die Menschen
+stellen nur an, nehmen heraus, schieben weiter. Und während
+tausend solcher dünnen und immer dünneren Drähte entstehn,
+wachsen in andern Sälen tausend Lampenkörper. An runden
+Maschinentischen, die vor ihren Händen sich drehn, sitzen
+die Geduldigen, reichen den Griffen zu und nehmen ihnen ab,
+und gehorsam quetscht die Maschine den Lampenfuß, setzt
+Halter ein, bespannt das Gestell, schmelzt, pumpt aus,
+sockelt, lötet, ätzt, stempelt und verpackt. Aber das ist
+wieder nur ein Teil der Arbeit. Da wird noch geprüft,
+gemessen und sortiert, da wird mattiert und gefärbt.
+
+All das geschieht unablässig in Siemensstadt,
+Charlottenburg, Moabit, Gesundbrunnen, hinter der Warschauer
+Brücke und an der Oberspree.
+
+Und so großartig es ist, im Saal, von der Treppe, von der
+Galerie auf die kreisenden und surrenden Maschinen zu sehn,
+so ergreifend ist der Anblick der Nacken und Hände derer,
+die da werkeln, und die Begegnung des Auges mit ihren
+aufschauenden Augen.
+
+Aus dem, was diese Menschen schaffen, kommt Licht in dein
+kleines Zimmer und wandert Häuserfronten entlang, bestrahlt,
+preist an, wirbt und baut um. Leuchtende Kannelüren an der
+Decke eines Riesenraums bilden ein festliches Zeltdach von
+Licht. Konturenbeleuchtung gliedert die Fassade eines
+Hauses, Flutlicht durchblutet Schaufenster, blaue
+Taglichtlampen strahlen im Seidensaal, und der Stoff, den
+der Verkäufer vorlegt, hat die Farbe, die ihm sonst die
+Sonne gibt. Draußen gehn Wanderschriften über Transparente,
+Buchstaben formen sich zu Worten und verschwinden, Bilder
+tauchen auf und wechseln, farbige Räder rollen stumm.
+
+Ganze Häuser entstehen bereits in Hinblick auf die
+Gliederung des Baukörpers durch das Licht. Man ahnt das
+Kaufhaus der Zukunft, dessen Wand und Decke Glas sein wird
+und das Ganze Eine Helle, tags die überall hindringende
+Sonne, nachts das von Menschen und Maschinen geschaffene
+Licht.
+
+:centerblock:`\* \* \*`
+
+Daran arbeiten die in den großen Hallen des Eisens und der
+Elektrizität; um den Fleiß von Berlin zu begreifen, mußt du
+aber auch durch die kleinen Fabriken gehn. Mußt eintreten in
+einen der Gebäudekomplexe und Höfe des Südostens. Besuche,
+wie ich es tat, im Viertel der Leder- und
+Galanteriewarenbranche, die Rahmenfabrik. Auf den Böden
+lagert das Holz, wie es aus der Sägerei kommt, und trocknet
+bei leichtem Durchzug. Wird es dann zugeschnitten, behält
+jede Scheibe noch am Rand ein Stückchen Wald. So kommt sie
+in eine Kerbmaschine mit feinen Zähnen, die Ecken einbeißen
+zum Verzahnen der Rahmenteile, und durch die Exhaustoren
+fliegen die Späne. Mit der Kreissäge werden die langen
+Leisten verkleinert. Wenn in den großen Maschinenhallen die
+Männer klein neben Kolossen erscheinen und wie Seeleute oder
+Bergleute vorsichtig am Rand der elementaren Gewalten
+bleiben, so beherrschen sie hier ihr Maschinentier mit
+Bändigerblicken. Ich muß immer wieder den Buckligen ansehn
+dort an der Kreissäge, dessen Backenmuskeln zornig und
+herrisch zucken, so oft auf seinen Druck das Messer ins Holz
+greift.
+
+Bei den siedenden Leimtöpfen und bei Glas und Pappe, die den
+Rahmen eingefügt werden, hausen viel Mädchen und Frauen. Die
+Leimerinnen sind ein derberer Schlag als die Kleberinnen und
+Poliererinnen. Und an diesen könnte man Studien machen über
+die Beziehungen zwischen dem einen Handgriff, der zu
+vollführen ist, und der Hand, die ihn vollführt. Wie feine
+Finger hat die, welche immer nur winzige Nägelchen in die
+Pappschicht hinterm Rahmen einsetzt. Wie geduldig sind die
+langen Hände jener, die Bilderränder so beschneidet, daß sie
+gut hinter das Glas passen. Wie kindlich rund sind die
+Händchen der Blaßblonden, die eine Blechform in die kreidige
+Masse drückt und das Geformte angefeuchtet aufs Holzbrett
+abstreift, wie es Kinder mit ihren Sandformen auf dem
+Spielplatz tun. Ihre Arbeit ist ein sympathisches
+Sonderwerk, denn die Rokoko-Ornamente, die sie dem Rahmen
+gibt, werden nicht soviel gebraucht wie die gradlinigeren,
+sie sind teurer herzustellen und nicht so zeitgemäß. Das
+gibt ihnen und ihrer ahnungslosen Schöpferin eine besondre
+Schönheit. In abgetrennten Räumen arbeiten die Vergolder.
+Sie haben Gasmasken vor dem Gesicht gegen den Bronzestaub,
+der den Lungen gefährlich ist. Leider will das Publikum und
+wollen dementsprechend die vielen kleinen Geschäfte, die
+Öldrucke verkaufen, nur Goldrahmen. Seit den Tagen der
+Inflation braucht der Deutsche wieder Glanz in seiner Hütte.
+Selbst die Rahmen für Photographien müssen vergoldet werden.
+Das gute alte Mahagoni ist nicht mehr erwünscht. Über die
+Photographienrahmen bekomme ich noch etwas zeitgeschichtlich
+Interessantes erzählt. Früher waren Sammelrahmen beliebt, in
+die mehrere Bilder gingen, eine ganze Sippe etwa, jetzt wird
+jedes Bild lieber einzeln aufgestellt. So sind wir von den
+Rahmen zu dem Umrahmten gekommen: der liebenswürdige Leiter
+der Fabrik führt mich in den Ausstellungsraum der
+beliebtesten Öldrucke. Der ist sehr lehrreich. Denn unter
+den nicht gerade lebensnotwendigen Gegenständen, die man je
+nachdem als Luxusartikel oder geistiges Volksnahrungsmittel
+bezeichnen kann, spielt der Öldruck eine große Rolle. Er
+möbliert unendliche Mengen von Zimmern und Seelen.
+
+Der *‚bestseller‘* der Branche ist seit Jahren immer noch
+die heilige Büßerin Magdalena, die in ihrem blauen Gewande
+weich aufgestützt lagert und buhlerisch kontemplativ auf den
+Totenschädel schaut. Nicht nur bei den Frommen scheint sie
+begehrt zu sein wie andre Reproduktionen aus dem Bereich der
+Bibel und Legende, auch die Kinder der Welt wollen sie
+haben. Lagernde leichtbekleidete Damen haben überhaupt viel
+Chance. Und als Rahmen ihres von Amoretten umspielten, ins
+Wolkenweiche verschwimmenden ‚Pfühls‘ ist ein nicht hohes,
+aber ziemlich breites Format beliebt, das sich gut überm
+Bett ausnimmt. Haben junge Paare, die solche
+Glückseligkeits-Öldrucke kaufen, es ernstlich auf
+Nachkommenschaft abgesehn, so richtet die Schöne im Bilde
+sich ein wenig auf und betreut ein oder mehrere Kinder. Es
+wird auch gern gesehn, daß etliche Haustiere das
+Familienglück noch vollständiger machen. An einer der
+beliebtesten dieser lagernden, beziehungsweise sitzenden
+Damen wurde kürzlich, wie mir mein erfahrener Führer
+erzählt, auf Wunsch des Publikums eine zeitgemäße Änderung
+vorgenommen, ihr reiches Lockenhaar mußte zugunsten des
+Bubikopfs entfernt werden. Auf andern Gebieten bleiben die
+Käufer unmodern: das allbekannte Bild ‚Beethoven‘, eine
+Versammlung auf dämmernden Diwanen hockender oder
+hingegossener Männer und Frauen, die einem Klavier lauschen,
+hat noch keiner Jazzbanddarstellung Platz gemacht. Von
+berühmten Männern hat der Reichspräsident nicht mehr soviel
+Zuspruch, seit er in Zivil ist; und mit seinen
+Waffenrockbildnissen hat sich die deutsche Familie meist
+schon während des Krieges eingedeckt.
+
+Die Jahreszeiten mit ihren beliebten Arbeiten und
+Vergnügungen: Säemänner, Garbenbinderinnen, Jäger usw. in
+der dazugehörigen Landschaft ‚gehen‘ immer, und zwar jede
+speziell zu ihrer Zeit. Das wunderte mich etwas, ich hatte
+gedacht: im Winter hätte man Frühlingssehnsucht, im Herbst
+Sommerheimweh.
+
+Ich fange an, mich für Statistik zu interessieren. Ich
+möchte genauer feststellen: Wieviel Magdalenen braucht
+Magdeburg? Wieviel Damen auf Pfühl verlangt Breslau? Wo
+läuft der Alte Fritz Böcklins ‚Schweigen im Walde‘ den Rang
+ab? Wie hat sich in München von 1918 bis 1928 der
+Öldruckgeschmack geändert? In welchen Provinzen und Städten
+überwiegt das Bedürfnis nach Dame mit Kind, Kindern oder
+Tieren dasjenige nach Dame mit nur Amoretten? Ich fange an,
+mich für Statistik zu interessieren.
+
+:centerblock:`\* \* \*`
+
+Wie der Markt von Bagdad seine Basare, so hat Berlin seine
+Stadtviertel für die verschiedenen Betriebe. Der
+Spittelmarkt, sagt man mir, trenne das Quartier der
+Konfektion von dem der Mäntel. Ich besuche auf der
+Konfektionsseite eine Hutfabrik, werde zu den Zeichnern
+geführt, die nach Pariser Modellen aus Pappe Formen
+schneiden, zu den Mädchen, die diese Formen in Stoff und
+Leder nachschneiden, in den surrenden Saal der Näherinnen
+und schließlich in einen Raum, wo Eisenformen elektrisch
+erhitzt werden. Auf ihnen erhält der fertiggenähte und
+zurechtgebogene Hut seine endgültige Gestalt. Aus einem
+Schlauch wird er mit Dämpfen behandelt und dann in eine Art
+Backofen getan, wo er im stillen weiterschmort. Für den
+Kulturhistoriker ist es nicht unwichtig zu erfahren, daß es
+zwar fast gar keine Garnituren mehr gibt, daß aber die
+Appretur bisweilen Schleifenformen und Bandeaux nachahmt.
+Vielleicht auch, daß, seit die Mode der knappen Baskenmützen
+aufgekommen ist, viel Kappen gemacht werden, die aber nicht
+baskisch streng bleiben, sondern etwas breiter und
+pagenhafter ausfallen. In dieser Fabrik, die den morgens
+bestellten Hut bereits abends liefert, entsteht fast alles
+ganz im Hause vom Zeichentisch bis zur Verpackung. Nur ein
+kleiner Teil der Hüte wird aus den sogenannten
+Betriebswerkstätten bezogen, welche Heimarbeiterinnen
+beschäftigen. Man belehrt mich über die große Rolle, die
+sonst in der Berliner Konfektion diese Art Arbeitsteilung
+spielt, bei der der ‚Zwischenmeister‘ von den großen Firmen
+nach Musterung der Kollektionen die Stoffe übernimmt und
+teils in seinen eigenen Räumen bearbeiten läßt, teils an
+Heimarbeiterinnen weitergibt. Solche Zwischenmeister
+arbeiten zum Beispiel für die große Schürzenfabrik, die ich
+in einem der Riesenhöfe der Köpenickerstraße besuche. Die
+hat im Vogtland ihr eigenes Haus, wo der Stoff hergestellt
+wird. Hier kommt er dann in Maschinen, die viele Lagen auf
+einmal zerschneiden, in fleißige Hände, die jede von ihrer
+kleinen Maschine mit einem Griff Hohlsaum oder drei Falten
+oder Saumspitzen machen und Knöpfe annähen lassen, welche
+fester sitzen als die von Menschenhand. In diesem Betriebe
+darf ich auch in die Büroräume eintreten und die neuen
+Verbesserungen des kaufmännischen Ressorts kennen lernen. Da
+sehe ich Rechenmaschinen, die multiplizieren, Markenkleb-
+und Aufdruckmaschinen, neuartige Kartotheken und an der Wand
+Karten mit den Wanderplänen der Reisenden, auf die unten in
+der Garage die Musterkoffer zu zwanzig und zwanzig in großen
+Autos warten.
+
+Ein ganzes Studium wäre die Basareinteilung von Berlin. Es
+gibt da, abgesehen von den großen Quartiers der Tischlerei
+und Metallbearbeitung, der Hausindustrie, der Wollwaren, der
+Konfektion noch besondere Spezialitäten, zum Beispiel eine
+Straße, in der seit vielen Jahrzehnten Beleuchtungskörper
+hergestellt werden, die Ritterstraße. Am Moritzplatz ist das
+internationale Exportlager gewisser Artikel, die aus dem
+Erzgebirge, Thüringen und Nordböhmen kommen, wie
+Schaukelpferde, Teepuppen, Frisierkämme, Jesusfiguren,
+Zinnsoldaten und Gummikavaliere. Die ganze Seydelstraße
+entlang stehen gespensterhaft in den Schaufenstern die
+Puppen der Büsten- und Wachskopffabriken, die Attrappen und
+‚Stilfiguren‘ der ‚Schaufensterkunst‘, die in Tausenden von
+Exemplaren durch ganz Deutschland und weiter wandern, um
+Hemden, Kleider, Mäntel und Hüte zu tragen. Interessant, was
+für Gesichter die wachsköpfigen Mannequins schneiden! Mit
+spitzen Mündern fordern sie dich heraus, schmale Augen
+ziehen sie, aus denen der Blick wie Gift tropft. Ihre Wangen
+sind nicht Milch und Blut, sondern fahles Gelbgrau mit
+grüngoldenen Schatten. Kein Wasserstoffsuperoxyd kann ein so
+böses Blond hervorrufen, wie die Tönungen ihres Haars es
+haben. Oft sind die Gesichter nur skizzenhaft modelliert und
+die angedeuteten Mienen sind dann von besondrer
+Verderbtheit. Sowohl in der Steife wie in der sportlichen
+Elastizität ihrer Bewegungen ist eine kühle Mischung von
+Frechheit und Distinktion, der du Armer nicht wirst
+widerstehen können. Aufregend sind die Grade ihrer
+Entblößung. Ganz goldnackte strotzen und silberne blinken,
+die nichts anhaben als bräunliche Schuhe; freibusige
+behalten, sich dir zu entziehen, eine Art Leibschurz und
+Strümpfe an. Bemerkenswert sind auch die Männerköpfe,
+auffallend die vielen Männer der Tat mit dezidiertem
+Ausdruck und winzigen Klebeschnurrbärtchen. Soweit sie
+Leiber haben und nicht nur ein Gliederpuppengestell, müssen
+sie sie in schwarzen Trikots verbergen, es sei denn, daß sie
+sich ganz bekleidet im Frack und Smoking zwischen den
+nackten Damen bewegen und dabei noch über Kinder
+hinwegschauen, die in blauen Kleidchen und roten
+Flatterkrawatten uns etwas vortummeln.
+
+Aber es gibt im Büstenhof auch Beine einzeln. Und
+rätselhafte Gestelle, unten eine Goldkugel, darauf eine Art
+Frauentorso, der in einen stilisierten Arm und einen
+abgeschnittenen Armstumpf endet. Das wird alles seine
+praktische Bewandtnis haben, aber ich starre unwissend in
+diese Fülle von Wesen und Wesensteilen, Gestellen und
+Gesichtern, von denen einige sogar Brillen tragen.