diff options
author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
---|---|---|
committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
commit | cee778506fc3a4900d1da4197ce0a905efb19731 (patch) | |
tree | 2b9b2cd5510bcc5b9f836e925bda4bb1a06417e0 /14-hasenheide.rst | |
download | franz-hessel-spazieren-in-berlin-master.tar.gz franz-hessel-spazieren-in-berlin-master.tar.bz2 franz-hessel-spazieren-in-berlin-master.zip |
Diffstat (limited to '14-hasenheide.rst')
-rw-r--r-- | 14-hasenheide.rst | 124 |
1 files changed, 124 insertions, 0 deletions
diff --git a/14-hasenheide.rst b/14-hasenheide.rst new file mode 100644 index 0000000..64252e8 --- /dev/null +++ b/14-hasenheide.rst @@ -0,0 +1,124 @@ +.. include:: global.rst + +HASENHEIDE +========== + +:centerblock:`\*` + + +:initial:`H`\ asen gibts hier nicht und auch keine Heide +mehr, aber wer sich bei Namen von Stadtteilen etwas der +ursprünglichen Bedeutung Entsprechendes vorstellen möchte, +den wird es interessieren, zu erfahren, daß im Jahre 1586 +laut Chronik der Cöllner Stadtschreiber eine kurfürstliche +Verordnung verfügte: ‚Den 18. May ist uff Churfürstl. Gnaden +ernsten Befehlich den Burgern in beyden Stedten ufferleget, +Löcher in den Zeunen an den Gerten zu machen, damit die +Hasen hineinlauffen konnen.‘ Noch Friedrich Wilhelm I. +erwiderte auf ein Gesuch um Hütungsgerechtigkeit in der +Heide: ‚Soll Haasen-Garten bleiben.‘ Unter Friedrich dem +Großen entstanden dann die ersten ländlichen Wirtschaften +und nach den Freiheitskriegen Kaffeegärten, und zwischen +ihnen ein riesiger Rummelplatz, der mit seinen Würfelbuden, +Kraftmessern, starken Jungfrauen, Seiltänzern und +Wundertieren sich von der Gegend der Bärwaldstraße bis zu +dem Turnplatz erstreckte. Vor den Vergnügungslokalen ging +mit seinem hölzernen Kasten am Tragriemen der +Zigarrenverkäufer auf und ab — denn hier durfte der sonst +vielfach verbotene Tabak geraucht werden, bot Fidibus und +Lunte und rief: ‚Cigaro mit avec du feu.‘ + +Aus alten Heftchen und Bildern der fünfziger Jahre kennt man +die Omnibusfahrten nach der Hasenheide, Madam Brösecke mit +Mann und vielen Kindern auf der Fahrt vom Dönhoffplatz +hieher. »Bei Streitz ist Konzert und bei Happolt Ball. Bei +Höfchen werden die Putzmacherinnen poussiert und dann geht’s +zum Turnplatz!« Happolt ist offenbar das Feinste gewesen: +Marmorsäle, Glassalon, Trumeaux vom Mosaikfußboden bis zur +gemalten Decke, ‚Kronenleuchter wie in dem Palast eines +Fürsten‘ usw. Und dann war da noch Lücke, wo die +Aristokraten sich trafen, Hofräte, Geheime Ober Titularräte +und Calculatoren. Madam Brösecke bleibt lieber mit ihren +Gevatterinnen bei Höfchen, wo »eine Legion Kaffeekannen mit +duftigem Cichorien-Mokka und Hunderte von kleinen, +Finkennäpfen ähnlichen Tassen, dazwischen Weißbier und +Schnappsgläser auf allen Tischen« stehen, während es ihre +Tochter Pinchen hier zu ‚gemischt‘ findet. + +Die Bier- und Kaffeegärten sind geblieben bis auf den +heutigen Tag und immer größer geworden. Sie sind fast zu +groß, sie haben das Monströse der Zeit der Riesenportionen +und Doppelkonzerte behalten und überbieten einander in ihren +Ankündigungen. ‚Täglich großes Terrassenstimmungskonzert bei +freiem Eintritt‘, donnert es uns von einem Eingang an, und +nicht weit davon behauptet ein Lokal, ‚trotz aller +Neueröffnungen das führende Café‘ zu sein und zu bleiben. Es +verheißt ‚täglichen Tanz auf erleuchteter Glastanzfläche‘ +und dazu Musik einer ‚Rheingoldkapelle‘. Aber der alte +Rummelplatz ist nicht mehr da. Die ‚Neue Welt‘ ist heute +eins der großen Gartenlokale mit Sälen für Versammlungen und +Festlichkeiten. Ältere Leute werden sich noch der Zeit +erinnern, da man bei dem Wort ‚Neue Welt‘ an Panoramen, +sogenannte naturwissenschaftliche Museen, ‚Wilde‘, +Dompteusen in Stulpstiefeln und Kraftmenschen +dachte. Ich habe hier als kleines Kind den lächelnden Mund +und die rosa Wangen des Mädchens gesehn, dem der Kopf +abgeschlagen und wieder aufgesetzt wird, vielleicht auch +jene erste Dame ohne Unterleib, zu deren schönen +Armbewegungen ihr Unternehmer die Verse von der Lotosblume, +die sich ängstigt, aufsagte; sicher aber kam mir hier zum +ersten Male der Name Dante zu Ohren in einer Bude, wo einige +seiner Höllenstrafen panoramisch-plastisch dargestellt +waren. Es war sehr schaurig. So etwas wird uns heute nicht +mehr geboten. + +Ein andres Stück Hasenheide ist geblieben: Turnvater Jahn +schaut noch immer, wenn auch nur als Büste, vom Postament +seines Denkmals auf sporttreibende Jugend nieder, nah bei +der Stätte, auf der er die erste Turnerschaft versammelte. +Er sieht wohlgefällig auf die bräunlichen Buben und Mädchen +in Schwimmkostümen nieder, die hier wie an so vielen Plätzen +rings um Berlin ihre Bälle stoßen und schleudern. Und wenn +wir über die Sandhügel des etwas verwilderten, von zwergigen +Föhren bestandenen Gartens hinter dem Denkmal gehn, eine der +vielen Stätten, wo die Berliner Sonne und Luft finden, mögen +wir auch mit friedlichem Wohlwollen an die kriegerischen +Jünglinge und Tyrannenmörder von damals denken, denen +Freiheit, Vaterland und stärkende Pflege des eigenen Körpers +eine Gesamtheit befreundeter Gedanken war. Bis dann diese +Befreier und heldischen Jünglinge und vor allem ihr Führer +und Vorbild die Tyrannei von seiten des geliebten +Vaterlandes selbst erfahren mußten. Hier also hat Jahn im +Jahre 1818 den ersten Turnplatz eröffnet, nachdem er schon +vor den Freiheitskriegen mit einigen Schülern auf den Wiesen +zwischen dem Halleschen und dem Kottbuser Tor die neue Kunst +des Turnens geübt hatte. Wenn damals noch der wagerechte Ast +einer Eiche das Reck bildete, Sandgruben zum Tiefsprung und +die steilen Wände der Rollberge zum Sturmlauf benutzt +wurden, so hatten sie hier in der Heide richtige Geräte, +Barren, Ein-, Zwei- und Vierbäume. Aber schon im nächsten +Jahr verhängten die Demagogenverfolger eine Turnsperre, +verhafteten Jahn und ließen alle Geräte vom Turnplatz +fortschaffen. Auch nach seiner Freilassung blieb Jahn noch +lange unter Polizeiaufsicht. Und erst nach 48 wurde sein +Werk richtig anerkannt und wurden die vielen Turngemeinden +gegründet, die in ihm ihren Turnvater sehen. Die haben dann +aus allen Teilen der Welt die Steine gesandt, aus denen das +Postament seines Denkmals gebaut ist. + +In dem alten Garten nahe dem Restaurant, wo Familien Kaffee +kochen können, sind trümmerhaft, kulissenhaft ein paar nicht +mehr gebrauchte Schießstandteile stehengeblieben. Auf ihren +Zielscheiben bemerkt man verblassende Figuren der +Feindesgestalten rund ums Zentrum. Wobei einem zumut wird, +als lebte man schon in Zeiten, die nur noch aus +Überlieferungen und Museumsstücken begreifen, daß Menschen +einmal so töricht waren, aus Röhren mit Pulver aufeinander +zu feuern. Recht altertümlich wirkt auch der Reklamekasten +eines Photographen, der nahe dem Straßeneingang aufgestellt +ist. Darin sind die preisgekrönten Modelle vom +Meisterschaftsfrisieren eines Friseurgehilfenvereines in +Neukölln zu sehen. Wir erblicken komplizierte Ondulationen +reichbehaarter Mädchen und Frauen, wie sie in Natur wohl +nicht einmal in den entlegensten Teilen von Neukölln mehr +vorkommen. |