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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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Im Mittelraum und in den Logen wird +er Gesellschaft sehn, ‚Köpfe,‘ Prominente, schöne Schultern +in Zobel und Fuchs, Will er aber unter den wahren Kennern +sitzen, unter denen, deren Anteil am unmittelbarsten und +berlinischsten ist, muß er sich unter die Sweater und +Windjacken auf der Galerie mischen. Da wird keine wichtige +Wertung oder Überrundung unbeachtet gelassen, da wird +strengste Kritik geübt und am heftigsten geklatscht. Ist +gerade ‚nichts los‘, wird Karten gespielt. Dann wieder +hallen und zischen die Vornamen der anzufeuernden Lieblinge, +welche man hier oben kennt, ohne sich an Zahl und +Trikotfarbe des sausenden Rückens orientieren zu müssen, +durch den Dunst. Hier findest du auch einen gutmütigen +Nachbarn, der dich über die Phasen des Kampfes, Jagden, +Ablösungen, Strafrunden, Spurt belehrt und dir die Bedeutung +der Lampensignale: grün = Wertung, blau = Prämie, rot = +Neutralisation, erklärt. Gern sagt der Berliner dir +Bescheid, so wunderlich ihm auch einer vorkommt, der von +diesen wichtigsten Dingen nichts weiß, die er selbst schon +als kleiner Junge gelernt hat. + +Wenn dann aber eine bemerkenswerte Nuance oder neue wichtige +Etappe der geregelten Raserei da unten deutlich wird, wendet +er sich von dir weg, ist ganz Auge und Ohr, beschimpft und +bejubelt den oder die, auf die er mit seinen Kumpanen oder +im eignen Herzen mit dem Schicksal gewettet hat. Er vergißt +dich, die Freunde, Beruf und Liebe, Lust und Verdruß. Von +den beiden großen Bedürfnissen des römischen Volkes, panis +et circenses, beherrschen ihn nur noch die circenses. +Londoner und Pariser in Sweater und Halstuch sind gewiß auch +große Sportkenner und -enthusiasten, aber sie haben ältere +Erfahrungen teils im Sport, teils in Weltstadtfreude +überhaupt. Hier aber sitzest du neben dem jüngsten +Großstädter. Der ist noch unblasiert, wenn er sich auch +gelassen stellt mit seinem ‚Selbstredend‘ und ‚Kommt nich in +Frage‘ (der neuen Form für das ältere ‚Ausjeschlossen‘). Er +fiebert im Massenrausch. Er fährt wie aus tiefem Traum, wenn +der Gongschlag den Beginn einer neuen Stunde verkündet. +Einen Augenblick verläßt sein Blick die Spur seines Fahrers +und streift den Apparat, der die geleisteten Kilometer +anzeigt. Im Paroxysmus kannst du ihn sehn bei plötzlichen +Jagden oder in der letzten Nacht, wenn sein Feuer noch +geschürt wird durch die Zählapparate am Ziel, welche die +noch zu fahrenden Minuten angeben. + +Doch auch in seinen gelinderen Momenten ist er unterhaltend. +Da spielt zum Beispiel die Kapelle statt seiner +Lieblingsmelodien irgend ein mondänes Stück, das ihn +langweilt. Gleich geht’s los: »Wo bleibt denn der +Sportpalastwalzer? Ihr Fettjemachten, ihr Volljefressnen! +Andre Kapelle! Halt’t Schnauze mit eurem ‚Ich küsse Ihren . +. . Madame‘.« Und als dann die Kapelle den gewünschten +Walzer spielt, pfeifen die da oben mit durch die Finger und +machen noch besondre Fiorituren um die Melodie herum. +Dazwischen stößt die heisere Stimme des Kellners: ‚Wer +wünscht noch Bier, Brause?‘ Ein witziger Zeitungsausrufer +reimt: ‚Die Mottenpost, die bloß’n Jroschen kost’t.‘ Späte +Nachzügler werden begrüßt: »Jetz kommt det Kind von der Post +. . . Na, du oller Hundertfünfunsiebziger, wo hast de denn +so lange jesteckt? Mensch, hast wohl zu lange jefastet, +siehst ja aus wie ’ne Spiritusleiche.« + +Ein Schreck zuckt durch die Fladen des Rauchs, die Büschel +der Scheinwerfer: es ist ein Fahrer gestürzt. Ist der Sturz +schwer? Man weiß noch nicht. Die andern kreisen weiter. Man +schleppt den blutenden in seine Koje am Innenbord der Bahn. +Vielleicht kann schon der Masseur ihm helfen, und er braucht +nicht zur Arztstation. Die seidnen Damen am nächsten +Sekttisch beugen sich einen Augenblick über die Brüstung zu +ihm. Dann wird er vergessen. + +So ist der Sportpalast in einer der oft und fachmännischer +erzählten großen Nächte. Eine eigene Schönheit hat er +während des Sechstagerennens auch in manchen stilleren +Nachmittagstunden, wenn milchig blaues Tageslicht in die +Bretterbahn fällt, auf der die Räder leise surren, und gelbe +und blaue Reklameplakate bestrahlt. Das gibt dem hölzernen +Raum eine Wärme und Dichtigkeit, wie sie sonst unser Berlin +nur selten hat. + +Sport ist international und kennt keine politischen +Parteien. Aber sein Palast hier steht auch der politischen +Leidenschaft offen. Große Kundgebung der Nationalsozialisten +wird angekündigt. Die Hallen füllen sich. Vor den Toren +patrouilliert die Polizei, denn man rechnet mit +Gegendemonstrationen der ‚Roten‘ draußen. Und vom +Aneinandervorbei bis zum Prügeln ist der Weg nicht weiter +als bei den Montecchi und Capuletti der vom ‚Eselbohren‘ bis +zum Blankziehen. Mit einmal heißt es, die Kommunisten +versuchen den Palast zu stürmen. Die Polizei bekommt +Verstärkung. Gummiknüppel werden geschwungen. Wer angefangen +hat, ist schwer festzustellen. Wenn sie nicht ihre Abzeichen +trügen, Orden der Reaktion oder Revolution, sie wären kaum +zu unterscheiden, die kecken Berliner Jungen aus beiden +Lagern. Mitunter lauern auch draußen die vom Stahlhelm, +während drinnen die Roten tagen. Dann ist der Saal mit +breiten roten Spruchbändern behangen. Ordner müssen die +Treppengänge immer wieder frei machen. Stühle werden +hergeschleppt und nachgerückt im überfüllten Saal. Von den +Schwalbennestern oben bis an die Türen unten ist alles voll. +Gefügig drückt sich die Menge beiseite, wenn mit Musik die +Rotfront einzieht. Kriegerisch ist die Musik, welche die +Genossen begeistert, wie einst die, bei der sie Kameraden +waren. Ganz junge Burschen ziehn beckenschlagend voran, +Pfeifer folgen ihnen im Gleichschritt. Die geballte Faust +der Männer, die offne Hand der Knaben grüßt die Fahnen. + +All das nimmt der Sportpalast mit einer Art riesenhafter +Gutmütigkeit in seine runden Weiten. Mit unparteiischem Echo +dröhnen seine Wände ‚Hakenkreuz am Stahlhelm‘ und ‚Auf zum +letzten Gefechte‘ wieder wie die Zurufe der Sportfreunde. Es +ist ja alles Überschwang derselben ungebrochnen Lebenslust. + +Zweite Station: Der Heinrich von Kleist-Park. + +Der hat einen besonderen Schmuck bekommen durch Gontards +Königskolonnaden, die ehedem in der Gegend des heutigen +Bahnhofs Alexanderplatz standen. Hier sind sie noch nicht +ganz zu Hause, nicht so ins Stadtgefüge eingetan wie die +Kolonnaden desselben Meisters am Ende der Leipziger Straße, +deren Rundung in eine platzartige Erweiterung mitten in +lauteste Geschäftsgegend ruhevolle Vergangenheit bannt. (Es +ist, als könne man durch die Tore und Türen, welche sich +hinter den Säulen öffnen, geradewegs in die Zimmer +vergangener Zeiten dringen.) Die nach dem Kleistpark +versetzten Kolonnaden müßten in diesem Parkrahmen Ruine sein +oder wenigstens stärker verwittern. Man sollte wenigstens +für Vogelnester sorgen . . . Immerhin erfreuen wir uns an +den gemeißelten Gewinden um die Schneckenkapitelle der +Säulen und an den Reliefs darunter, die wie Buchvignetten +wirken. Unter den Statuen ist ein rundliches Nymphenmädchen, +das bei all seiner Rokoko-Antike im Ausdruck etwas von einer +Berliner ‚Nutte‘ hat. Das muß also wohl älter sein als der +Begriff. Parkeinwärts zielt eine Bogenschützin so stilvoll +wie möglich über den Mummelteich auf die kleine Restflora +vom ehemaligen Botanischen Garten, der hier war, bevor er +hinter Steglitz verlegt wurde. Was zwischen Steinchen +gepflegt blüht, dem dürfen die Kinder sich nicht nähern, sie +müssen auf den Sandplätzen bleiben oder ihre Roller auf die +breiteren Wege lenken. Am glücklichsten unter den Kleinen +sind vielleicht die, denen die herrlichen Sandschutthaufen +drüben am Plankenzaun bei den freigelegten +Wasserleitungsröhren als Rutschbahn dienen. Von den +Erwachsnen interessiert uns am meisten die Gruppe +Kartenspieler auf der Bank unterm Busch. Ich glaube, es sind +Arbeitslose, wie wir sie im Friedrichshain gesehen haben. +Sie vergessen für ein paar Stunden ihren Jammer. Angespannt +sehen sie auf die Karten in der Hand dessen, der mischt, wie +Rembrandts Mediziner auf den Leichnam unterm Messer des +lehrenden Arztes in der Anatomie. Ein Gelähmter hat seinen +Wagen an die Partie auf der Bank hingerollt und kiebitzt +hingebungsvoll. + +Und nun hinein ins eigentliche Schöneberg. Da ist eine +Hauptstraße, wo es alles gibt: zwiebelig getürmte Häuser mit +Aufgängen nur für Herrschaften. Läden mit Duettbrennern und +Proviantdosen mit verstellbarem Abteil und ähnlich praktisch +heißendem Bedarf. Wir wollen nicht verweilen. Diese Gegend +macht ungewöhnlich traurig. Dann lieber über den Kaiser +Wilhelmsplatz — wie soll er auch sonst heißen? — ins +sozusagen offiziell traurige Viertel von Schöneberg gehn, +die ‚Insel‘, wie die Einwohner es nennen: Straßen, die den +Schienensträngen der Ringbahn benachbart sind. Dort kann man +morgens und abends zwischen den beiden Bahnhöfen Schöneberg +und Großgörschenstraße, die nicht miteinander verbunden +sind, eiliges armes Volk durch den ‚polnischen Korridor‘ +laufen sehen. Hinter den traurigen Fassaden ahnt man die +sonnenlosen Hinterhöfe, die ‚Rasenanlage‘, in der die Kinder +nicht graben dürfen, Müllkästen und das ungewollte Duett +eines Radiolautsprechers im Fenster und einer Drehorgel +unten, keifende Nachbarinnen und die dünne Stimme des +Bettelsängers. Das rotverhangene Gestell dort an der Ecke +der absteigenden Nebenstraße, welches ein Werbebüro der KPD +birgt, kann hier auf guten Zuspruch rechnen . . . Von +Tempelhof kommt einen bergigen Weg den Bahnübergang her die +Tram zwischen Güterbahnhof und Müllabfuhrschuppen gefahren. +Sie bringt uns schnell ans andere Ende von Schöneberg, an +die tiefe Mulde des Stadtparks. In dem könnte man im Notfall +das Lied vom verliebten ‚Schöneberg im Monat Mai‘ +lokalisieren, was in den übrigen Teilen dieses Orts mit dem +verheißungsvollen Namen kaum möglich ist. + +Nördlich vom Stadtpark liegt das rühmlich bekannte +‚Bayrische Viertel‘. Wieviel davon man zu Berlin, zu +Schöneberg oder zu Wilmersdorf rechnen soll, weiß ich nicht. +Es ist nicht so rechtwinkelig und geradlinig angelegt wie +Berlin W. Und statt uns darüber zu freuen, fluchen wir +Undankbaren, daß wir uns in all diesem Heilbronn, +Regensburg, Landshut und Aschaffenburg immer wieder +verirren. Uns kann man’s nie recht machen. Auch die allerlei +Brunnen- und Baumanlagen nehmen wir, ohne sie recht zu +beachten, hin. In einigen Winkeln stoßen wir auf Versuche, +altdeutsche Stadt nachzumachen, die rührend scheitern. Man +muß nicht allzu streng mit dem Bayrischen Viertel sein. Als +es gebaut wurde, gab es noch nicht unser gleich- und +alleinseligmachendes Laufband. + +Durch Wilmersdorf und Friedenau führt die lange Kaiserallee, +umgeben von Wohnvierteln, die sich aus alten Dörfern und +Villenkolonien gebildet haben. Von Friedenau wird behauptet, +daß es, wie auch gewisse Teile von Steglitz und +Lichterfelde, Zufluchtstätte vieler ehemaliger königlicher +Beamter und rentenlos gewordener Rentner alten Schlages sei. +Gestalten mit chronisch entrüstetem Gesichtsausdruck über +Bärten, die etwas Pensioniertes, etwas von Restbestand +haben, sollen Geheimräte und Kanzleisekretäre sein; es +begleiten sie Gattinnen, die oft richtige Federn auf dem Hut +haben, wie in entschwundenen Zeiten die Damen von Welt es +hatten. Diese würdigen Matronen wohnen in freundlichen etwas +unmodernen Gartenhäusern. Man sollte glauben, daß sie in +ihrem traulichen Heim lieblicher werden müßten, als sie es +sind. Nun, wir wollen für ihre Kinder hoffen . . . + +Wo die Kaiserallee in die Schloßstraße mündet, fängt +Steglitz an. Es beginnt hochmodern mit einem stolz ragenden +Filmpalast, an dessen Flanken in strahlenden Röhren das +Licht flutet, in dessen Innerm strenge Linien und kühne +Wölbungen Zuschauer- und Bühnenraum umschweifen. Aber +weiterhin ist das gute Steglitz eine der älteren +berlinischen Kleinstädte und viele Häuser der Seitenstraßen, +die zum Stadtpark führen, sind geblieben wie zur Zeit der +Jahrhundertwende, da man hier Schul- und Studienfreunde +besuchte, die Sonderlinge waren und zur bessern Erkenntnis +der Weltstadt die kontrastierende Stille des abgelegenen +Vororts brauchten. Das älteste hier ist wohl das +Schloßrestaurant mit dem Theater, ein Gebäude, das bald nach +1800 von Gilly als Landhaus errichtet worden ist. + +Mit der Wannseebahn erreichen wir als nächste Station den +Botanischen Garten, eine wunderbare Schöpfung von +Wissenschaft und Geschmack. Da kann man durch die Flora der +hohen Gebirge in winzigen Alpen und Kordilleren spazieren +gehn. Die ganzen Karpathen sind in einer halben Minute +durchstreift. Vom Mittelmeer ist es nicht weit zum Himalaya. +Hinterm Palmenhaus aber steigt als heimischer Hügel der +Dahlemer Fichtenberg an. Straßen und Plätze bei dem Garten +haben hübsche Namen, einen Begonienplatz gibt es, einen +Asternplatz und eine Malvenstraße. + +Schön gelegen wie die botanischen und +pflanzenphysiologischen Museen am Gartenrand sind auch die +wissenschaftlichen Institute im nahen Dahlem. Da hat die +strenge Wissenschaft lauter licht und munter gebaute +sommerliche Heime der Biologie, Entomologie, Völkerkunde, +Chemie. Die landwirtschaftliche Hochschule wohnt breit und +bequem in einer Art Gutshof. Sogar das Geheime Preußische +Staatsarchiv, das hier haust, hat ländlich frische Farbe und +ein lustig rotes Dach. Und selbst die Untergrundbahnhöfe in +und bei Dahlem besitzen sommerliche Anmut. Dieser Vorort ist +eine der Gegenden, wo die Berliner der kommenden Zeit +wohnen, ein Menschenschlag, bei dem die Abgehetztheit der +Väter, die ‚zu nichts kamen‘, weil sie zuviel zu tun hatten, +in eine freie heitere Beweglichkeit sich umzuwandeln +scheint. Nun, wir wollen mit Bestimmtheit nichts behaupten, +aber immerhin hoffen. + +Vielleicht haben wir Glück und es begegnet uns eine der +jungen Dahlemer Berlinerinnen. Sie läßt ihr Auto hier vor +dem hübschen Café an der Station parken und geht mit uns zu +Fuß waldeinwärts bis zur Krummen Lanke und dann +wasserentlang nach Onkel Toms Hütte oder zum alten +Jagdschloß Grunewald, das einst Kaspar Theyß für den +Kurfürsten Joachim erbaut hat. Dort machen wir eine Weile +vor dem kuriosen Steinrelief halt, das drei Personen um +einen Tisch stehend versammelt, in der Mitte den Fürsten als +Wirt oder Kellermeister mit aufgekrempelten Ärmeln und +stattlichem Embonpoint, neben ihm den höfisch gekleideten +Baumeister, dem sein Gebieter den Humpen kredenzt, während +die dritte Gestalt einen Krug mit weiterem Trank bereit +hält. Wir rätseln an den witzigen Versen, die in altem +Deutsch darunterstehn. Bald aber haben wir genug von alter +Zeit und sanftem Spazieren, und die gastliche Dahlemerin +fährt uns im Eiltempo zur neuen Siedlung an der +Riemeisterstraße, zu alten Lichterfelder Villenstraßen und +nach Zehlendorf, wo wieder mitten im Neuen und Neueren die +achteckige Dorfkirche mit dem spitzigen Dach für einen +Augenblick fesselt, die aus den Zeiten des Großen Friedrich +stammt. Dann geht es durch Schlachtensee und Nikolassee zum +Wannsee. Unsern Tee nehmen wir in einem etwas abgelegenen +Haus am See. Eine kleine Kapelle lockt zu ein wenig Tanz. +Unsre Begleiterin kann uns an lebenden Beispielen über den +Anteil des besten Berlin an den neuen Sommermoden belehren. +Aber auch mit den Segelbooten weiß sie Bescheid. Sie kennt +den Besitzer der hübschen Jacht, weiß, wem der eifrige Motor +gehört. Vielleicht haben wir noch Zeit, an den Stölpchensee +zu fahren und von der Terrasse auf die Paddelboote zu +schauen, auf die jungen zartkräftigen Knie der Mädchen, die +tief im Boot liegen, während der Gefährte oder die Gefährtin +lenkt. Im Vorbeifahren sehn wir bei Schildhorn Volk vom +Autobus hergebracht, das hier freibadet, Ball spielt und +Hunde tummelt. Rührend ist das Stückchen dünenzarter Sand am +Rande des Waldhangs, durch den Stolperwege zwischen +Kaninchenlöchern führen. + +Vielleicht ist unsre Begleiterin Mitglied des Golfklubs und +nimmt uns, wenn wir es verdienen, mit zu der schönsten +Sportstätte. Sie zu beschreiben zitiere ich Worte des +Dichters dieses lebendigsten, gegenwärtigsten Berlin, die +Worte Wilhelm Speyers in seiner ‚Charlott etwas verrückt‘: +»Unter den neuen Sportstätten im jungen Leben Berlins war +keine schöner geworden als der zwischen Wannsee und Potsdam +gelegene Golfplatz. Rasenflächen und Fichtenwälder mit +vereinzelten seitwärts gelegenen Bungalos fielen in sanfter +märkischer Schräge zu einem kleinen See oder zu neuen +Wäldern und neuen Rasenflächen hinab. Stand man oben auf der +Terrasse des Klubhauses, so wurden die über weite Räume +verteilten Spieler und ihre buntbekleideten Caddies in der +klaren, trockenen und reinen Luft der Mark vor dem Blickfeld +des Betrachtenden eng zusammengezogen, als seien sie mit +ihrem erhobenen oder gesenkten Spielgerät kostbar gebildete, +in schwierigen Verkürzungen dargestellte Figuren eines +japanischen Holzschnittes. Begleitet nur von den +bags-tragenden Knaben, doch abgesondert von den andern +Spielern, hatte der Spielende etwas in seiner Haltung von +dem frommen, auf sich gestellten Eifer eines Eremiten der +Thebais.« Von solchen Gestalten nennt uns unsre Protektorin +einige bei Namen, während wir auf der schönen Gartenterrasse +sitzen, und so lernen wir Berliner Gesellschaft kennen, +dieses schwer darzustellende Gebilde, zu dessen Formung +soviel verschiedene merkwürdige Ehrgeize beigetragen haben, +daß die zugleich freieste und konventionellste Sozietät +entstand. Man muß sich sehr zusammennehmen, um sich so gehen +zu lassen, wie es den großen Berlinern gefällt. Durch unsre +Athene (Athene ist Schutzgöttin der jungen Berlinerinnen +mehr als Diana oder Venus, glaub' ich), durch diese unsre +Athene werden wir auch den kennenlernen, der uns mitnimmt +zum Polo in die Gartenstadt Frohnau, zum Trabrennen nach +Mariendorf und auf die Rennbahn Grunewald usw. + +Nach alldem wird Athene uns, um ihre Güte vollzumachen, auch +noch heimfahren, und zwar über die Avus, die berühmte +Automobil-Verkehrs-und-Übungsstraße. Dort lernen wir, da wir +in diesem Artikel noch nicht so erfahren sind wie hier jeder +Junge von zehn Jahren, die verschiedenen berühmten +Automobilmarken im Vorbeifahren unterscheiden, und von +manchen wie jenem großen Hispano, diesem eleganten Buick, +dem schlanken ganz roten, dem kleinen ganz weißen Wagen, +nennt Athene den Besitzer oder die Dame am Steuer, während +die kleinen Bäume hinter dem Zaun und die Reklameschilder am +Straßenrand schräg in unsre rasche Fahrt sinken. Langsamer +gleiten wir dann durchs nördliche Tor, und hinterm Funkturm +geht es noch einmal mit achtzig oder mehr Kilometer die +breite Straße auf den Tiergarten zu. |