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DER KREUZBERG
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:initial:`D`\ er ist obligatorisch. Eine Sehenswürdigkeit.
Die höchste Erhebung über der Spree-Ebene. Da ich ihn seit
langer Zeit nicht mehr besucht habe, beschloß ich ihn jetzt
gewissenhaft zu besichtigen und begab mich gen Süden.
Unterwegs in einer Nebenstraße der Großbeerenstraße gab es
ein paar Schaufenster, vor denen mußte ich stehenbleiben. So
lange konnte der Kreuzberg auf mich warten. Das eine verhieß
Wäscheanfertigung jeder Art aus vorhandenem sowie aus
geliefertem Material. Da lehnte über die Leine mit den
Spitzentaschentüchern eine nachdenkliche Stoffpuppe ihre
marmorgrauen Arme. Unter roter Kappe hatte sie blaugraue
Locken, altfarben, wie Ahnenbilder sie haben. Es war schwer,
an ihren einladenden Augen und Armen vorbeizukommen. Und
wenige Schritte weiter war eine Vogel- und
Vogelfutterhandlung. Auch für Fische und gegen Insekten gab
es da mancherlei einzukaufen, und ich las Worte wie
Piscidin, Wawil, Dermingin, Radicalin, Milbin. Vor allem
aber einen Vers allgemeineren Inhalts, den ich mir gemerkt
habe:

   | Ein Vöglein im Heim
   | Erfreut groß und klein.
   | Große Auswahl in Sing-
   | Und Ziervögel.

Ich weiß nicht, ob die beiden letzten Zeilen auch als Vers
gemeint sind, aber ich lese sie so.

Das alles hielt mich begreiflicherweise auf, aber
schließlich stand ich doch am Fuß des Berges vor dem großen
Becken des Wasserfalls im Viktoriapark. Im Wasser lachte ein
faunischer Fischer aus Bronze, der eine zappelnde Nixe in
sein Netz zwang. Außer mir sah ihm bei dieser Tätigkeit von
der nächsten Brandmauer der Kreuzbergstraße ein riesiges
Reklamefräulein staunend zu, ohne darüber ihre Arbeit zu
vernachlässigen. Sie mußte die Wäsche in ihrer
Riesenschüssel mit empfehlenswerten Seifenflocken behandeln.
Ich aber ging einem kleinen Jungen nach, der auf seinem
Dreirad bergauf fuhr bis zu dem Sandspielplatz. Am Lido, in
Ostende und an der Riviera soll das gesellige Strandleben
sehr entwickelt sein, in Berlin gibt es in verschiedenen
Volksparks aber auch sehr schöne Sandplätze. Sie haben meist
eine Holzfassung, auf deren Brüstung die ganz Kleinen ihre
Kuchenformen stülpen, während innen in der weiten Sandwüste
die Größeren Berge mit Tunneln und mit Rauchlöchern für
Vulkane bauen. Neidisch und erwachsen sehe ich den Eifrigen
zu und komme auf eine Bank neben ein paar alte Frauen zu
sitzen, von deren Gespräch ich wie einen Refrain oder wie
Pedal einer Klaviermusik immer nur höre: »Da hat se ja nu .
. . da wird se ja auch . . . da hat se alles jehabt . . .«
Aber ich habe weiter Park und Berg zu besichtigen und suche
zunächst pflichtgetreu die Denkmäler der Freiheitsdichter
auf, die hier im Grünen verteilt sind. Es sind
angenehmerweise nur Hermen, harmlos unter Büschen, über
Beeten wie die, welche im Pariser Luxembourggarten dichten.
Da haben wir Rückert in langem Haar mit
Schmetterlingskrawatte. In ein Notenheft, das breit genug
ist für Ghaselen, schreibt er an einer Strophe, deren
Komplikationen ihm Stirnfalten über den sinnenden Augen
machen. Unten an seinem Sockel spielt auf seiner Leier ein
Bambino. Unweit steigt Körnern der Kragen hoch an die
Koteletten des nach links oben strebenden Hauptes. Sein
Militärmantel ist zur Toga drapiert, und mit seiner
Dichterrolle faßte er gleichzeitig das Schwert. Auch drüben
Heinrich von Kleist braucht die Linke nicht nur zum Halten
des Dichterhandwerks, sie faßt zugleich des Schoßes
Draperie, während die Rechte mit dem Gänsekiel unter dem
versonnenen Kinn langfährt. Auf Uhlands Rolle steht
geschrieben ‚Das Alte Recht‘. Er sieht überzeugt geradeaus.
Hübsche Blaublümchen blühn im Beet vor seinem Sockel. Und
davon blühn noch mehr und dichter beieinander an dem
Seitenbach des Wasserfalls, an dem entlang ich nun weiter
hinauf muß, dankbar für alles, was mich unterwegs aufhält.
Es gibt noch einige zoologische und botanische Ablenkungen.
Hinter Drahtgitter Goldfasanen und Rehe. Man darf sie weder
füttern noch necken. Denn, steht geschrieben, Gesundheit und
Leben der Tiere ist hierdurch gefährdet. Vor den
Blumenbeeten mit den gelehrten Porzellanschildchen höre ich
Nachbarstimmen auseinandersetzen: »Das ist auch ’ne
Alpenrose, sag’ ich dir, nur ’ne andre Sorte, steht ja
Orient drauf.« Bei den Pfingstrosen fragt mich ein blasses
Rothaariges: »Können Sie mir mal sagen, wie spät’s is?« und
mahnt mich so zur Eile. Ich halte mich also nicht auf bei
den Probeporträts, welche auf halber Berghöhe, wo der Weg
über die Brücke des Wasserfalls führt, ein Photograph
ausstellt. Auch nicht bei dem tiefgebetteten Milchkurgarten,
aus dem ich doch meine Sommerfrische machen könnte. Nein,
statt mich zu erholen, steige ich neben künstlichem Fels die
Granitstufen hinauf, sechzig Stufen der oberen Terrasse bis
zum großen Denkmal.

Neben mir erklärt ein Familienvater Frau und Kindern, was es
da unten ringsum an Türmen und Dächern zu sehen gibt, er
zeigt ihnen die Hallen des Anhalter Bahnhofs,
Reichstagskuppel und Siegessäule, nahe Gnadenkirche und
ferne Lutherkirche. Als er dann zu den grünspanigen Kuppeln
am Gendarmenmarkt, zu Hedwigskirche, Dom und Schloß kommt,
wird die kleine Tochter ungeduldig und fragt: »Wollen wir
nicht bei den kleinen Fluß gehn?« Damit meint sie den
Wasserfall. Der Vater aber gelangt erklärend weiter zu den
Kirchen der Altstadt. Ich denke bei den Namen nach, wer wohl
in vergangenen Zeitläuften von dieser Höhe auf die alten
Türme hinuntergesehen haben mag. Da fällt mir die Anekdote
von dem Kurfürsten Joachim ein, der hier oben ein paar
Stunden seltsamer Angst und Spannung verbracht hat. Dem
hatte nämlich sein gelehrter Sterndeuter Carion, dem er eine
Sternwarte in seinem festen Schloß zu Cölln an der Spree
eingerichtet hatte, prophezeit, es werde am 15. Juli 1525
ein grausames Wetter die Städte Berlin und Cölln ersäufen.
Der Tag brach, wie die Chronisten erzählen, wolkenlos an,
mittags herrschte glühende Hitze, der Himmel bekam ein
fahles Gelbgrau und am Horizont erschien eine schwarze
Wolke. Da gab es Unruhe im Schloß, die Hofwagen wurden eilig
angeschirrt, und der Kurfürst lief mit verstörter Miene
durch die Gemächer. Und als die Wolkenwand höher stieg und die
ersten Blitze zuckten, sprangen die Tore des Schlosses auf,
der Kurfürst, seine Gemahlin und die Kinder fuhren im
vierspännigen Wagen über den Schloßplatz, die vornehmsten
Räte, Offiziere und Hofdiener folgten zu Pferde und zu Fuß,
mit eilig zusammengeraffter Habe beladen.

Nach Süden ging der Zug, wo sich die Cöllnischen Weinberge
erhoben. Hier hat es nämlich vormals Weinberge gegeben, auf
denen wirklich Wein gedieh. Er war wohl ziemlich sauer,
wurde aber nicht nur in der Mark getrunken, sondern auch
nach Polen, Rußland und Schweden ausgeführt. Erst als der
Branntwein aus einem Medikament gegen Heiserkeit, Gicht,
Kopfweh, Wurm und stinkenden Atem allmählich ein beliebtes
Getränk wurde, das man nicht nur in Apotheken kaufte, hat er
den Weinbau von diesen Tempelhofer Bergen verdrängt. Auf den
höchsten der Hügel, den, der heute Kreuzberg heißt, ging der
Zug des Kurfürsten und suchte dort Schutz gegen die drohende
Sintflut. Hier oben wartete man auf das Wetter, das nicht
kam. »Als er aber lange darauf gehalten und nichts daraus
geworden, hat ihn sein Gemahl (wie sie denn eine sehr
christliche und gottesfürchtige Fürstin gewesen) gebeten,
daß er möchte wieder hineinziehen und bei seinen armen
Unterthanen ausharren . . . Davon ließ er sich bewegen und
ist um 4 Uhr gegen Abend wieder gen Cölln gezogen. Ehe er
aber aufs Schloß kommen, hat sich ein Wetter bewiesen und
wie er unter das Schloßtor kommen, hats dem Kurfürsten vier
Pferde vor dem Wagen samt dem Knechte erschlagen und sonsten
keinen Schaden mehr getan.« So zu lesen in Peter Hafftitz’
Mikrologikon.

Was sah der geängstete Monarch, wenn er von der drohenden
Wolke weg auf seine Residenz blickte? Hinter Sumpf und Sand
einen Wall mit Türmchen und Zinnen, dahinter seine Burg
‚Zwing-Cölln‘, wie sie das Volk nannte und von der heut nur
noch der Grüne Hut übrig ist, jener runde Turm an der
Spreeseite mit dem grünspanbedeckten Kupferdach, in Cölln
ferner Kuppeln und Spitzen der Glockentürme von Sankt Peter
und nah dabei das Dominikanerkloster, wo vor einigen Jahren
Tetzel gehaust hatte, um den Cöllnern und Berlinern die
Höllenqualen recht genau darzustellen und Ablaßzettel zu
verkaufen . . . Und weiter wanderten seine Blicke über das
Haus des Heiligen Geistes zu Sankt Marien und Sankt Nicolas,
zu den Grauen Brüdern und über die Mühlen am Wasser bis zum
Köpenicker Tor, durch das er damals zur Jagd geritten war an
dem schlimmen Tage, als ihm die verschworenen Junker auf der
Heide auflauerten. Dort am Tor hatte das Haupt des kecksten
der Rebellen aufgesteckt geprangt und ein ganzes Jahr lang
von seiner Eisenstange herabgegrinst. Zwischen den Kirchen
und stolzen Eckhäusern der Breiten- und der Klostergasse
waren nur niedere Schilfdächer und ein paar moosige
Ziegeldächer zu sehn und viel freies Feld, Acker und Weide
und Tümpel mitten in der Stadt.

Von diesem Hügel haben Schweden und Kaiserliche abwechselnd
auf die bedrängte Stadt geblickt, die dann der Große
Kurfürst zur zackig umwallten Kanonenfestung umschuf.
Im Siebenjährigen Krieg sind Österreicher und Russen hier
gewesen. Feuerkugeln mit langen Schwefel- und Pechkränzen
schossen hinunter. Danach hat der arme Sandhügel eine Weile
Ruhe von der Weltgeschichte gehabt. Erst anno 1813 haben die
Berliner auf dem Tempelhofer Berg und den Rollbergen
Schanzen zur Stadtverteidigung angelegt. Aber der Feind kam
nicht bis an die Stadt, nur der Kanonendonner von
Großbeeren. Und bald danach läuteten die Glocken Dank für
den Sieg bei Leipzig. Im Jahre 1818 wurde der Grundstein
gelegt zu dem Siegesdenkmal, das hier hinter mir aufragt.
Die Majestäten von Rußland und Preußen warfen Kalk aus der
Maurerkelle auf das Lager des Steins. Und dann wuchs, ganz
aus Eisen gegossen, Schinkels Denkmal im sogenannten
‚altteutschen Style‘ empor, und zwar, wie ein Zeitgenosse
berichtet, »auf einem achteckigen Unterbau, welcher eine
erhöhte mit steinernen Platten bedeckte Terrasse um das
Monument bildet, die sich auf elf rings um das Achteck
laufenden Stufen erhebt . . . Bei den Teilen und bei dem
Ganzen hat die Architektur des Kölner Domes zum Muster
gedient . . . Das Ganze bildet einen thurmartigen Baldachin,
der sich über zwölf Kapellen oder Nischen erhebt, aus denen
die im Grundriß bestimmte Kreuzform des Ganzen
zusammengesetzt ist. Diese nischenartigen Kapellen sind den
zwölf Hauptschlachten des großen Krieges gewidmet und jede
Nische ist mit einem charakteristischen Siegesgenius
ausgefüllt, dessen Gestalt dem durch ihn personificierten
Ereignis entspricht. Die schöne Aufgabe dieser Gestalten für
den Bildhauer ist bereits in vollendeten Figuren durch die
Professoren Rauch, Tieck und Wichmann jun. sehr glücklich
gelöset . . .« Die Genien haben klassizistisch abgeschwächte
Ähnlichkeit mit den Fürsten und Helden der Zeit, Culm mit
Löwenhaut und Keule sieht dem König Friedrich Wilhelm
gleich. Dennewitz trägt Bülows Züge. Blücher ist zweimal
vertreten, stürmend an der Katzbach, im nordischen Harnisch
bei La Rothiere. Der Siegesgöttin von Paris verlieh Rauch
die Gesichtszüge der Königin Luise und ließ sie in der
Rechten eine kleine Quadriga tragen, die an die
wiedergewonnene große auf dem Brandenburger Tor gemahnt.
Belle-Alliance aber, der Endsieg, blieb den unumgänglichen
Föderierten vorbehalten: das Haupt hat die Züge der
russischen Kaiserin Alexandra Feodorowna, und obendrein sind
noch auf der Mittelfalte ihres Gewandes als Stickereien die
übrigen elf Genien in Relief wiederholt. Später wurde für
das Denkmal eine höhere Untermauerung geschaffen und es
wurde mittels hydraulischer Pressen bis zu seiner
gegenwärtigen Höhe gehoben.

Benommen von alter Zeit und dem Abendwind, der von den
Brauereien her Geruch von Malz wehte, wie man ihn in München
riecht, hätte ich gern jemanden gefragt: Wo ist denn hier
der Dustere Keller ? Der muß einmal hier am Abstieg gelegen
haben. In Urzeiten war es eine Schlucht mit Aschenurnen,
dann hauste dort in fritzischen Zeiten ein wunderlicher
Einsiedler. Dann war es ein beliebtes Ausflugsziel. Und in
den heimlichen Tagen vor den Freiheitskriegen gründeten die
vaterländischen Turner Jahn und Friesen in der Wirtschaft
mit ihren Freunden den Deutschen Bund, in welchem der
aufgelöste Tugendbund weiterlebte. Aber da seh ich Flieger
im Osten über Tempelhof und besinne mich auf die Gegenwart.