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HASENHEIDE
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:initial:`H`\ asen gibts hier nicht und auch keine Heide
mehr, aber wer sich bei Namen von Stadtteilen etwas der
ursprünglichen Bedeutung Entsprechendes vorstellen möchte,
den wird es interessieren, zu erfahren, daß im Jahre 1586
laut Chronik der Cöllner Stadtschreiber eine kurfürstliche
Verordnung verfügte: ‚Den 18. May ist uff Churfürstl. Gnaden
ernsten Befehlich den Burgern in beyden Stedten ufferleget,
Löcher in den Zeunen an den Gerten zu machen, damit die
Hasen hineinlauffen konnen.‘ Noch Friedrich Wilhelm I.
erwiderte auf ein Gesuch um Hütungsgerechtigkeit in der
Heide: ‚Soll Haasen-Garten bleiben.‘ Unter Friedrich dem
Großen entstanden dann die ersten ländlichen Wirtschaften
und nach den Freiheitskriegen Kaffeegärten, und zwischen
ihnen ein riesiger Rummelplatz, der mit seinen Würfelbuden,
Kraftmessern, starken Jungfrauen, Seiltänzern und
Wundertieren sich von der Gegend der Bärwaldstraße bis zu
dem Turnplatz erstreckte. Vor den Vergnügungslokalen ging
mit seinem hölzernen Kasten am Tragriemen der
Zigarrenverkäufer auf und ab — denn hier durfte der sonst
vielfach verbotene Tabak geraucht werden, bot Fidibus und
Lunte und rief: ‚Cigaro mit avec du feu.‘

Aus alten Heftchen und Bildern der fünfziger Jahre kennt man
die Omnibusfahrten nach der Hasenheide, Madam Brösecke mit
Mann und vielen Kindern auf der Fahrt vom Dönhoffplatz
hieher. »Bei Streitz ist Konzert und bei Happolt Ball. Bei
Höfchen werden die Putzmacherinnen poussiert und dann geht’s
zum Turnplatz!« Happolt ist offenbar das Feinste gewesen:
Marmorsäle, Glassalon, Trumeaux vom Mosaikfußboden bis zur
gemalten Decke, ‚Kronenleuchter wie in dem Palast eines
Fürsten‘ usw. Und dann war da noch Lücke, wo die
Aristokraten sich trafen, Hofräte, Geheime Ober Titularräte
und Calculatoren. Madam Brösecke bleibt lieber mit ihren
Gevatterinnen bei Höfchen, wo »eine Legion Kaffeekannen mit
duftigem Cichorien-Mokka und Hunderte von kleinen,
Finkennäpfen ähnlichen Tassen, dazwischen Weißbier und
Schnappsgläser auf allen Tischen« stehen, während es ihre
Tochter Pinchen hier zu ‚gemischt‘ findet.

Die Bier- und Kaffeegärten sind geblieben bis auf den
heutigen Tag und immer größer geworden. Sie sind fast zu
groß, sie haben das Monströse der Zeit der Riesenportionen
und Doppelkonzerte behalten und überbieten einander in ihren
Ankündigungen. ‚Täglich großes Terrassenstimmungskonzert bei
freiem Eintritt‘, donnert es uns von einem Eingang an, und
nicht weit davon behauptet ein Lokal, ‚trotz aller
Neueröffnungen das führende Café‘ zu sein und zu bleiben. Es
verheißt ‚täglichen Tanz auf erleuchteter Glastanzfläche‘
und dazu Musik einer ‚Rheingoldkapelle‘. Aber der alte
Rummelplatz ist nicht mehr da. Die ‚Neue Welt‘ ist heute
eins der großen Gartenlokale mit Sälen für Versammlungen und
Festlichkeiten. Ältere Leute werden sich noch der Zeit
erinnern, da man bei dem Wort ‚Neue Welt‘ an Panoramen,
sogenannte naturwissenschaftliche Museen, ‚Wilde‘,
Dompteusen in Stulpstiefeln und Kraftmenschen
dachte. Ich habe hier als kleines Kind den lächelnden Mund
und die rosa Wangen des Mädchens gesehn, dem der Kopf
abgeschlagen und wieder aufgesetzt wird, vielleicht auch
jene erste Dame ohne Unterleib, zu deren schönen
Armbewegungen ihr Unternehmer die Verse von der Lotosblume,
die sich ängstigt, aufsagte; sicher aber kam mir hier zum
ersten Male der Name Dante zu Ohren in einer Bude, wo einige
seiner Höllenstrafen panoramisch-plastisch dargestellt
waren. Es war sehr schaurig. So etwas wird uns heute nicht
mehr geboten.

Ein andres Stück Hasenheide ist geblieben: Turnvater Jahn
schaut noch immer, wenn auch nur als Büste, vom Postament
seines Denkmals auf sporttreibende Jugend nieder, nah bei
der Stätte, auf der er die erste Turnerschaft versammelte.
Er sieht wohlgefällig auf die bräunlichen Buben und Mädchen
in Schwimmkostümen nieder, die hier wie an so vielen Plätzen
rings um Berlin ihre Bälle stoßen und schleudern. Und wenn
wir über die Sandhügel des etwas verwilderten, von zwergigen
Föhren bestandenen Gartens hinter dem Denkmal gehn, eine der
vielen Stätten, wo die Berliner Sonne und Luft finden, mögen
wir auch mit friedlichem Wohlwollen an die kriegerischen
Jünglinge und Tyrannenmörder von damals denken, denen
Freiheit, Vaterland und stärkende Pflege des eigenen Körpers
eine Gesamtheit befreundeter Gedanken war. Bis dann diese
Befreier und heldischen Jünglinge und vor allem ihr Führer
und Vorbild die Tyrannei von seiten des geliebten
Vaterlandes selbst erfahren mußten. Hier also hat Jahn im
Jahre 1818 den ersten Turnplatz eröffnet, nachdem er schon
vor den Freiheitskriegen mit einigen Schülern auf den Wiesen
zwischen dem Halleschen und dem Kottbuser Tor die neue Kunst
des Turnens geübt hatte. Wenn damals noch der wagerechte Ast
einer Eiche das Reck bildete, Sandgruben zum Tiefsprung und
die steilen Wände der Rollberge zum Sturmlauf benutzt
wurden, so hatten sie hier in der Heide richtige Geräte,
Barren, Ein-, Zwei- und Vierbäume. Aber schon im nächsten
Jahr verhängten die Demagogenverfolger eine Turnsperre,
verhafteten Jahn und ließen alle Geräte vom Turnplatz
fortschaffen. Auch nach seiner Freilassung blieb Jahn noch
lange unter Polizeiaufsicht. Und erst nach 48 wurde sein
Werk richtig anerkannt und wurden die vielen Turngemeinden
gegründet, die in ihm ihren Turnvater sehen. Die haben dann
aus allen Teilen der Welt die Steine gesandt, aus denen das
Postament seines Denkmals gebaut ist.

In dem alten Garten nahe dem Restaurant, wo Familien Kaffee
kochen können, sind trümmerhaft, kulissenhaft ein paar nicht
mehr gebrauchte Schießstandteile stehengeblieben. Auf ihren
Zielscheiben bemerkt man verblassende Figuren der
Feindesgestalten rund ums Zentrum. Wobei einem zumut wird,
als lebte man schon in Zeiten, die nur noch aus
Überlieferungen und Museumsstücken begreifen, daß Menschen
einmal so töricht waren, aus Röhren mit Pulver aufeinander
zu feuern. Recht altertümlich wirkt auch der Reklamekasten
eines Photographen, der nahe dem Straßeneingang aufgestellt
ist. Darin sind die preisgekrönten Modelle vom
Meisterschaftsfrisieren eines Friseurgehilfenvereines in
Neukölln zu sehen. Wir erblicken komplizierte Ondulationen
reichbehaarter Mädchen und Frauen, wie sie in Natur wohl
nicht einmal in den entlegensten Teilen von Neukölln mehr
vorkommen.