1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
|
<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
"http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
<head>
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
<link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
<title>An Hiller.</title>
</head>
<body>
<h4>An Hiller.</h4>
<div class="subtitle spaced">1793.</div>
<p><span class="rightalign"><span class="spaced">Du lebtest, Freund</span>! — Wer nicht die köstliche</span><br />
Reliquie des Paradieses, nicht<br />
Der Liebe goldne königliche Frucht,<br />
Wie Du, auf seinem Lebenswege brach,<br />
Wem nie im Kreise freier Jünglinge<br />
In süßem Ernst der Freundschaft trunkne Zähre<br />
Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann,<br />
Wer nicht, wie Du, aus dem begeisternden<br />
Dem ewigvollen Becher der Natur<br />
Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank,<br />
Der lebte nie, und wenn sich ein Jahrhundert,<br />
Wie eine Last, auf seiner Schulter häuft. —<br />
<span class="spaced">Du lebtest</span>, <span class="spaced">Freund</span>! es blüht nur wenigen<br />
Des Lebens Morgen, wie er Dir geblüht;<br />
Du fandest Herzen, Dir an Einfalt, Dir<br />
An edelm Stolze gleich; es sproßten Dir<br />
Viel schöne Blüthen der Geselligkeit;<br />
Auch adelte die innigere Lust,<br />
Die Tochter weiser Einsamkeit, Dein Herz;<br />
Für jeden Reitz der Hügel und der Thale,<br />
Für jede Grazien des Frühlings ward<br />
Ein offnes unumwölktes Auge Dir.</p>
<p><span class="rightalign">Dich, Glücklicher, umfieng die Riesentochter</span><br />
Der schaffenden Natur, Helvetia;<br />
Wo frei und stark, der alte, stolze Rhein<br />
Vom Fels hinunter donnert, standest Du,<br />
Und jubeltest ins herrliche Getümmel.<br />
Wo Fels und Wald ein holdes zauberisches<br />
Arkadien umschließt, wo himmelhoch Gebirg,<br />
Deß tausendjähr'gen Scheitel ew'ger Schnee,<br />
Wie Silberhaar des Greisen Stirne, kränzt,<br />
Umschwebt von Wetterwolken und von Adlern,<br />
Sich unabsehbar in die Ferne dehnt,<br />
Wo <span class="spaced">Tells</span> und <span class="spaced">Walters</span> heiliges Gebein<br />
Der unentweihten freundlichen Natur<br />
Im Schoose schläft, und manches Helden Staub<br />
Vom leisen Abendwind emporgeweht,<br />
Des Sennen sorgenfreies Dach umwallt,<br />
Dort fühltest Du, was groß und göttlich ist,<br />
Von seligen Entwürfen glühte Dir<br />
Von tausend goldnen Träumen Deine Brust;<br />
Und als Du nun vom lieben heilgen Lande<br />
Der Einfalt und der freien Künste schiedst,<br />
Da wölkte freilich sich die Stirne Dir,<br />
Doch schuf Dir bald mit deinem Zauberstabe<br />
Manch selig Stündchen die Erinnerung.</p>
<p><span class="rightalign">Wohl ernster schlägt sie nun, die Scheidestunde;</span><br />
Denn ach! sie mahnt die unerbittliche,<br />
Daß unser liebstes welkt, daß ew'ge Jugend<br />
Nur drüben im Elysium gedeiht;<br />
Sie wirft uns auseinander, Herzensfreund!<br />
Wie Mast und Segel vom zerriss'nen Schiffe<br />
Im wilden Ocean der Sturm zerstreut.<br />
Vielleicht indeß uns andre nah und ferne<br />
Der unerforschten Pepromene Wink<br />
Durch Steppen oder Paradiese führt,<br />
Fliegst du der jungen seligeren Welt<br />
Auf Deiner Philadelphier Gestaden<br />
Voll frohen Muths im fernen Meere zu;<br />
Vielleicht, daß auch ein süßes Zauberband<br />
Ans abgelebte feste Land Dich fesselt!<br />
Denn traun! ein Räthsel ist des Menschen Herz!<br />
Oft flammt der Wunsch, unendlich fortzuwandern,<br />
Unwiderstehlich herrlich in uns auf;<br />
Oft däucht uns auch im engbeschränkten Kreise<br />
Ein Freund, ein Hüttchen, und ein liebes Weib<br />
Zu aller Wünsche Sättigung genug. —<br />
Doch werfe, wie sie will, die Scheidestunde<br />
Die Herzen, die sich lieben, auseinander!<br />
Es scheuet ja der Freundschaft heil'ger Fels<br />
Die träge Zeit, und auch die Ferne nicht.<br />
Wir kennen uns, Du Theurer! — Lebe wohl!</p>
</body>
</html>
|