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  <title>Der Wanderer.</title>
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<body>

<h4>Der Wanderer.</h4>

<p> Einsam stand ich und sah in die afrikanischen dürren<br />
Ebnen hinaus; vom Olymp regnete Feuer herab.<br />
Fernhin schlich das hagre Gebirg, wie ein wandelnd Gerippe,<br />
Hohl und einsam und kahl blickt' aus der Höhe sein Haupt.<br />
Ach! nicht sprang, mit erfrischendem Grün, der schattende Wald hier<br />
In die säuselnde Luft üppig und herrlich empor,<br />
Bäche stürzten hier nicht in melodischem Fall vom Gebirge,<br />
Durch das blühende Thal schlingend den silbernen Strom,<br />
Keiner Heerde verging am plätschernden Brunnen der Mittag,<br />
Freundlich aus Bäumen hervor blickte kein wirthliches Dach.<br />
Unter dem Strauche saß ein ernster Vogel gesanglos,<br />
Aengstig und eilend flohn wandernde Störche vorbei.<br />
Nicht um Wasser rief ich dich an, Natur, in der Wüste,<br />
Wassers bewahrte mir traulich das fromme Kamel,<br />
Um der Haine Gesang, um Gestalten und Farben des Lebens<br />
Bat ich, vom lieblichen Glanz heimischer Fluren verwöhnt.<br />
Aber ich bat umsonst; du erschienst mir feurig und herrlich,<br />
Aber ich hatte dich einst göttlicher, schöner gesehn.<br />
Auch den Eispol hab' ich besucht; wie ein starrendes Chaos<br />
Thürmte das Meer sich da schrecklich zum Himmel empor.<br />
Todt in der Hülle von Schnee schlief hier das gefesselte Leben,<br />
Und der eiserne Schlaf harrte des Tages umsonst.<br />
Ach! nicht schlang um die Erde den wärmenden Arm der Olymp hier,<br />
Wie Pygmalions Arm um die Geliebte sich schlang.<br />
Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke den Busen,<br />
Und in Regen und Thau sprach er nicht freundlich zu ihr.<br />
Mutter Erde! rief ich, du bist zur Wittwe geworden,<br />
Dürftig und kinderlos lebst du in langsamer Zeit.<br />
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in sorgender Liebe,<br />
Alternd im Kinde sich nicht wiederzusehn, ist der Tod.<br />
Aber vielleicht erwarmst du dereinst am Strale des Himmels,<br />
Aus dem dürftigen Schlaf schmeichelt sein Odem dich auf;<br />
Und, wie ein Samenkorn, durchbrichst du die eherne Hülse,<br />
Und die knospende Welt windet sich schüchtern heraus.<br />
Deine gesparte Kraft flammt auf in üppigem Frühling,<br />
Rosen glühen und Wein sprudelt im kärglichen Nord.<br />
Aber jetzt kehr' ich zurück an den Rhein, in die glückliche Heimath,<br />
Und es wehen, wie einst, zärtliche Lüfte mich an.<br />
Und das strebende Herz besänftigen mir die vertrauten<br />
Friedlichen Bäume, die einst mich in den Armen gewiegt,<br />
Und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen, schönen<br />
Lebens der Welt, es erfrischt, wandelt zum Jüngling mich um.<br />
Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der Eispol,<br />
Und im Feuer des Süds fielen die Locken mir aus.<br />
Doch wie Aurora den Tithon, umfängst du in lächelnder Blüthe<br />
Warm und fröhlich, wie einst, Vaterlandserde, den Sohn.<br />
Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock,<br />
Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst.<br />
Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge,<br />
Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt.<br />
Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des herrlichen Ahnherrn,<br />
Steigen am dunkeln Gebirg Vesten und Hütten hinauf.<br />
Friedsam geht aus dem Walde der Hirsch an's freundliche Tagslicht;<br />
Hoch in heiterer Luft siehet der Falke sich um.<br />
Aber unten im Thal, wo die Blume sich nährt von der Quelle,<br />
Streckt das Dörfchen vergnügt über die Wiese sich aus.<br />
Still ists hier; kaum rauscht von fern die geschäftige Mühle,<br />
Und vom Berge herab knarrt das gefesselte Rad.<br />
Lieblich tönt die gehämmerte Senf' und die Stimme des Landmanns,<br />
Der am Pfluge dem Stier, lenkend, die Schritte gebeut,<br />
Lieblich der Mutter Gesang, die im Grase sitzt mit dem Söhnlein,<br />
Das die Sonne des Mais schmeichelt in lächelnden Schlaf.<br />
Aber drüben am See, wo die Ulme das alternde Hofthor<br />
Uebergrünt und den Zaun wilder Holunder umblüht,<br />
Da umfängt mich das Haus und des Gartens heimliches Dunkel,<br />
Wo mit den Pflanzen mich einst liebend mein Vater erzog,<br />
Wo ich froh, wie das Eichhorn, spielt' auf den lispelnden Aesten,<br />
Oder in's duftende Heu träumend die Stirne verbarg.<br />
Heimathliche Natur! wie bist du treu mir geblieben!<br />
Zärtlichpflegend, wie einst, nimmst du den Flüchtling noch auf.<br />
Noch gedeihn die Pfirsiche mir, noch wachsen gefällig<br />
Mir an's Fenster, wie sonst, köstliche Trauben herauf.<br />
Lockend röthen sich noch die süßen Früchte des Kirschbaums,<br />
Und der pflückenden Hand reichen die Zweige sich selbst.<br />
Schmeichelnd zieht mich, wie sonst, in des Walds unendliche Laube<br />
Aus dem Garten der Pfad, oder hinab an den Bach,<br />
Und die Pfade röthest du mir, es wärmt mich und spielt mir<br />
Um das Auge, wie sonst, Vaterlandssonne! dein Licht;<br />
Feuer trink' ich und Geist aus deinem freudigen Kelche,<br />
Schläfrig lässest du nicht werden mein alterndes Haupt.<br />
Die du einst mir die Brust erwecktest vom Schlafe der Kindheit,<br />
Und mit sanfter Gewalt höher und weiter mich triebst,<br />
Mildere Sonne! zu dir kehr' ich getreuer und weiser,<br />
Friedlich zu werden, und froh unter den Blumen zu ruhn.</p>

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</html>