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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 15:34:57 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 15:34:57 +0100 |
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-rw-r--r-- | OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html | 118 |
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diff --git a/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html new file mode 100644 index 0000000..edf62a3 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html @@ -0,0 +1,118 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Götterdämmerung.</title> +</head> + +<body> +<h4>Götterdämmerung.</h4> + +<p> +Der May ist da mit seinen goldnen Lichtern,<br /> +Und seidnen Lüften und gewürzten Düften,<br /> +Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,<br /> +Und grüßt aus tausend blauen Veilchenaugen,<br /> +Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,<br /> +Durchwebt mit Sonnenschein und Morgenthau,<br /> +Und ruft herbei die lieben Menschenkinder.<br /> +Das blöde Volk gehorcht dem ersten Ruf;<br /> +Die Männer ziehn die Nankinhosen an,<br /> +Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;<br /> +Die Frauen kleiden sich in Unschuldweiß,<br /> +Jünglinge kräuseln sich den Frühlingsschnurrbart,<br /> +Jungfrauen lassen ihre Busen wallen,<br /> +Die Stadtpoeten stecken in die Tasche<br /> +Papier und Bleistift und Lorgnett'; und jubelnd<br /> +Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar, +</p> +<p> +Und lagert draußen sich auf grünem Rasen,<br /> +Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen,<br /> +Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,<br /> +Horcht auf den Sang der lust'gen Vögelein,<br /> +Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt. +</p> +<p> +Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal<br /> +An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai,<br /> +Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!<br /> +Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief:<br /> +Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast;<br /> +Ich habe dich durchschaut, ich hab' durchschaut<br /> +Den Bau der Welt, und hab' zu viel geschaut,<br /> +Und viel zu tief, und hin ist alle Freude,<br /> +Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.<br /> +Ich schaue durch die steinern harten Rinden<br /> +Der Menschenhäuser und der Menschenherzen,<br /> +Und schau' in beiden Lug und Trug und Elend.<br /> +Auf den Gesichtern les' ich die Gedanken,<br /> +Viel schlimme. In der Jungfrau Scham-Errötheu<br /> +Seh' ich geheime Lust begehrlich zittern;<br /> +Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt'<br /> +Seh' ich die bunte Schellenkappe sitzen;<br /> +Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten<br /> +Seh' ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht,<br /> +Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus.<br /> +Ich sehe durch den Grund der alten Erde, +</p> +<p> +Als sey sie von Kristall, und seh' das Grausen,<br /> +Das mit dem freud'gen Grüne zu bedecken<br /> +Der Mai vergeblich strebt. Ich seh' die Todten,<br /> +Sie liegen unten in den schmalen Särgen,<br /> +Die Händ' gefaltet und die Augen offen,<br /> +Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,<br /> +Und durch die gelben Lippen kriechen Würmer.<br /> +Ich seh', der Sohn setzt sich mit seiner Buhle<br /> +Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;<br /> +Spottlieder singen rings die Nachtigallen;<br /> +Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch,<br /> +Der todte Vater regt sich in dem Grab',<br /> +Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde. +</p> +<p> +Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich!<br /> +Ich seh' die Gluth in deinem Busen wühlen,<br /> +Und deine tausend Adern seh' ich bluten,<br /> +Und seh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,<br /> +Und wild hervorströmt Flamm' und Rauch und Blut.<br /> +Ich seh' die Riesensöhn' der alten Nacht,<br /> +Sie steigen aus der Erde off'nem Schlund,<br /> +Und schwingen rothe Fackeln in den Händen,<br /> +Und legen ihre Eisenleiter an,<br /> +Und stürmen wild hinauf zur Himmelsveste;<br /> +Und schwarze Zwerge klettern nach; und knisternd<br /> +Zerstieben droben alle goldnen Sterne.<br /> +Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang +</p> +<p> +Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder,<br /> +Auf's Angesicht, die frommen Engelschaaren.<br /> +Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott,<br /> +Reißt sich vom Haupt die Kron', zerrauft sein Haar –<br /> +Und näher drängt heran die wilde Rotte;<br /> +Die Riesen werfen ihre rothen Fackeln<br /> +In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge schlagen<br /> +Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;<br /> +Die winden sich und krümmen sich vor Qualen,<br /> +Und werden bei den Haaren fortgeschleudert.<br /> +Und meinen eignen Engel seh' ich dort,<br /> +Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen,<br /> +Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,<br /> +Und mit der Seligkeit im blauen Auge –<br /> +Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold<br /> +Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,<br /> +Beäugelt grinsend seine edlen Glieder,<br /> +Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung –<br /> +Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,<br /> +Die Säulen brechen, Erd' und Himmel stürzen<br /> +Zusammen, und es herrscht die alte Nacht. +</p> + +</body> +</html> |