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  <title>II.</title>
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<body>
<h4>II.</h4>

<p>
Ein Traum, gar seltsam schauerlich,<br />
Ergötzte und erschreckte mich.<br />
Noch schwebt mir vor manch grausig Bild,<br />
Und in dem Herzen wogt's mir wild.
</p>
<p>
Da war ein Garten, wunderschön,<br />
Da wollt' ich lustig mich ergehn;<br />
Viel schöne Blumen sahn mich an,<br />
Ich hatte meine Freude dran.
</p>
<p>
Es zwitscherten die Vögelein<br />
Viel muntre Liebesmelodei'n;<br />
Die Sonne war von Gold umstrahlt,<br />
Die Blumen lustig bunt bemalt.
</p>
<p>
Viel Balsamduft aus Kräutern rinnt,<br />
Die Lüfte wehen lieb und lind;<br />
Und Alles schimmert, Alles lacht,<br />
Und zeigt mir freundlich seine Pracht.
</p>
<p>
Inmitten in dem Blumenland<br />
Ein klarer Marmorbrunnen stand;<br />
Da schaut' ich eine schöne Maid,<br />
Die emsig wusch ein weißes Kleid.
</p>
<p>
Die Wänglein süß, die Aeuglein mild,<br />
Ein blondgelocktes Heil'genbild;<br />
Und wie ich schau, die Maid ich fand<br />
So fremd und doch so wohl bekannt.
</p>
<p>
Die schöne Maid, die sputet sich,<br />
Sie summt ein Lied gar wunderlich:<br />
»Rinne, rinne, Wässerlein,<br />
»Wasche, wasche Hemde rein.«;
</p>
<p>
Ich ging und nahete mich ihr,<br />
Und flüsterte: O sage mir,<br />
Du wunderschöne, süße Maid!<br />
Für wen ist dieses weiße Kleid?
</p>
<p>
Da sprach sie schnell: Sey bald bereit,<br />
Ich wasche dir dein Todtenkleid!<br />
Und als sie dieß gesprochen kaum,<br />
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum.&nbsp;&#8211;
</p>
<p>
Schnell fortgezaubert stand ich bald<br />
In einem düstern, wilden Wald.<br />
Die Bäume ragten himmelan;<br />
Ich stand erstaunt und sann und sann.
</p>
<p>
Und horch! welch dumpfer Wiederhall!<br />
Wie ferner Aextenschläge Schall;<br />
Ich eil' durch Busch und Wildniß fort,<br />
Und komm' an einen freien Ort.
</p>
<p>
Inmitten in dem grünen Raum,<br />
Da stand ein großer Eichenbaum;<br />
Und sieh! mein Mägdlein wundersam<br />
Haut mit dem Beil den Eichenstamm.
</p>
<p>
Und Schlag auf Schlag, und sonder Weil',<br />
Summt sie ein Lied und schwingt das Beil:<br />
»Eisen blink, Eisen blank,<br />
»Zimmre hurtig Eichenschrank.«;
</p>
<p>
Ich ging und nahete mich ihr,<br />
Und flüsterte: O sage mir,<br />
Du wundersüßes Mägdelein,<br />
Wem zimmerst du den Eichenschrein?
</p>
<p>
Da sprach sie schnell: Die Zeit ist karg,<br />
Ich zimmre deinen Todtensarg!<br />
Und als sie dieß gesprochen kaum,<br />
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum.&nbsp;&#8211;
</p>
<p>
Es lag so bleich, es lag so weit<br />
Ringsum nur kahle, kahle Heid;<br />
Ich wußte nicht wie mir geschah,<br />
Und heimlich schauernd stand ich da.
</p>
<p>
Und nun ich eben fürder schweif',<br />
Gewahr' ich einen weißen Streif;<br />
Ich eilt' drauf zu, und eilt' und stand,<br />
Und sieh! die schöne Maid ich fand.
</p>
<p>
Auf weiter Heid stand weiße Maid,<br />
Grub tief die Erd' mit Grabescheit.<br />
Kaum wagt ich noch sie anzuschau'n,<br />
Sie war so schön und doch ein Grau'n.
</p>
<p>
Die schöne Maid, die sputet sich,<br />
Sie summt ein Lied gar wunderlich:<br />
»Spaten, Spaten, scharf und breit,<br />
»Schaufle Grube tief und weit.«;
</p>
<p>
Ich ging und nahete mich ihr<br />
Und flüsterte: O sage mir,<br />
Du wunderschöne, süße Maid,<br />
Was diese Grube hier bedeut't?
</p>
<p>
Da sprach sie schnell: Sey still, mein Knab',<br />
Ich schaufle dir ein kühles Grab.<br />
Und als so sprach die schöne Maid,<br />
Da öffnet sich die Grube weit;
</p>
<p>
Und als ich in die Grube schaut',<br />
Ein kalter Schauer mich durchgraut;<br />
Und in die dunkle Grabesnacht<br />
Stürzt' ich hinein,&nbsp;&#8211; und bin erwacht.
</p>

</body>
</html>