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  <title>Götterdämmerung.</title>
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<body>
<h4>Götterdämmerung.</h4>

<p>
Der May ist da mit seinen goldnen Lichtern,<br />
Und seidnen Lüften und gewürzten Düften,<br />
Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,<br />
Und grüßt aus tausend blauen Veilchenaugen,<br />
Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,<br />
Durchwebt mit Sonnenschein und Morgenthau,<br />
Und ruft herbei die lieben Menschenkinder.<br />
Das blöde Volk gehorcht dem ersten Ruf;<br />
Die Männer ziehn die Nankinhosen an,<br />
Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;<br />
Die Frauen kleiden sich in Unschuldweiß,<br />
Jünglinge kräuseln sich den Frühlingsschnurrbart,<br />
Jungfrauen lassen ihre Busen wallen,<br />
Die Stadtpoeten stecken in die Tasche<br />
Papier und Bleistift und Lorgnett'; und jubelnd<br />
Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,
</p>
<p>
Und lagert draußen sich auf grünem Rasen,<br />
Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen,<br />
Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,<br />
Horcht auf den Sang der lust'gen Vögelein,<br />
Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
</p>
<p>
Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal<br />
An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai,<br />
Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!<br />
Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief:<br />
Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast;<br />
Ich habe dich durchschaut, ich hab' durchschaut<br />
Den Bau der Welt, und hab' zu viel geschaut,<br />
Und viel zu tief, und hin ist alle Freude,<br />
Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.<br />
Ich schaue durch die steinern harten Rinden<br />
Der Menschenhäuser und der Menschenherzen,<br />
Und schau' in beiden Lug und Trug und Elend.<br />
Auf den Gesichtern les' ich die Gedanken,<br />
Viel schlimme. In der Jungfrau Scham-Errötheu<br />
Seh' ich geheime Lust begehrlich zittern;<br />
Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt'<br />
Seh' ich die bunte Schellenkappe sitzen;<br />
Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten<br />
Seh' ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht,<br />
Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus.<br />
Ich sehe durch den Grund der alten Erde,
</p>
<p>
Als sey sie von Kristall, und seh' das Grausen,<br />
Das mit dem freud'gen Grüne zu bedecken<br />
Der Mai vergeblich strebt. Ich seh' die Todten,<br />
Sie liegen unten in den schmalen Särgen,<br />
Die Händ' gefaltet und die Augen offen,<br />
Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,<br />
Und durch die gelben Lippen kriechen Würmer.<br />
Ich seh', der Sohn setzt sich mit seiner Buhle<br />
Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;<br />
Spottlieder singen rings die Nachtigallen;<br />
Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch,<br />
Der todte Vater regt sich in dem Grab',<br />
Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
</p>
<p>
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich!<br />
Ich seh' die Gluth in deinem Busen wühlen,<br />
Und deine tausend Adern seh' ich bluten,<br />
Und seh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,<br />
Und wild hervorströmt Flamm' und Rauch und Blut.<br />
Ich seh' die Riesensöhn' der alten Nacht,<br />
Sie steigen aus der Erde off'nem Schlund,<br />
Und schwingen rothe Fackeln in den Händen,<br />
Und legen ihre Eisenleiter an,<br />
Und stürmen wild hinauf zur Himmelsveste;<br />
Und schwarze Zwerge klettern nach; und knisternd<br />
Zerstieben droben alle goldnen Sterne.<br />
Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang
</p>
<p>
Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder,<br />
Auf's Angesicht, die frommen Engelschaaren.<br />
Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott,<br />
Reißt sich vom Haupt die Kron', zerrauft sein Haar&nbsp;&ndash;<br />
Und näher drängt heran die wilde Rotte;<br />
Die Riesen werfen ihre rothen Fackeln<br />
In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge schlagen<br />
Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;<br />
Die winden sich und krümmen sich vor Qualen,<br />
Und werden bei den Haaren fortgeschleudert.<br />
Und meinen eignen Engel seh' ich dort,<br />
Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen,<br />
Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,<br />
Und mit der Seligkeit im blauen Auge&nbsp;&ndash;<br />
Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold<br />
Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,<br />
Beäugelt grinsend seine edlen Glieder,<br />
Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung&nbsp;&ndash;<br />
Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,<br />
Die Säulen brechen, Erd' und Himmel stürzen<br />
Zusammen, und es herrscht die alte Nacht.
</p>

</body>
</html>