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diff --git a/OEBPS/Text/06.xhtml b/OEBPS/Text/06.xhtml new file mode 100644 index 0000000..74e8d4b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/06.xhtml @@ -0,0 +1,121 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>...liner Roma... - 6.</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">6.</h3> + +<p class="intro"> +Zu dem Artikel „Menschenfleisch in Ziegenleberwurst“ +erfahren wir von zuständiger Seite</p> + +<p class="clearb"> +„War es schön, Deeters? Habt Ihr das Hotel gefunden?“ – „Ach +wunderschön! Sehr schön! obwohl es zu nichts gekommen ist. +Das brauchts ja auch gar nicht. Wahrhaftig ein eigenartiges +Weib! Dann ist sie plötzlich ganz Kind. Und ich weiß nicht: +vielleicht bin ich ihr nur ein Spielzeug.“ – Pünktlich +hinter einer Riesenbrille nahen sich Noktavian und Nuscha. +Sie kehren von einer Weltreise zurück. Noktavian berichtet. +Erst waren wir in Babylonien, Ägypten, Griechenland. Dann +wandelten wir unter Palmen, Dann betätschelten wir das +spiegelglatte nasse Zwergnilpferd. Dann schlichen wir +ehrfürchtig auf den Zehen durch einen Lesesaal der +Wissenschaft. Stärkten uns in China an Teegebäck. Guckten +durch Bullaugen zum Nordpol herum den Pinguinen zu. Und +nun.. – „Ja nun seid ihr am Strande des Potsdamer Platzes“ – +Genießen teure Schnäpse, das heißt: Noktavian darf seiner +Zahnschmerzen wegen nur ein Stück Torte genießen. – Das Meer +vor ihnen flutet und tutet, rattert und knattert. – +Autoreifen, Bahnpuffer, Pferdenasen und Deichseln greifen +ineinander wie Zahnräder. Eine uralte Dame bittet einen +Schutzmann, sie nach dem andern Ufer zu geleiten. – Weißt +du, Noktavian, diese Polizisten, das sind die Lotsen des +Potsdamer Platzes. – Gustav weiß, daß seine maritimen +Vergleiche dem Freunde Vergnügen bereiten. – „Ja, Gustav, du +wirst doch ewig der alte Hochseematrose bleiben. So mag ich +dich leiden. Und schau, Nuscha, diese alte Dame war eine von +den Mumien, die wir vorhin nicht betasten durften. Gewiß hat +irgend jemand sie gekitzelt; da wachte sie auf und +entsprang.“ – Nuscha öffnet den Mund ganz weit, +karpfenartig, sinnt zwei Sekunden lang und dann gellt ein +silberhelles Lachen. – Wir reisen weiter. In diesem Erdteil +wird ewig ein unerforschtes Inneres bleiben. Noktavian +proponiert ein Programm. Gustav unterbricht ihn: Nuscha, +willst du dich einmal im Durchschnitt als Fleisch, Sehnen +und Knochen betrachten? Oder irgendwo nebenan Frau Hempel +singen hören? Man kann in Berlin auch im Sommer Schlittschuh +laufen, und es gibt ein Lokal, wo ein Hummer 1000 Mark +kostet. Und es gibt Leute, die dort hingehen, bloß um +anzuschauen, wie Parvenus solche Hummer essen. Oder willst +du auf einem Rummelplatz als Weihnachtsengel mit zehn +dankbaren Kindern schwindlig durch die Lüfte quietschen? +Oder reizt es dich, die Wand anzustaunen, hinter der unser +Präsident schläft? Deeters stammelt: „Lassen wir uns doch +vom Zufall treiben! – Erst mal irgendwo ein ordentliches +Mittagsbrot essen ..“ – Ja, ordentlich essen, und wollen uns +einmal vorsätzlich und bewußt ein wenig betrügen lassen. +Noktavian verabschiedet sich; er hat noch mancherlei vor. – +Was hat er denn noch Geheimnisvolles vor? – Vielleicht noch +eine Reise nach Transnubien. Vielleicht will er dort +Beziehungen anknüpfen. Er begeht nie eine Torheit. Er tut +und sagt nur, was er zuvor exakt erwogen und gerichtet hat. +Daß er sich von solcher Lebensweise Gewinn verspricht, das +könnte das einzige Naive an ihm sein. Aber niemand versteht +entzückender als er zu erzählen und Erzählungen zu lauschen. +Alle neuen Frauen verlieben sich für einige Zeit in ihn. – +Die Untergrundbahn reißt den Dreibund mit sich fort. Dächer +unter ihnen, Keller über ihnen, Stelle dir vor, wie bei +einer Entgleisung Hirn verspritzt. – Auf einem +Umsteigeperron sehen sie sich das Miterlebte von außen an. +Wie die eckige Gliederschlange herangleitet, stoppt, steht, +Türen aufschlägt und wimmelnde Vielheit entlädt. So rieseln +Korinthen aus gespaltenem Faß. – Gefällt uns das Meer, +gefällt uns die Woge. Des wird man nicht müde: In die Massen +zu staunen. Hätte es Nuscha vordem nicht verstanden, dort, +derzeit mochte sie es lernen. Und nicht die tausend Menschen +mit Auswüchsen und Einwüchsen füllen Berlin, sondern die +Millionen, die durch alle Siebe fallen. – Sie wundert sich +nicht, das rätselhafte Bauernkind. Sie nimmt auf, paßt sich +unheimlich rasch an. Einmal stieg auch in Gustaven ein +Mißtrauen auf. Sie wußte, was eine Nutte bedeutet. Wovon +nahm sie diesen üblen Fachausdruck der Dirnen? – Stadt ist +Fels. Würmer nagten Löcher und Gänge hinein. Aber an +aufgerissenen Baustellen, an den Wunden der Stadt und in den +Oasen der Straße, den Raseninseln, wo Wallwurz und Löwenzahn +wuchern, dort offenbart es sich, daß unter dem Stein noch +Erde, feuchte Erde dünstet. Kalt und starr blickt die Stadt +einem vorbei. Aber liegt ein blutiger Leichnam quer über die +Schienen oder bei eines Schaffners Witz über einen +Lehrjungen, der mit einem roten Farbtopf hinpurzelt... +gelegentlich spürt man, daß unterm Asphalt das Herz der +Großstadt schlägt. Leute, wie Heinz und Elfchen, zart +besaitete, würden allerdings weitergehen: Ein Leichnam? Komm +weiter! Ich kann so was nicht ansehen. – Sie schwimmen in +der hilflosen Weite neuer Straßen, lassen sich von winkligen +Felsspalten verschlingen, schauen über Geländer in Tiefen, +steigen Stufen, schreiten unter Brücken durch, um Pfeiler +und Streben herum. Die Wonne erfaßt sie, mit der Kinder im +Wirrwarr eines Baugerüstes klettern. Jetzt Nuscha, werden +wir uns noch wie Bücherwürmer durch ein für Kinder +illustriertes Reallexikon winden, durchs Warenhaus. Du wirst +noch alles haben wollen. Wir sind darüber hinweg. Abends +wählen wir zwischen dem Theater in der Königgrätzer Straße +und einem Kinofilm „Zur Dirne um ein Diadem“. – Nuscha kaut +auf offener Straße Äpfel und schweigt. „Recht so, Nuscha: +die alten Purmanns leben satt und bequem und haben, sieht +man vom Gähnen ab, ihr Leben lang nie philosophiert.“</p> + +<hr class="fin" /> + +</div> +</body> +</html> |