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diff --git a/OEBPS/Text/08.xhtml b/OEBPS/Text/08.xhtml new file mode 100644 index 0000000..890ff30 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/08.xhtml @@ -0,0 +1,116 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>...liner Roma... - 8.</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">8.</h3> + +<p class="intro"> +– – zusammengebundene Leichen, die gestern aus der Spree +gelandet wurden, die Zwergin Kosanko aus der Skalitzerstraße +210 und der wegen Sittlichkeitsverbrechen mehrfach +vorbestrafte Rechnungsrat B. rekognosziert.</p> + +<p class="clearb"> +<span class="txtindent">Mein Privatehrenbürger von Berlin,</span><br /> +deine Billigung, der ich sicher war, bringt mich wieder in +Form. Denn Purmanns hatten mich im Mörser ihrer +Geringschätzung mit dem Vorwurf der Unbeständigkeit total +zermürbt. Dabei ahnte Elfchen nicht, daß ich außer den Fett- +und Sahnetöpfen sogar noch eine reiche Bauerswitwe +ausgeschlagen hatte, die Gutspächterin. Was brauchen unsere +Frauen von unserer Kunst zu verstehen, Deeters? – Ich ließ +mich von der blanken Bäuerin in die Schweineställe +einführen, wo es zur Fütterung klingt wie tausendfältig +Rülpsen nach Kakao. In Kuhduft und Sonne schmolz das +Nikotin, wurden die Nerven sanft, und ich lachte in der +Hängematte über die kinoartigen Bewegungen der Hühner. Eine +Sau schlief im Hof. Die Fliegen hatten ihr blutige Wunden +hinter die Ohren eingefressen. Ein kühnes Küken sprang auf +die Sau und pickte die Fliegen weg; ich habe gezählt: In +einer Minute 72 Fliegen, also in der Stunde 4320, also im +Jahre?! – Nachts, denn dort stieg man durchs Fenster aus und +ein, besuchten wir das Birr-Grab in der Heide. Denn dort +gibt es Mondenschein und Rehe und Sturm. – Wir sind auch +Boot gefahren. Und dabei habe ich das einzige tiefere +Erlebnis gehabt. Nicht mit der Bäuerin. Die war albern, +unecht. Aber Gänse beknabberten ein Paket, das auf dem +Flüßchen trieb. Als ich die nasse Hülle neugierig aufzupfte, +enthielt sie Druckbogen einer Kolportageschrift, immer +wieder nur die Seiten 22 bis 29, und zwischen den +mittelsten, ganz trocken gebliebenen, hing ein abgerissenes +Stück vom Titelblatt, darauf noch zu lesen war: liner Roma. +– Da habe ich nachgesonnen, wie das Paket in das Flüßchen +geriet, und das schien mir nun ein Geheimnis. Ein Geheimnis +auf dem Lande, wo man sonst alles übersieht und um +jedermanns Treiben weiß. Und was bedeutet liner Roma? Da +fehlt was vorn und was hinten. Ich hab' mir's ergänzt +„Berliner Romane“. Berliner Romane haben meist keinen +ordentlichen Anfang und kein rechtes Ende. (Übrigens die +Nuscha war auch mir nie wieder begegnet. Sehr schön so. Eine +Erinnerung wie Jasmingeruch.) – Wohl war zwei Stunden von +Sidows ab ein Städtchen zu erreichen, grünlich getüncht und +mit verborgenen Turmspitzen. Auf dem Kirchhof im Efeu liegen +Steintafeln wie gestaute Eisschollen, und umgitterte Gräber +wie Schiffe. Darüber schatten fruchtbare Birnenbäume, +gedüngt von Toten der achtziger Jahre. Ich aber sehnte mich +nach einem Zeitungskiosk, der die neuesten Beine von +Tanzsternen zeigt und die semmelheiße Nachricht bringt, daß +in Tokio vier Kasernen brennen. – Frau von Sidow haßt die +Großstadt, die sei hart und schartig wie Austernbank, +Gehäuse an Gehäuse. Erzählt Frau von Sidow von den Streiks +oder den Straßenkämpfen im Zeitungsviertel, dann sollen ich +und die Hausdame mit den Köpfen nicken, wie Omnibusschimmel. +Da hab' ich gesagt, es sei gar nicht so schlimm gewesen, +immer nur zwei Tote. Und die Löcher in den Mauern habe man +andern Tags wieder zugegipst. – Das hat aber meine adlige + +<img class="center" src="../Images/08.png" alt="Bild Kapitel 8"/> + +Brot-, Bett- und Ofenherrin arg verstimmt. – Andermal, weil +sie mich in den Wald bestellte, fragte sie: „Nicht wahr, Sie +lieben doch auch die Natur?“ Da hab' ich gesagt: „Nein.“ – +Danach lernte ich nicken. Nur noch einmal, mit einer scheuen +Saatkrähe, habe ich über das aufgestocherte Berlin +gesprochen; von den schreienden Rednern erzählt, über 100 +Milliarden von Hüten, und von den Matrosen auf Panzerautos, +die die Häuser erbeben machten. Vom sektsaufenden Pöbelmund, +den öffentlichen Diebesbörsen. Das ganze große Erheben. Das +behält seine Farben in meinem Gedächtnis. – Ich half im +Garten graben, und wenn die impulsive, despotische, +freundliche Jüdin auf dem Piano oder Tennis oder mit fremden +Sprachen und mit all und jeder Kunst und Wissenschaft +spielte, wurde ich zugezogen. Was fehlte zu ihren Millionen? +zu ihren guten Büchern und Bildern? zu ihren traumschwarzen +und pelzweichen Augen? – Sie wußte ganz tiefverschwommen zu +philosophieren. Aber ich saß dabei wie ein Klotz, sehnte +mich nach Leuten, die ihren Geist verstecken. Nach einmal +Betrunkensein im Panoptikum und nach täglich neuen +verblüffenden Plakaten, statt des albernen Mohren mit +Malzextrakt. Zwar hatte mir Frau von S. aus freien Stücken +50 Mark Taschengeld zugesagt. Aber das Schweinefliegenzählen +ermüdet. Und wer mag auf die Dauer immer zum Fenster +hinausspringen. Und laß Birr begraben sein. Und so fing ich +an, mir eine manierliche, entblüffende Kündigungsrede +einzustudieren. So im Sinne Noktavians... „Wie der Matrose +sich immer wieder hinaus aufs tobende Meer sehnt... wie es +der Deutsche, der einmal in Afrika gelebt hat, nimmer lange +in der Heimat aushält .. wie die Zigeuner ..“ – Aber dann, +eines Tages, diese Rede völlig beiseiteschiebend, bin ich +ganz plump mit den Worten herausgestolpert: „Entschuldigen +Sie, morgen reise ich ab“. – Und nun umgaukeln mich wieder +die Möglichkeiten Berlins. Nur du fehlst.</p> + +<hr class="fin" /> + +</div> +</body> +</html> |