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+
+<div class="chapter" id="Budin">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Budin</span>.</span></div>
+
+<p><span class="initial">D</span>u weisst, dass
+Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst
+mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich
+Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel
+hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in
+meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit
+Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes
+Leben besteht. In Dresden missfiel mir noch zuletzt gar
+sehr, dass man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und
+Fremden noch nicht die Strassen und
+<!-- pb n="9" facs="#f0035"/ --> Gassen an den Ecken
+bezeichnet hat; ein Polizeyartikel, an den man schon vor
+zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen
+gedacht hat, und der die Topographie ausserordentlich
+erleichtert: und Topographie erleichtert wieder
+Geschäfte.</p>
+
+<p>Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsche
+Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen,
+von welchem Werth sie ist, und Küttner hat es, meines
+Wissens, schon sehr gut gethan. Du weisst, dass ich hier
+ziemlich Idiot bin und mich nicht, in das Heiligthum der
+Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum
+Beyspiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken
+habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit seiner
+Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den
+Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo
+es, wie ich denke, jetzt steht. Hier intressierten mich eine
+Menge Köpfe am meisten, die ich grössten Theils für römische
+hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabey ein, dass der
+Churfürst diese Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr
+komplettieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu
+beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwey Tage und
+den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige
+Verordnungen die Kunst betreffend sind mir barock genug
+vorgekommen. Kein Künstler, zum Beyspiel, darf auf der
+Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich
+versichert hat. Diess zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht.
+Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn
+Kopien grosser Meister von dort kämen, die man mit den
+<!-- pb n="10" facs="#f0036"/ --> Originalen verwechseln
+könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwey
+Stunden oben arbeiten, welches für die Kopisten in Oehl eine
+Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber
+das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuweilen bis zur
+Ungezogenheit treiben; und es soll vor kurzem ein nahmhafter
+Maler unsers deutschen Vaterlandes seine Pinsel auf einem
+der schönsten Originale abgewischt haben um die Farben zu
+versuchen. Da würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock
+sich in der Faust geregt haben.</p>
+
+<p>Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die mit
+ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Gedächtniss ist
+wie ein Sieb; aber mich däucht, es war die Gräfin von
+Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch.
+Es war bey der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger
+und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger
+vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses
+behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich
+mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts
+unwillkührlich erinnerte.</p>
+
+<p>In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Siegfried, den du
+als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns
+mit einigen Bekannten an die Gränze brachte. Nun gieng es in
+die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so
+rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon
+Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter
+Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bey
+Aussig wieder ganz auf.</p>
+
+<!-- pb n="11" facs="#f0037"/ -->
+<p>Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den
+auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholicität
+gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegentheil muss ich
+sagen, es gefiel mir alles ausserordentlich wohl. Unser
+Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger
+Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der
+Zollbeamte, der den Pass bescheinigte, war freundlich. Die
+Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst
+niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir
+Griesgram. Man müsste eine sehr verstimmte unästhetische
+Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches,
+freundliches Gesicht sähe, als ein altes, hässliches,
+murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Silbermützchen vor
+einem Spiegel, der zwischen zwey Marienbildern hing, so
+reitzend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren
+eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der
+Ketzer Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so
+enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr
+bekehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte.
+Ueberdiess ist der böhmischdeutsche Dialekt bis Lowositz
+ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick
+und widrig hervor, wie der gebirgische in Sachsen.</p>
+
+<p>Der Weg von Peterswalde nach Aussig ist rauh, aber schön;
+von Aussig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch
+wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit
+Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die
+Klage über die Undisciplin unserer sächsischen Landesleute
+ins Ohr, die in
+<!-- pb n="12" facs="#f0038"/ --> dem Bayerischen
+Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle
+verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher
+steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in
+die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm
+machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird unsere
+Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bey
+Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger
+hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches,
+fruchtbares Land, das zwey Stunden hinter Budin nun ganz
+Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit
+zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine
+kleine Sammlung guter Bücher an, und liess mir von ihm, da
+er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den
+Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration
+über das Daseyn Gottes geben.</p>
+
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