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+
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+ <title>Gräz</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[51]" facs="#f0077"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Graez">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Gräz</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">H</span>ier will ich einige Tage
+bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du
+weisst, dass der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr
+angenehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen Anblick
+von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von
+Schottwien aus machte ich den ersten Tag mit vieler
+Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler
+Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem
+entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den
+zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz
+bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren
+Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden.
+Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muss die erste Meile
+schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in
+der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es
+versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl
+dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht
+gelaufen. Indessen wer wird gern in einer
+schlechten <span class="italic">Kabacke</span> übernachten,
+wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes
+Wirthshaus.</p>
+
+<p>An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem
+kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht
+mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie
+sehr wohl; denn Du weisst, dass ich mir aus den Kreuzern so
+wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch
+natürlich
+<!-- pb n="52" facs="#f0078"/ --> auf die schöne Tugend der
+Billigkeit und auf die unbillige Forderung, dass alle
+Richter als Richter sie haben sollen. Billigkeit ist die
+Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich
+Dich, ob ein Richter dabey etwas zu thun hat? Nur die
+Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen
+Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen
+Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirthshause nieder,
+und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über
+die Billigkeit.</p>
+
+<div class="poem">
+<p>
+<span class="indent">Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:</span><br />
+Für ihn ist das Gesetz von Eisen,<br />
+Und seine Pflichten sind von Stein,<br />
+Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand</span><br />
+Dem Bruder für die kleine Spende,<br />
+Und schlinge freundlicher das Band,<br />
+Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit</span><br />
+Der göttergleichen Heldentugend,<br />
+Die sich der Welt zum Opfer weiht;<br />
+Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,</span><br />
+Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;<br />
+Doch Milde nur und Güte bringt<br />
+Ins leere Haus den Harrenden die Freude.<br />
+</p>
+
+<!-- pb n="53" facs="#f0079"/ -->
+
+<p>
+<span class="indent">Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht</span><br />
+Den grossen Tross gemeiner Seelen;<br />
+Mit dem olympischen Geschlecht<br />
+Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.<br />
+</p>
+</div>
+
+<p>Jeder <span class="spaced">soll</span> billig seyn für
+sich; das ist menschlich, das ist schön: aber
+alle <span class="spaced">müssen</span> gerecht seyn gegen
+alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht
+bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Richter,
+oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des
+Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur
+Gerechtigkeit kann, muss der Mensch gezwungen werden; zur
+Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet.
+Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter
+nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die
+Gerechtigkeit ist die erste grosse göttliche Kardinaltugend,
+welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die
+Gerechtigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nachher
+Justinian lehren liess. Jeder unbefangene Geschichtsforscher
+weiss, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten
+und wie sie zu Werke gingen, und wie viel Unsinn Papinian
+von der Toilette der heiligen Theodora annehmen musste.
+Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend
+Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein
+Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuss tödten
+könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine
+Morgenröthe, die sie hervorzuführen versprach. Aber die
+Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke
+Wolken und endlich
+<!-- pb n="54" facs="#f0080"/ --> Nebeltage. Es war ein
+Phantom. Wenn Du Gerechtigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du
+sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor
+gehen. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute,
+schliessen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; je
+mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere
+Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer
+bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn
+die Gewalthaber begreifen wohl, dass ohne diese durchaus
+nichts bestehen kann, dass sie sich ohne dieselbe selbst
+auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen
+aus; und mich däucht, wir werden wohl noch einige
+platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der
+That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die
+Erziehung des Menschengeschlechts noch zu wenig gemacht, und
+diejenigen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse
+sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So bald
+Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist
+die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit,
+Grossmuth, Menschenliebe, Gnade, Erbarmung genug im
+Einzelnen, bloss weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit
+haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der
+Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit;
+die Gnade gehört bloss für Verbrecher; und meistens sind die
+Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der
+Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Thronen der
+Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn von blosser Gnade
+zu leben: vermuthlich war er ein Mensch, der mit
+Gerechtigkeit nichts
+<!-- pb n="55" facs="#f0081"/ -->
+fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter,
+rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und
+wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es
+ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn
+man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber
+Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in
+Gräz?</p>
+
+<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht
+alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter,
+kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab.
+Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die
+leer zu seyn schienen und doch ausserordentlich schwer
+gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und entdeckte
+nun, dass sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich
+von Gräz und noch weiter von der italiänischen Armee
+brachten und deren Lavetten vermuthlich verbraucht waren.
+Vor Einem Wagen zogen oft sechzehn Pferde, und der Wagen
+waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil,
+dass sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und
+Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt immer gern:
+denn im Allgemeinen darf man annehmen, diese sind ehrliche
+Leute; die Schlechten behält man in der Garnison und lässt
+sie nicht mit Gewehr im Lande herum ziehen.</p>
+
+<p>Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu
+Mittage in Gräz, heisst im Januar immer ehrlich zu Fusse
+gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle
+romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch
+eine Meile von Brüg,
+<!-- pb n="56" facs="#f0082"/ --> gleich an dem Ufer der
+Mürz, steht ein schönes Landhaus; auf der einen Seite
+desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem
+ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf
+der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der
+Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das
+Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possierlich
+angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der
+Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziemlich beschneyt war,
+konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war oder ob
+man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter
+in der Gegend haben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.</p>
+
+<p>Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich
+eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse
+anrichteten, die aus den Bergen herab kämen. Der Schnee ward
+hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau,
+bloss weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen
+hatte. Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf
+der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit
+einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz
+nach Gräz zum Examen ging und der mich durch seine drolligen
+Schilderungen der öffentlichen Verhältnisse in Steyermark,
+für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel
+Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war,
+und lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging
+ich vollends hierher.</p>
+
+<p>Gräz ist eine der schönsten grossen Gegenden, die ich bis
+jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge<!-- pb n="57" facs="#f0083"/ -->ben
+die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen
+Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das
+Schlos<!-- supplied>s</supplied -->, auf einem ziemlich hohen
+Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund
+umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch
+Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert
+ist. Als ich oben in das Schlossthor trat, stand ein
+Korporal dort und pfiff mit grosser Andacht eines der besten
+Stücke aus der Oper <span class="spaced">die
+Krakauer</span>, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch
+der Revolution in Warschau war. Da ich die Oper dort
+genossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst
+mitgemacht hatte, so kannst Du denken, dass diese Musik hier
+in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte
+mich oft so sehr beschäftigt, dass ich manchmahl in
+Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text
+darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich
+verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll
+Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das
+Spital, gleich unten am Schlossberge, ist von Joseph dem
+Zweyten, ein stattliches Gebäude; und das neue sehr
+geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt
+lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner
+spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich
+habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue
+Bearbeitung des alten Stücks <span class="spaced">der Teufel
+ist los</span>. Der Text hält freylich, wie in den meisten
+Opern keine Kritik. Schade dass man nicht in dem Tone
+fortgefahren ist, den Weisse angeschlagen hatte. Es hätten
+eine Menge zu niedriger Redensarten ausge<!-- pb n="58" facs="#f0084"/ -->merzt
+werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab
+Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon mehr
+italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn
+seit Guardasonis schöner Periode irgend wo gehört habe. Das
+Personale ist ziemlich gut besetzt, und vorzüglich das
+weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das
+einzige was mir missfiel waren die Furien und Teufel, welche
+durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.</p>
+
+<p>In einer Prolepse muss ich Dir, nicht ganz zur Ehre
+unserer Mitbürger, sagen, dass ich auf meiner ganzen
+Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe,
+als bey uns in Leipzig. Hier in Oestreich und durch ganz
+Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige bequeme
+Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser
+von mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut
+haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem schlechten
+Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und
+Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen
+Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt. An
+Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und
+sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und
+Ausflucht zusammen.</p>
+
+<p>Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches
+Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch
+als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das
+ist nun so überall sein Geist, etwas gröber oder feiner;
+ausgenommen vielleicht in grossen Städten und grossen
+Residenzen, wo sich die Menschen
+<!-- pb n="59" facs="#f0085"/ --> etwas mehr an einander
+schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr
+herunter giebt es links und rechts noch manche alte
+Schlösser, die aber, dem Himmel sey Dank, immer mehr und
+mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das
+Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war,
+spricht man so wohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus.
+An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von
+der Bärenjagd und den Abenteuern die es dabey gäbe. Ich
+glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in
+Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier
+in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang
+schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren wurde eine Bärin
+erlegt, die Junge hatte, und auf einen Hof geschafft. Kurze
+Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter
+und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo
+sie sich endlich ruhig fangen liessen. Die Gärten und der
+Lindenberg waren verschneyt, so dass ich diese
+Vergnügungsörter nur von weitem sah.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>