aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/18-terracina.html
diff options
context:
space:
mode:
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/18-terracina.html')
-rw-r--r--OEBPS/Text/18-terracina.html273
1 files changed, 273 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/18-terracina.html b/OEBPS/Text/18-terracina.html
new file mode 100644
index 0000000..92ac9b4
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/18-terracina.html
@@ -0,0 +1,273 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Terracina</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Terracina">
+<div class="dateline"><span class="right">Terracina.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>u siehst, dass ich aus den
+Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom
+hat eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast
+Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über,
+überliess es meiner Grossmuth, die seinige zu belohnen. Das
+heisst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefasst.
+Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für
+drey Tage Wohnung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich
+auswärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für
+ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches
+Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern
+begleitete mich noch gefällig bis Sankt Johann vom Lateran,
+wo er mir am Thore seine Addresse gab, damit ich ihn bey
+meiner Rückkunft finden möchte. Er mochte die Rechnung
+gezogen und überlegt haben, dass einen ganzen Monat
+verhältnissmässig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das
+war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in
+die Länge nicht so grossmüthig behandeln lassen. Man hat der
+Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb
+verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend
+vor derselben nach Albano hinüber.</p>
+
+<p>Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter
+<!-- pb n="165" facs="#f0191"/ --> den Ruinen der alten
+Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit
+einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu
+orientieren, und schloss sich, als ich näher kam, an mich
+an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange
+häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und
+jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst
+angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den
+Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle
+Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des
+Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten
+hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen
+Vortheil und hatten desswegen nach der Weise der
+Revolutionäre angefangen höchst grausam zu verfahren: aber
+die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie
+bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an
+Gewalthätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist
+rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten
+muss; denn der Geruch ist entsetzlich und muss in der
+heissen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer
+Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt desswegen
+kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht
+unfruchtbar ist.</p>
+
+<p>Die Albaner bilden sich ein, dass ihre Stadt das alte
+Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und
+Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare
+haben zwar gezeigt, dass das nicht seyn könne, und dass die
+alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees
+am Fusse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier
+Millien,
+<!-- pb n="166" facs="#f0192"/ --> denken die Albaner,
+machen keinen grossen Unterschied; und es ist wenigstens
+niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa
+hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz
+lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn
+aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des
+Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun
+freylich um das Monument der Kuriatier misslich aus, das auf
+dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein
+ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind
+alle, die drey Kuriatier wie die beyden Horatier, unten vor
+der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch
+ihre Monumente standen: indessen lässt sich wohl denken,
+dass die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven
+Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten
+die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen,
+wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt
+seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das
+Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht
+die Gestalt.</p>
+
+<p>In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey denen er
+einkehrte, und ich liess mich auf die Post bringen, welche
+das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat
+ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der
+Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung
+machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen
+Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von
+dessen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich
+über<!-- pb n="167" facs="#f0193"/ -->zeugt war.
+Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber
+dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach
+französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in
+beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht
+gewöhnliche Erscheinung unter den
+Italiänern. <span class="italic">Je m'appelle Prince,</span>
+sagte er, <span class="italic">mais je ne le suis
+pas</span>; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner
+Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oehlbäume
+umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust
+von zweytausend Piastern verursacht. Die Wahrheit daran
+lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann
+zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem
+Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte
+weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht
+weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten
+Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit seyn, und sie
+ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir
+haben bey uns in Deutschland an vielen Orten grössere und
+schönere.</p>
+
+<p>Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken
+von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher
+zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der
+Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel
+Verdienst haben. Er muss indessen ein sehr sonderbarer
+Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat
+er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen
+lassen, und in dem Ueberreste lässt er die Schweine so wild
+herum laufen, als ob er sich ganz allein von
+<!-- pb n="168" facs="#f0194"/ --> der Mastung nähren wolle.
+Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so
+entrüstet, dass sie den Mann förmlich in Verdammniss gesetzt
+haben; ich weiss nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die
+Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in
+Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und
+Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus
+der Oede Roms kommt, einen sonderbaren wohlthätigen
+Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm
+vorzüglich gute Banditen zu seyn.</p>
+
+<p>Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses
+Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach
+Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die
+Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die
+fleissigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate
+vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so
+gut bearbeitet, dass sie den Wohlthaten der Natur Ehre
+machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in
+dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von
+Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend
+noch das Interesse der mythologischen Geschichte.</p>
+
+<p>Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein
+gestriger sondern ein anderer, der bey der Condeischen Armee
+den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit
+Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu
+Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten
+waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz
+Europa.
+<!-- pb n="169" facs="#f0195"/ --> Nach seinen Briefen
+musste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst
+bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn
+als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir assen zusammen
+in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab
+in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt
+ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten;
+aber das Wirthshaus hatte die schlechteste Miene von der
+Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig
+lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, dass dieses
+vermuthlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen
+gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte,
+dass auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe
+man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das
+war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumahl da
+es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu
+wandeln, bis <span class="italic">Torre di tre ponti</span>.
+Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein
+grosses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um,
+wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man
+ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die
+Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die
+Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur
+Gesellschaft: das ist nun so römische Wirthschaft. Es war im
+ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht
+ausserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es
+waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin
+sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein grosses Zutrauen
+einflössen können. Die alte gutmüthige Haushälterin
+<!-- pb n="170" facs="#f0196"/ --> gab uns eine grosse
+Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen,
+damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte,
+legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich,
+in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere
+Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die
+Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen
+liessen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und
+machte den nicht angenehmen Weg noch verdriesslicher:
+vorzüglich fluchte der Franzose nach altem
+Stil <span class="italic">tous les diables</span> mit allem
+Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat.
+Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog
+bärenmässig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich
+in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte
+den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man nass ist, muss man
+laufen; ich liess ihn ruhen, und versprach, hier in
+Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.</p>
+
+<p>Die letzte Station vor Terracina war für mich die
+abenteuerlichste. Die alte appische Strasse geht links etwas
+oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen
+Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger
+seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht
+recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war
+gross, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht
+gemerkt und ging die grosse gerade Linie immer weiter. In
+einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der
+See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit
+hinauf ging. Durch
+<!-- pb n="171" facs="#f0197"/ --> den ersten Absatz schritt
+ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch
+grösserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich
+konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine
+Viertelstunde auf der Strasse bis über den Gürtel im Wasser,
+und wusste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren
+leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den
+Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel
+durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich
+war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine
+Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum
+Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war,
+ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der
+Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen
+von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte
+Generalhexe eben einen Hauptprocess machte, und ich konnte
+froh seyn, dass ich noch so gut mit einem bischen Schmutz
+davon gekommen war. Nachdem ich in
+der <span class="italic">Locanda Reale</span>, einem grossen
+stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier
+gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem
+weissen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links
+von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und
+über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte
+mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um
+den neuen Pallast des Papstes, sondern weidete mich an der
+unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen
+Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen
+ausgezeichnet schön fand, und der
+<!-- pb n="172" facs="#f0198"/ --> üppigen Vegetation aller
+Art. Auch mehrere Palmbäume traf ich hier schon, da in Rom
+nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom
+Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine
+herrliche Allee der schönsten und grössten Aprikosenbäume in
+die Stadt.</p>
+
+<p>Mein Franzose kam, und es fand sich, dass der arme Teufel
+mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich musste ihn also doch
+nach Neapel hinüber transportieren helfen. Zu Abend traf ich
+ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage
+von Neapel kamen, und wir assen zusammen. Die Herren waren
+ganz verblüfft zu hören, dass ich von Leipzig nach Agrigent
+tornistern wollte, bloss um an dem südlichen Ufer Siciliens
+etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz
+frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr
+lebhaft und angenehm, und die Norditaliäner schienen die
+schöne Neapel <span class="italic">quouis modo</span>,
+literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben.
+Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das
+Neapolitanische.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>