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+ <title>Zürich</title>
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+
+<!-- pb n="[412]" facs="#f0440"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Zuerich">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Zürich</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un bin ich bey den
+Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und
+bereite mich in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den
+Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen
+Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören
+seyn: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch
+an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze
+möchte es etwas schwer halten.</p>
+
+<p>Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und ging diesen
+Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so
+beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend
+von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles
+war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüber kam,
+fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schossen:
+das ist merklicher Kontrast. Die grösste Wohlthat war mir
+nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von
+Mailand hatte ich die beschneyten Alpen mit Vergnügen
+gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und
+kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem
+Ticino und dem Lago maggiore herauf, bloss um die schöne
+Gegend zu geniessen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus
+Unteritalien und Sicilien und gab mir also keine grosse Mühe
+die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein
+Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also
+wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich sah also bey Varone links
+an der Anhöhe den gigan<!-- pb n="413 " facs="#f0441"/ -->tischen
+heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und fuhr dann sowohl
+bey der schönen Insel als bey der Mutterinsel vorbey. Man
+hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten
+gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und
+hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und
+hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum
+so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem
+Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette
+schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey Rossbach.
+Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen
+ausserordentlich gross, und wo die Gegend vor den rauheren
+Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in
+der ganzen Lombardey umsonst sucht. Es sind hier noch recht
+schöne Oelbäume, die man diesseit der Apenninen nur selten
+findet, und sogar indische Feigen in der freyen Luft. Ich
+schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin
+hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen
+rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem
+Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen
+über den Gotthardt herüber brachte. Zwey Tage ging ich am
+Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht
+ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube
+zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir
+besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für
+mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend
+blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen
+ist. Der Ticin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen
+hinunter, gegen<!-- pb n="414 " facs="#f0442"/ -->über
+lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich
+eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren
+Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die
+Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften
+erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin
+köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu
+haben. Mein grösster Genuss waren hier die Alpenquellen, vor
+denen ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken,
+wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den
+Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und
+rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben
+der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier
+bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den
+nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herab
+stürzten, und von denen der kleinste doch eine sehr starke
+Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere
+Parthien als die Reuss auf der deutschen; und nichts muss
+überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu
+steigen. Ayrolles war mein zweytes Nachtlager. Hier sprach
+man im Hause deutsch, italiänisch und französisch fast
+gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen
+sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war.
+Suworow hatte einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten
+beyde einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus
+für den alten General, und rühmte vorzüglich seine
+Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen
+etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe
+nicht ein, was den Wirth in
+<!-- pb n="415 " facs="#f0443"/ --> Ayrolles oben am
+Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er
+nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm
+im Kriege die Ehre angethan hatte bey ihm zu seyn: er
+zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon
+sind allgemein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück
+gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und
+ich suchte nur seinen wahren Charakter zu retten und einige
+Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In
+Prag hatte er zu einem hässlichen Gemälde gesessen. Der Löwe
+ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiss sehr wohl,
+dass das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von
+Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag
+und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mürrischer
+Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war
+er doch gewiss nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein
+Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen
+jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen
+ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in
+welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich
+befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische
+Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne
+Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person
+gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines
+Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen
+Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger
+seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last
+gelegt; und er selbst war freylich nicht der
+<!-- pb n="416 " facs="#f0444"/ --> Mann, der durch schöne
+Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte
+empfehlen können. Seines Werths sich bewusst, fest
+rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er
+voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und
+Marotten aussahen; war äusserst strenge gegen sich und dann
+auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach
+skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war
+sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft als
+sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke
+verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein
+Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige
+Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer
+zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf
+zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener
+Art aufbewahrt. Diess ist nun gewiss wieder ein barockes
+Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als
+prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von
+wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln
+und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen.
+Aber man muss auch den Teufel nicht schwärzer machen als er
+ist, und ich bin fest überzeugt, dass Suworow durchaus ein
+ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine
+starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im
+Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im
+öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weisst,
+dass ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst
+also in meinen Aeusserungen nichts als meine ehrliche
+Meinung fin<!-- pb n="417 " facs="#f0445"/ -->den.
+Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren
+persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt
+haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr
+war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der
+Humanität gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf
+seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu
+Tausenden nieder kartätschen liess.</p>
+
+<p>Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte
+nur noch sechs Tausend Mann über den Berg hinüber nach
+Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich
+gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen.
+Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen
+habe, gestehen das nehmliche ein und sagen, bloss die
+Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen
+Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres Glücks
+gewesen; und sie bekennen, dass sie im ganzen Kriege
+meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben.
+Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen
+der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das
+Zeugniss einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als
+abscheulich geschildert hat. Das thut Partheygeist. Man
+beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg
+zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muss, da sie
+selten Magazine bey sich haben und zusammen treiben was
+möglich ist. Das geht einmal und zweymal; das drittemal muss
+es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe sehr wohl
+wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr
+subalterner Zweck.
+<!-- pb n="418 " facs="#f0446"/ -->
+Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und
+nicht der ganzen Nation zuzurechnen.</p>
+
+<p>Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und diesseit
+des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen.
+Zwey Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also
+denken, dass der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe
+steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht
+rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges
+herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein
+majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der
+höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen
+Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal
+hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo
+hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.</p>
+
+<p>In dem Wirthshause zu Ayrolles sass ein armer Teufel, der
+sich leise beklagte, dass seine Börse ihm keine Suppe
+erlaubte. Du kannst denken, dass ich ihm zur Suppe auch noch
+ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal
+die Schwachheit, dass es mir nicht schmeckt, wenn andere in
+meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder
+Schneider aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen
+wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so
+viel von der Theuerung und der Unsicherheit in Italien, dass
+er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot
+sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich
+wollte auf seine Entschliessungen durchaus keinen Einfluss
+haben, er müsste seine Umstände am besten wissen, ich wäre
+gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
+<!-- pb n="419 " facs="#f0447"/ --> wieder zurück, und ich
+trug kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen.
+Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny
+rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr
+schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern
+Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf
+vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und
+rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit
+des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden
+hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo
+das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen
+Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und
+der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet;
+das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt und man hat
+schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muss eine
+herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine
+Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den
+wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt
+auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die
+Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen
+würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel
+kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den
+Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen,
+dass man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf
+trug: <span class="italic">coelum ipsum petimus
+stultitia</span>. Das Wasser auf der obersten Fläche des
+Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es giesst sich rund
+umher die Ausbeute des Regens und Schnee von den höchsten
+Felsen in den See,
+<!-- pb n="420 " facs="#f0448"/ --> aus dem sodann die
+Flüsse nach mehrern Seiten hinabrauschen. Es müsste das
+grösste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander
+Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit
+der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen
+um seine Füsse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder
+umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten
+stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die
+Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des
+Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter
+mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters
+seyn: doch war die Veränderung so schnell, dass in einer
+Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber,
+Regen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder
+durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt
+hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel,
+durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab.
+Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich
+links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die
+Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, dass es eine
+Teufelsparthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz
+nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das
+Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in
+den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee
+gefüllt, und die Spitzen der Berge weiss. Mein Schneider von
+Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der
+nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine
+Ahndung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An<!-- pb n="421 " facs="#f0449"/ -->fang
+mit dem Bekenntniss, dass er in seinem ganzen Leben nicht
+gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre
+nicht anfangen werde. &mdash; So so, das ist erbaulich; und
+was hat Er denn gethan? &mdash; Ich habe gedient. &mdash;
+Besser arbeiten als dienen. &mdash; Nun erzählte er mir, wo
+er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine
+Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte
+die Boulewards besser als seine Hölle und hatte alle
+Weinhäuser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte
+versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann
+Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und
+zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die
+Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt
+hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er
+Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen
+Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu
+erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl
+besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu
+halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in
+einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über
+Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen
+Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz
+abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich
+wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr
+Symetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser
+sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte
+nicht schnell genug den Weg in die Reuss finden, dass wir
+eine Viertelstunde ziemlich bis an den
+<!-- pb n="422 " facs="#f0450"/ --> Gürtel auf der Strasse
+im Wasser waden mussten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so
+schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte
+hinter mir her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach
+Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den
+Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt
+rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht
+weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, dass oben in
+den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch
+höhern Berge wäre, der hier herab flösse. Schade dass man
+nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von
+unten aus schon sehr romantisch, und oben muss man eine der
+herrlichsten Aussichten nach der Reuss und den
+Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest
+sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen
+Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren
+beklagten sich bitter, dass ihnen die Franzosen ihre
+geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem
+Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links
+und rechts liegen die kleinen Kantone und höher die
+Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht.
+Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof
+der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter
+der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller,
+die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die
+Brücken und den Fluss beschaut hatte, ging ich zum General
+Pfeiffer um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist
+bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie
+<!-- pb n="423 " facs="#f0451"/ --> wohl einige glauben. Der
+Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran
+gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur
+wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen
+haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte
+General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wusste
+durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des
+Greises so zu gewinnen, dass er sich als seinen Schüler
+ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird
+allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in
+den Bergen nicht so vortheilhaft gemacht haben ohne des
+Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist
+Schade, dass ihn die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu
+vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen
+gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen,
+die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben
+Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten;
+vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf
+einmal überzeugt, dass die Schweiz bisher vorzüglich nur
+durch die Eifersucht der grossen Nachbarn ihr politisches
+Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in
+das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt.
+Die Katholicität scheint in Luzern sehr gemässigt und
+freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch,
+dass mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe hier im
+See zwey und dreyssig Sorten Forellen, so dass man also bey
+der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat.
+Diejenigen welche man mir gab hätten einen Apicius in
+<!-- pb n="424 " facs="#f0452"/ -->
+Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn
+Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten,
+wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden
+solltest.</p>
+
+<p>Von Luzern liess ich mich auf dem Wasser wieder zurück
+rudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen
+Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein
+und liess mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer
+gewesen, so wäre ich zur heiligen Mutter von Einsiedel
+gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beyden Seen
+steht die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen
+Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich
+fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch
+die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen
+schwerlich retten. Man nimmt die grösseren fruchtbaren
+Kantons und lässt die Alpenjäger jagen und hungern; sie
+werden schon kommen und bitten. Bloss die Eifersucht gegen
+Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.</p>
+
+<p>Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf
+den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft,
+brummte und bemerkte sodann, ich müsse doch sehr furchtsam
+seyn, dass ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle.
+Ich machte ihm begreiflich, dass hier zwischen Zug und
+Zürich gar nichts zu fürchten sey, dass mich allenfalls mein
+Knotenstock gegen ihn schütze, dass ich ihm aber keine
+Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sey
+mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast
+unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah<!-- pb n="425 " facs="#f0453"/ -->len.
+Nun erzählte ich ihm, dass ich in Luzern für meine eigene
+Rechnung vier und dreyssig Batzen und für die seinige sechs
+und dreyssig bezahlt habe; das konveniere mir nicht. Er
+entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit
+ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel
+angeschrieben. Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu
+viel getrunken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir
+das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahrscheinlich
+vorkommt: aber, mein Freund, Er hat wahrscheinlich der
+Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine
+Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich
+lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen. Er verliess mich
+indessen doch nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf
+und herab, setzten uns unten in ein Boot und liessen uns
+über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem Sünder
+einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen liess. Er
+wird indessen beydes schon oft umsonst bekommen haben.</p>
+
+<p>Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden
+und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas
+links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben: das
+Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich
+trug einen Brief aus Rom zu Madam Gessner, der Wittwe des
+liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das
+Monument, das die patriotische Freundschaft dem ersten
+Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem
+Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätzchen ist
+idyllisch schön und ganz in dem Geiste des
+<!-- pb n="426 " facs="#f0454"/ --> Mannes, den man ehren
+wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat die edle
+Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde.
+Akazien, Platanen, Silberpappeln und Trauerweiden umgeben
+den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die
+Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen,
+wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich
+verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in vielen Büchern
+vielleicht besser findest. Eine eigene Erscheinung war es
+mir hier, dass bey Vidierung des Passes zwey Batzen bezahlt
+werden mussten. Ich möchte wohl wissen wie man dieses mit
+liberaler Humanität oder nur mit Rechtlichkeit in
+Uebereinstimmung wollte.</p>
+
+<p>Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über meinen
+Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen. Du hast aus
+meiner Erzählung gesehen, dass es jetzt wirklich traurig
+dort aussieht; vielleicht trauriger als es je war. Ich bin
+gewissenhaft gewesen und jedes Wort ist Wahrheit, so weit
+man historische Wahrheit verbürgen kann. Dass Brydone in
+Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber viele haben
+vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiss ich,
+dass in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und
+Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Barthels
+ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren. Mehrere
+Augen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre
+Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, dass er seiner
+poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über
+die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter.
+Dorville habe ich fast
+<!-- pb n="427 " facs="#f0455"/ -->
+durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem
+Fluge habe bemerken können.</p>
+
+<p>Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten
+Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach
+Neapel gehen soll, hält den Weg immer für gefährlicher als
+einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war
+sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner
+völligen Resignation, dass er noch lebte. Ich könnte
+sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr
+machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes.
+Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört
+haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel
+aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten,
+haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel
+zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten
+Sinne die Menschen lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten
+und ihre Freunde gezwungen davon zu essen; der andern
+schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein
+wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit
+einer Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und
+Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer
+derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit
+und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Missbilligung zu
+zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das
+ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch
+hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von
+Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die
+Exgemahlin Hamiltons, liessen im Namen der Regierung
+<!-- pb n="428 " facs="#f0456"/ --> die Kapitulation
+kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese
+Weise kann man alles was heilig ist niederreissen. Man nennt
+den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit
+Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In
+Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist
+begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bisschen
+Christenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der
+Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Revolution;
+die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im
+Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und
+wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in
+der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger
+betrogen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie
+Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn;
+schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel
+zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen:
+diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold
+wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken.
+Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich
+habe die meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem
+Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen.
+Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der
+Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung.
+Mässigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
+fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder
+reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht
+zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute
+<!-- pb n="429 " facs="#f0457"/ --> wurden gezwungen der
+Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach
+wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses
+Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen
+erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem
+Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer
+gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel, die Gemüther
+noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge
+nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde.
+In Sicilien treibt das Feudalsystem in den grässlichsten
+Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte
+der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuss
+lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten
+lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und
+geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein
+Beyspielchen von den Lazaronen in Neapel gehört. Es kam ein
+Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung
+des Königs. Unter andern wurde ein grosser schöner Maulesel
+ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich
+gedrängt umher. <span class="italic">Kischt' è il primo
+minischtro</span>, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die
+ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel
+ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde
+machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter
+Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt
+täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An
+Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und
+Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich
+Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
+<!-- pb n="430 " facs="#f0458"/ --> nichts einheimisches zu
+finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden
+Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Strassen ganz
+laut, der Minister verkaufe als Halbbritte die Nation an die
+Engländer. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die
+öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der
+Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und
+Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind empörend. Der König ist
+ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind
+es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution wurde eine
+Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal
+verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau
+appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so
+weit, dass sie zur endlichen Entscheidung ihres Schicksals
+nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer
+Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die
+strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach
+Neapel zurückgeschickt und &mdash; hingerichtet. Sie
+erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem
+Blutgerüste. Das ist verhältnissmässig eben so schlimm als
+die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und
+Umstände und den ganzen Prozess wiederholt genannt.</p>
+
+<p>Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und
+dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000
+neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt
+Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich
+weiss nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat?
+Jener handelt nicht als Kö<!-- pb n="431 " facs="#f0459"/ -->nig
+und dieser nicht als Republikaner. Anders that Fabricius.
+Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und
+plündern und morden, o ne dass die Justiz weiter darnach
+fragt. Man lässt die Leute so gut und so schlecht seyn als
+sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der
+Guten, zumal bey solchen Vernachlässigungen: so ist die
+Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes
+hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und
+Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine
+Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine
+militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis
+zu fünf und zwanzig. Diese sollen Polizey seyn; aber sie
+tragen kein Abzeichen, sind nicht zu finden, und alle
+ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.</p>
+
+<p>Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen
+bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Regierung,
+zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers
+gehören: die Parthey des Kronprinzen, von dem man sich ohne
+vielen Grund etwas besseres verspricht: und die Parthey der
+Malkontenten, die keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben,
+und glauben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die
+letzte scheint die stärkste zu seyn, weiss aber nun, da sie
+von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der
+Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichtspunkt nehmen
+soll.</p>
+
+<p>In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der
+Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des
+Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon
+<!-- pb n="432 " facs="#f0460"/ --> folgen, so weit sie sich
+mit beyden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett und
+segnen ihren Heiland Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt,
+oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder fromme
+Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden, so viel es das
+System leidet.</p>
+
+<p>In Hetrurien weiss man sich vor Erstaunen über alle die
+Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen.
+Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn
+müssen, wünschen sich das sanfte östreichische Joch, wie es
+unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch
+wohl laut über die Anmasslichkeit des römischen Hofes und
+die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen
+Polypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der
+Berge.</p>
+
+<p>Die italische Republik windet sich, trotz den
+Eigenmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen ihrer
+Herren Nachbarn, nach und nach aus der tausendjährigen
+Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet:
+aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas
+humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint
+indessen nie so tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des
+Heiligthums. Alles liegt noch im Werden und in der Krise.
+Die grossen Städte klagen über Verlust, aber das platte Land
+hebt sich doch merklich. Das lässt sich wieder sehr leicht
+erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land
+verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch noch
+kosmisch gut ist.</p>
+
+<p>Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita<!-- pb n="433 " facs="#f0461"/ -->lien
+gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche Zeugniss auch
+wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt
+Beyspiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen
+Zuhörer ausserordentlich wohl thun, und seine sympathetische
+Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen
+zeigt. Einzelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen
+oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als
+Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich däucht
+der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bey
+einem grossen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel,
+deren Richtigkeit ich mir nicht abstreiten lasse. Wer in dem
+Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm
+Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine Diener nur so,
+dass sie anständig leben und höchstens einen
+Sichherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann
+es auf eine ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es
+giebt nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum
+Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige wenige
+Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich
+Handelsmann, so hört er eben dadurch auf einem wichtigen
+Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das
+unselige Privilegium die Nationen zu betrügen, weil man
+ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die
+französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben.
+Revoltierend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, dass
+viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen
+reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Charakter
+für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer<!-- pb n="434 "
+facs="#f0462"/ -->de zahlen liessen und doch allein gingen
+und knickerisch nur zwey nahmen, und das Geld für die
+übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch
+Brot hatte, musste bey dergleichen Gelegenheiten
+exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen bringen,
+um den fremden so genannten republikanischen Wohlthäter zu
+bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung! Man muss bekennen,
+dass die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit
+fluchten; aber sie geschahe doch oft. Wo Murat als General
+kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine
+Nation von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So
+viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Soldaten und
+Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin manche Meile in
+ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie alle gesittet,
+artig, bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie
+urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und
+äusserten durchaus ein so feines Gefühl, dass es mir immer
+ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte
+vornehme Zotenreissen im Fluchen ist sehr selten geworden,
+und sie sprechen über militärische Dispositionen mit einer
+solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen
+Subordinationsgeist, dass sich nur ein schlechter Offizier
+andere Soldaten wünschen könnte.</p>
+
+<p>In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach
+Syrakus und zurück an den Zürcher See, wenn er auch nur
+flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden.
+Auf der Insel ist das lieblichste Gemisch des Reichthums
+aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen
+kann; Oran<!-- pb n="435 " facs="#f0463"/ -->gen aller
+Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine,
+Kastanien, Wein, Weitzen, Reiss. Bey Neapel werden die
+indischen Feigen, die Karuben und Pahnen schon selten;
+diesseits der Pontinen die Orangen; diesseits der Apenninen
+Oel und Feigen. Die südliche Seite des Bergs von Florenz aus
+hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen
+nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind
+Kastanienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig an
+Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein
+einziger Weinstock macht noch eine grosse Laube, und auf
+einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen,
+welche Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine
+Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch
+ihre Lage hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs,
+und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten,
+Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, indische
+Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch Kastanien die Menge
+und sehr schöne und grosse Bäume, und bis Ayrolles wächst
+gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf.
+An der Reuss diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe
+sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als
+Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide.
+Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur
+höchst selten, und der Nussbaum nimmt ihre Stelle ein.
+Weiter herab ist alles vaterländisch.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>