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+
+<!-- pb n="[483]" facs="#f0511"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Leipzig">
+<div class="dateline"><span class="right">Leipzig.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">M</span>eine Ronde ist vollendet
+und ich bin wieder bey unsern väterlichen Laren an der
+Pleisse. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in
+Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein
+freundliches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin
+haben unsere Landsleute gezeigt, dass sie nicht Schuld an
+den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau ging ich
+vorbey und hielt mich immer die Strasse nach Fulda herein.
+Die Hitze des vorzüglich heissen Sommers drückte mich zwar
+ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem
+Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern
+zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so
+schlecht gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen
+Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der
+Durst war brennend, und auf meiner ganzen Wanderung habe ich
+vielleicht keine so grosse Wohlthat genossen, als da ich
+sodann links an der Strasse eine schöne Quelle fand. Leute
+welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen haben,
+haben davon keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen
+nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie nicht so
+fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe dieses und jenes
+versucht. In Hünefeld war Schiessen,
+<!-- pb n="484 " facs="#f0512"/ --> die Gesellschaft der
+Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte
+das Vergnügen die Musik so gut zu hören, als man sie
+wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben
+können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft,
+thut nichts; sie können das Gute doch nicht ganz verderben,
+eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und
+Unvernunft ganz ausrotten kann.</p>
+
+<p>In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des alten
+Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und
+Kassel und von da nach Amerika geliefert. Jetzt sollen
+dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn. Doch möchte
+ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie
+sind nicht sicherer als die Demagogischen. Es wäre
+unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört
+willkührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum
+Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und
+förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht
+durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände
+wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme
+haben. Der Adel ist nicht reich und abhängig vom Hofe. Die
+Minister und Generale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu
+Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder
+hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine
+Verwandten. Die grossen Offiziere gewannen Geld und Ehre,
+die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen
+litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermass
+treu und brav.
+<!-- pb n="485 " facs="#f0513"/ --> Hier und da war
+Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen
+glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist
+ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich
+in einem Klassiker gelesen zu haben, dass die Katten lange
+vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in
+Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden
+Verbindungen aufgegeben.</p>
+
+<p>Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem
+Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da
+nicht sogleich Postpferde zu haben waren, mich hinüber zu
+schaffen, liess sich die Posttaxe für zwey Pferde und den
+Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das
+nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich
+auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war
+schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn
+Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen
+Oerter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer
+sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht
+einleuchten wollte, war, dass man überall so viel herrliches
+Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das
+sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht
+mehr als irgend ein anderes Beyspiel, dass der Mensch ein
+Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf
+hundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten
+der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm,
+wenn man durchaus die Oe<!-- pb n="486 " facs="#f0514"/ -->konomie
+mehr merkantilisch als patriotisch berechnet.</p>
+
+<p>Ich liess mich den andern Morgen meinem Freunde ohne
+meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt
+käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen und
+unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als
+der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit
+hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht
+manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wusste
+vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien
+schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand
+vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines
+Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger
+hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe
+war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er
+fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im
+Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten
+Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und
+seinen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere
+Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der
+Gesellschaft.</p>
+
+<p>Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das
+Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends
+einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst
+durchaus noch eine gewisse Bonhommie des Charakters, dass
+ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere
+Bekanntschaft meine Börse
+<!-- pb n="487 " facs="#f0515"/ --> hätte anvertrauen
+wollen, um sie an einem bezeichneten Ort zu bringen, wo ich
+sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem
+Ländchen weniger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du
+kannst also glauben, dass ich nicht aus Gefälligkeit rede.
+So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung
+und Verehrung gegen den Herzog gefasst Um einen Fürsten zu
+sehen braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen,
+oder gar die Gnade zu geniessen ihm vorgestellt zu werden.
+Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und
+Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft;
+vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regierung
+erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und
+Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier
+schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo
+ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren
+nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als
+möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität
+sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel
+spricht und wenig thut.</p>
+
+<p>Schon in Paris hatte ich gehört die Preussen wären in
+Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier
+fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn
+etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame
+Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund.
+Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, dass ich ein
+Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die
+Grossmuth
+<!-- pb n="488 " facs="#f0516"/ --> und Uneigennützigkeit
+der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des
+Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten,
+rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen
+konnte und machen musste. Wenn Sachsen eine Macht von
+hundert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik
+das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn was Du
+willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mich däucht, dass
+man in Dresden doch wohl etwas lebendigere wirksamere
+Massregeln hätte nehmen können und sollen. Es war voraus zu
+sehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freylich wird
+man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig thun;
+aber man hat doch nun die Kneipzange von beyden Seiten in
+den Händen, und kann sicher das
+<span class="italic">festina lente</span> spielen. Politisch
+muss man immer denken, was geschehen kann wird geschehen.
+Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem
+künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in
+diesen Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht
+erwartet.</p>
+
+<p>In Weimar freute ich mich einige Männer wieder zu sehen,
+die das ganze Vaterland ehrt. Der Patriarch Wieland und der
+wirklich wackere Böttiger empfingen mich mit
+freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte
+die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden
+diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den
+unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden.
+Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste
+Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.</p>
+
+<!-- pb n="489 " facs="#f0517"/ -->
+<p>Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach
+Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preussisches
+Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nehmlichen
+Rocke mit der nehmlichen Chaussüre über Wien und Rom nach
+Syrakus und über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich
+etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche
+Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den Fremden
+zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben. Die Soldaten
+waren ordonanzmässig artig genug; aber einige Offiziere
+geruhten sich mit meiner Personalität ein Spässchen zu
+machen. Ich ging natürlich den Fusssteg am Busche hin und
+der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte
+seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen
+Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm
+nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht?
+Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: Er wird wohl
+gehen und das Handwerk begrüssen. Nein, hörte ich eine
+andere Stimme, ich weiss nicht was es für ein närrischer
+Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bey der Herzogin im
+Garten sitzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins
+Pommerische, wenn Du finden willst, dass es mir ziemlich
+schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmassgeblich, die
+Herren hätten ihre Untersuchung und Beurtheilung über mich
+etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis
+ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht
+bekanntlich ein Preussischer Offizier nicht viel Umstände.
+Ob das recht
+<!-- pb n="490 " facs="#f0518"/ -->
+und human ist, wäre freylich etwas näher zu bestimmen.</p>
+
+<p>Meiner alten guten Mutter in Posern bey Weissenfels war
+meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall
+mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, dass
+sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe
+Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem
+Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus
+nicht, dass ich zu Fusse weiter ging, sondern liess mich
+bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die
+Pleissenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, dass ich
+froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war
+der erste den ich aufsuchte, und das enthusiastische
+Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste
+seiner drolligen Gesichter und machte einen praktischen
+Kommentar auf Horazens Stelle, dass man bey der Rückkehr
+eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Bisschen närrisch
+seyn könne.</p>
+
+<p>Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will
+ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mich däucht, dass ich
+nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten
+meistens zu Fusse eine solche Wanderung macht, schützt sich
+noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines
+Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig,
+muss ich Dir noch sagen, dass ich in den nehmli<!-- pb
+n="491 " facs="#f0519"/ -->chen Stiefeln ausgegangen und
+zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und
+dass diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch
+eine solche Wanderung mit zu machen.</p>
+
+<p>Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von
+manchen mehr als ich geschrieben habe, von manchem
+weniger.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
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